OÖNachrichten, 17.März 2010: Aus einem Interview mit dem Linzer Bischof
Schwarz:
OÖN: Als einer der Hauptgründe für Missbrauch wird der Zölibat
genannt. Sind Sie für einen offeneren Umgang mit diesem Thema?
Schwarz:
Empirische Studien zeigen, dass es keine direkte Verbindung zwischen Zölibat
und dem sexuellen Missbrauch Minderjähriger in dem Sinn gibt, dass der Zölibat
die Ursache dafür wäre. Wer pädophil veranlagt ist und dies auslebt, den schützen
weder der Zölibat noch die Ehe davor, das zu tun.
Aus einem Gastkommentar
von Gerhard Kette (ebenfalls 17.3.): Gefährliche Nähe
(..) Sexualwissenschafter
vertreten die Auffassung, dass der Zölibat besonders jene Menschen anzieht,
die mit Sexualproblemen kämpfen. In der Kirche genießt man hohe Anerkennung,
ist gleichzeitig vor Fragen nach Freundin und Familie geschützt. Aus der Not
wird eine Tugend. Auf Personen mit pädophilen Neigungen üben Erziehungsberufe
eine Anziehungskraft aus. Etwa ein Prozent aller Männer haben pädophile Neigungen.
In Österreich zählen zur Risikogruppe rund 5000 bis 25.000 Männer. (..)
Wenn
sich nun in kirchlichen Schulen eine problematische Personalrekrutierung mit
dem Zölibat, mit ungenügender pädagogischer Ausbildung und dem erziehungswissenschaftlichen
Auftrag nach Nähe und Empathie verquicken, ist die Wahrscheinlichkeit für Fehlverhalten
gefährlich hoch. Mit Vertuschen und Versetzen ist das Problem nicht mehr zu
lösen. (..)
STANDARD 16.3. aus einem Interview mit Eugen Drewermann
(seit 1992 suspendierter Priester und Theologe):
Standard: Sie thematisieren
auch die psychischen Belastungen, die dem Kleriker als dem "Berufenen",
dem "Auserwählten" auferlegt sind - ein Grund für die Probleme, die
manche Priester auch mit ihrer Sexualität haben?
Drewermann: Das ist
absolut so. Wer legt sich im Grunde bereits während der Pubertät, spätestens
aber mit 18 Jahren, auf den Berufswunsch fest, nie eine Frau kennen zu lernen?
Das ist eine absonderliche Entscheidung, da wachsen junge Menschen im Schatten
endloser Schuldgefühle, Triebeinschränkungen, Ängsten und Zwängen aller Art
auf. Das kann unter anderem dazu beitragen, in Formen der Entwicklungs-Homosexualität
stecken zu bleiben.
Standard: Sehen Sie hier eine Ursache für den
Kindesmissbrauch durch Priester?
Drewermann:
Wenn diese Triebeinschränkungen nach Jahren der Abwehr durchbrechen, haben
wir genau das, was sich etwa im Canisius-Kolleg in Berlin ereignet hat. Aber
das eigentliche Paradoxe ist doch: Stehen Priester zu ihrer Homosexualität oder
leben sie ihre Heterosexualität öffentlich, verlieren sie in beiden Fällen ihr
Amt. Missbraucht hingegen ein Geistlicher einen Buben, durfte er bislang im
Amt bleiben - unmenschlicher kann es nicht gehen.
Standard: Wäre sexuelle
Misshandlung durch eine Aufhebung des Zölibats zu verhindern?
Drewermann:
Der Zölibat ist nicht die Ursache für Kindesmissbrauch. Aber der Weg zum
Zölibat ist psychologisch so problematisch, dass dabei die Gefahr des Kindesmissbrauchs
nicht ausgeschlossen werden kann. Um der seelischen Hygiene und einer menschlich
begründbaren Seelsorge wegen müsste die katholische Kirche den Zölibat aufheben.
Man kann niemanden zu der Entscheidung zwingen, Gott oder einen Menschen zu
lieben. Es geht nur um das Erbe von Sexualfeindlichkeit und den Wunsch, Macht
auszuüben. Und der Zölibat ermöglicht niedrige Gehälter. Es muss nicht, wie
etwa bei den Protestanten, eine ganze Familie mitversorgt werden.
Kardinal
Schönborn am 12.3.: "Wenn der Zölibat der Grund für sexuellen Missbrauch
wäre, dürfte es überall dort, wo es den Zölibat nicht gibt, auch keinen Missbrauch
geben".
Atheistischer Kommentar: Lebewesen haben mehrere Bedürfnisse, die
evolutionär unvermeidbar entstehen haben müssen: bei Durst muss man trinken,
bei Hunger muss man essen und wenn die Sexualhormone nach Erlösung rufen, muss
man dem Ruf folgen. Weil sonst wäre das Leben auf diesem Planeten längst erloschen.
Verdurstet, verhungert und mangels Fortpflanzung ausgestorben.
