Dass die Ursachen für die Kirchenaustritte tiefer
liegen als Beinahebischof Wagner oder die Piusbrüder, ist klar. Früher hatte der
Großteil der Menschen eine sechsklassige Volksschul"bildung", die Religion nahm
im Leben einen wichtigen Platz ein und wurde innerfamiliär stark tradiert. Heute
haben alle Menschen mehr Allgemeinbildung, ein Gott der mit einer Jungfrau einen
Sohn hat, der für die Sünder am Kreuz stirbt, um dann in den Himmel aufzufahren,
wo er die verstorbenen Guten belohnt und die toten Bösen bestraft, erscheint als
reichlich schlichte Story, die den Großteil der Menschen, auch der
Kirchenmitglieder, kaum noch berührt oder auch nur interessiert. Sonntags gehen
von den 5,5 Millionen Katholiken gerade ein paar Hunderttausend in die Kirche
oder beten regelmäßig, die meisten Katholiken leben dasselbe Leben wie
Atheisten. Da auch der gesellschaftliche Druck und die einst so wichtige
Religionstradition in den Familien verschwinden, treten eben jedes Jahr ein
Schwung der glaubenslosen Mitglieder aus. Die Kirche kann nichts dagegen machen,
die Jesus-Story berührt die Leute nimmer.
Erwin Peterseil, 4020 Linz
Dogmatischer Ballast
Religion ist heute längst nicht mehr das Generalthema
unserer Kultur. Die Menschen genießen alle Freiheiten, die unsere Wohlstandsgesellschaft
möglich macht und haben sich von den Fesseln der Fremdbestimmung weitgehend
gelöst. Rigide religiöse Verhaltensnormen als Preis für vage Heilsversprechen
wollen immer weniger Menschen akzeptieren und der Respekt vor religiösen Überzeugungen
sinkt ins Bodenlose. Die Kirchen können oder wollen dies nicht verstehen, sie
sind im 21. Jahrhundert noch nicht angekommen und offenbar auch unfähig, sich
aus ihrem selbst gestrickten Dogmenkorsett zu befreien.
Kaum jemand will
mehr ungedeckte Wechsel auf die ewige Seligkeit kaufen seit hier und jetzt an
jeder Ecke, "Wellness" angeboten wird. Und ob der neue Populismus
in Sachen Sozialpolitik die Flüchtenden aufzuhalten mag, wo doch die Gewerkschaft
das viel besser kann, wird sich weisen. Es ist auch nicht bloß das Fehlverhalten
kirchlicher Repräsentanten, warum die Menschen der Religion den Rücken kehren,
es ist das Unvermögen der Kirchen, dogmatischen Ballast abzuwerfen und auf die
seelischen Probleme der Menschen in Liebe einzugehen, auf ihr Suchen zu hören,
Zuversicht zu geben und Liebe vorzuleben.
Dr. Gerhard Forsthuber, Linz
Sonderstellung
Nach
den in Ihrer Ausgabe vom 13. Jänner veröffentlichten Zahlen ist der Anteil der
Katholiken Ende 2009 auf 66 Prozent oder zwei Drittel der Gesamtbevölkerung
gesunken. 1957, im Jahr der Anerkennung des Konkordats von 1933 durch die damalige
österreichische Bundesregierung, gehörten noch über 85 Prozent der Österreicher
der römisch-katholischen Kirche an.
Diese Entwicklung verlangt nach einer
Überprüfung der in der österreichischen Rechtsordnung verankerten Sonderstellung
der Kirche, besonders im Steuer- und im Bildungswesen. Über die Anbringung religiöser
Symbole im öffentlichen Raum ist die öffentliche Diskussion bereits im Gange.
Die Kirche ist aufgefordert, nicht auf überholten Gesetzen zu beharren, sondern
sich der gesellschaftlichen Entwicklung anzupassen. Welchen Anteil die Kirche
an der Bevölkerung hat, ist ihre Sache. Welche ihrer tradierten Rechte sie einer
immer größer werdenden Minderheit auf zwingt, betrifft uns aber alle.
Dkfm.
Günter Rott, Linz
Der erste stammte von einem tiefgläubigen Briefeschreiber
Tiefere Ursachen
Eine Reihe erschütternd negativer Leserbriefe zum Thema Kirchenaustritte veranlassen mich, meine Erfahrung kurz zu formulieren, weil ich Gottlosigkeit und Sarkasmus absolut nicht vernünftig finde: Für mich sind Jesus Christus, seine übernatürliche Geburt, sein Leiden für die erlösungsbedürftige Welt, seine Auferstehung und sein Evangelium geschichtliche Tatsachen.
Christus brachte nach Jahr-Milliarden der Evolution über das Gebot der Nächstenliebe Segen, Freude und Hoffnung auf die Erde. Christi Botschaft ist neben den Zehn Geboten auch für die persönliche Lebensführung und das Zusammenleben der Menschen und Völker die wichtigste Richtschnur! Weniger die Fehler von Kirchenvertretern, sondern Materialismus, Egoismus, Geiz, Ehrgeiz und andere Folgen der heutigen Konsumwelt sind die tieferen Ursachen der Kirchenaustritte.
Dipl-Ing. Gottfried Praxmarer, Linz
Ui, da müsste die Welt ja wunderbar
sein! Wenn der übernatürliche Herr Jesus dies alles auf die Welt gebracht
hätte! Hat er aber offenbar nicht und in seiner Kirche dürfte diese freuden-,
segens- und hoffnungsreiche Botschaft auch nicht allzu bekannt sein.
Der
zweite Brief ist realistisch-praktisch:
Wissen
In den Mutmaßungen
über die Flucht aus der römisch-katholischen Kirche wurde ein triftiger Grund
auch nur ansatz-weise nicht erwähnt - nämlich der der Allgemeinbildung. Verfolgt
man die Kirchengeschichte zurück, so fällt auf, dass das Gros der Bevölkerung
vom Faktor Wissen bewusst ausgeschlossen wurde. Als Ersatz bot die Kirche die
dünne Suppe des Glaubens an.
Damit konnte die Kirche über die Jahrhunderte ihre Machtbasis erhalten und
auch noch ausbauen. Eine Schicht höher stehender Personen wie z.B. der Adel
wurde durch Bildung an der Machtausübung beteiligt, aber durch gezielte Fehlinformationen
wie über das heliozentrische Sonnensystem, Alter und Erschaffung der Erde und
mehr gegängelt. Fakt ist: Mit Zunahme der allgemeinen Bildung wird der Machtanspruch
der Kirche und ihrer verkrusteten Hierarchie immer weiter an Boden verlieren.
Hans-Jörg Lanik, Linz