Der
Zölibat ist keine Vorschrift der christlichen Bibel, der Begründer des Christentums,
der "Apostel Paulus", schrieb in Timotheus 3, 2-4: "Es soll aber
ein Bischof unsträflich sein, eines Weibes Mann, nüchtern, mäßig, sittig, gastfrei,
lehrhaft, nicht ein Weinsäufer, nicht raufen, nicht unehrliche Hantierung treiben,
sondern gelinde, nicht zänkisch, nicht geizig, der seinem eigenen Hause wohl
vorstehe, der gehorsame Kinder habe mit aller Ehrbarkeit." Der Zölibat
wurde rund 1000 Jahre später eingeführt, um zu vermeiden, dass innerhalb der
katholischen Kirche Feudalstrukturen entstehen (vererbbare Pfarren und Diözesen).
Natürlich musste diese Maßnahme, welche die päpstliche Machtstruktur entscheidend
stärken und sichern sollte, religiös verbrämt werden. Darum gibt es dann diese
Hingabe an Gott samt tiefer Spiritualität und solches Zeug.
Man sollte
die Herren Bischöfe und Kardinäle öffentlich klar und deutlich fragen: Wie
werden Sie mit ihren Sexualbedürfnissen fertig? Haben Sie keine (weil Sie schon
so alt sind oder weil Ihr Körper diese sündigen Sexualhormone nicht produziert)?
Wichsen Sie? Warten Sie voller Bangen auf den nächsten unwillkürlichen nächtlichen
Samenerguss? Haben Sie sexuelle Beziehungen zu Männern oder Frauen oder Kindern?
Der
Kindesmissbrauch hat natürlich seine Ursache nicht direkt im Zölibat. Aber
der Zölibat bereitet die Möglichkeiten auf. Er fördert die Auswahl in Richtung
von Männern, die bezüglich ihrer Sexualität auf Männer ausgerichtet sind, oder
auf Männer, die Angst vor Frauen haben, die selbstunsicher sind, und auf Pädophile.
Man kann z.B. beobachten, dass katholische Priester einen bemerkenswerten Hang
zum Händeschütteln haben. Weil ihnen die körperliche Nähe fehlt, nach der sich
der Mensch sehnt. Was zur Sexualität gehört.
Wenn diese Menschen
in ihrer psychischen und hormonellen Not dann verzweifelt nach Auswegen suchen:
Voller Sündenangst Liebesbeziehungen eingehen. Oder Ersatzhandlungen dafür ablaufen
lassen. Früher war besonders der Missbrauch von beichtenden Frauen beliebt,
bei Kindern, die Angst und Ehrfurcht vor Priestern haben, ging es noch leichter.
Alle Verantwortlichen in der katholischen Kirche wussten seit Jahrhunderten
um diese Probleme, sie lebten sie ja selber, sie mussten selber damit umgehen.
Nähe finden, sich "Erleichterungen" verschaffen. Wenn es deswegen
Probleme gab, dann wurde der "Übeltäter" ins Kloster gesteckt oder
strafversetzt.
Heute geht das nimmer. Das Heuchlersystem bricht zusammen.
Denn die Opfer sind nicht mehr zum Schweigen bereit. Auch wenn dagegen noch
Widerstand geleistet wird. Z.B. mit dem Hinweis, es gäbe ja soviel Kindesmissbrauch,
der klerikale Missbrauch mache nur einen kleinen Prozentsatz aus. Aber es ist
eben auch nur ein kleiner Prozentsatz von Männern, der unter zölibatären Verhältnissen
lebt. Es gibt zwar auch hin und wieder evangelische Kleriker, die sich ähnliche
Untaten zuschulden kommen lassen. Aber der diesbezügliche Unterschied zwischen evangelischem
Nichtzölibat
und katholischem Zölibat ist eben eins zu hundert oder so.
Vor 165 Jahren schrieb
Otto von Corvin im Pfaffenspiegel: Die Natur respektiert einen geweihten
Pfaffenleib ebenso wenig wie den irgendeines anderen tierischen Organismus und
kämpft mit ihm um ihr Recht. Diese Kämpfe endeten bei gewissenhaften Geistlichen,
denen es mit ihrem Keuschheitsgelübde ernst war, gar häufig mit Selbstmord oder
Wahnsinn oder mit unnatürlicher Befriedigung des Geschlechtstriebes oder mit
freiwilliger Verstümmelung. - Der schlechtere Teil der Geistlichen, die ich
hauptsächlich mit "Pfaffen" meine, betrachtet dagegen die Ehe als
eine Fessel, von der sie der gute (Papst) Gregor befreit hat, und tut wie jener
Mönch, der nach langen Kämpfen endlich dem Rate eines alten Praktikus folgte:
"Wenn mich der Teufel reizt, so tue ich, was er will, und dann hört der
Kampf auf." Sie wissen sich, was die Befriedigung des Geschlechtstriebes
anbetrifft, für die Ehe schadlos zu halten, indem sie nach Clemens VI. Ausdruck
"wie eine Herde Stiere gegen die Kühe des Volkes wüten". Der hl. Bernhard
(1090-1153) über den Zölibat "Man müsse ein Vieh sein, um nicht zu merken,
dass man allen Lastern Tür und Tor öffnet, wenn man rechtmäßige Ehen verdamme."