Katholisches Suchen nach dem Weg

Die deutsche "Tagespost" ist eine dreimal wöchentlich erscheinende katholische Zeitung "für Politik, Gesellschaft und Kultur". Klarerweise geht es dabei immer um katholische Politik, katholische Gesellschaft und katholische Kultur. In der Ausgabe vom 3.8.2010 befasst sich Guido Horst, Chefredakteur des in Rom erscheinenden "Vatican Magazins" mit dem "Drama der Kirche von heute".

Er sieht die Ursache für die Probleme wie in katholischen Kreisen fast allgemein üblich nicht in den Änderungen in der Gesellschaft, sondern führt die in Europa schwindende katholische Außenwirkung auf innere Probleme zurück, speziell auf die Art der Interpretation der Aussagen des Zweiten Vatikanischen Konzils. Es gebe zwei Wege dazu, der eine sehe in diesem Konzil einen Bruch, der mit dem Konzil "eine ganz neue Kirche aufgehen sah und unter Berufung auf den Konzilsgeist entsprechende Reformen sehen möchte". Der andere Weg sei für Kontinuität, der "die Texte des Zweiten Vatikanums im Lichte der Tradition der Kirche liest und allenfalls von Entfaltungen der kirchlichen Lehre, nicht aber von einem Bruch mit der vorkonziliaren Kirche sprechen will".

Guido Horst stellt dazu fest, dass Ratzinger der zweiten Interpretation folge. Die Bemühungen Ratzingers um die Rückkehr der "Pius-Brüder" in die katholische Gemeinschaft sieht er auch in diesem Zusammenhang. Er erwähnt dazu Guido Pozzo, den aktuell Zuständigen für die Gespräche mit den Piusbrüdern, der im Namen des Papstes spräche und der Papst laut dessen möchte, dass "die beiden sich bekämpfenden Hauptströmungen, in denen sich die Kirche seit dem Konzil eher schlecht als recht durch die Wüsten des post-christlichen Westens schlängelt, wieder zu einem einzigen kräftigen Hauptstrom zusammenfließen. Wie kann man in Europa missionieren und evangelisieren, wenn man aus berufenen Mündern der Kirche auf Kernfragen des Glaubens immer unterschiedliche Antworten bekommt".

Der Widerspruch zwischen den Konzilsinterpreten, "die von einer ganz anderen Kirche träumen, in der die angeblichen Visionen der Konzilsväter Wirklichkeit werden" und den traditionellen Interpreten, "für die die Kirche vor dem Konzil genauso katholisch und christlich und heilig war wie nach dem Zweiten Vatikanum", könne kein "drittes Vatikanum diese lehramtliche Hauptfrage der Kirche von heute lösen". Das müssten Päpste tun. Seitens Ratzingers scheint jedenfalls die Entscheidung gefallen zu sein, den Piusbrüdern Mindestforderungen zu unterbreiten, was aber andererseits heißt, dass der Vatikan auch auf gewisse Wünsche dieser strengkatholischen Kleingruppe eingehen muss.

Die katholische Kirche besteht jedoch defakto nicht aus zwei Strömungen, sondern aus vier: die übergroße Hauptströmung bilden die Taufscheinchristen, also von Gelegenheitschristen über randgläubige Leichtreligiöse bis zu den bloß nominellen Kirchenmitgliedern. Eine weitere nicht erwähnte Gruppe ist die der Gewohnheitschristen, die sich wenig um inhaltliche Meinungsverschiedenheiten bekümmern, aber mehr oder minder gewohnheitsmäßig am Kirchenleben teilnehmen. Die Gruppe "alte Kirche" ist mit Sicherheit die deutlich kleinere der beiden oben angeführten, die Gruppe "neue Kirche" (z.B. "Wir sind Kirche" oder die "Laieninitiave") ist in den Medien die deutlich wahrnehmbarere.

Aber die angesagten Bemühungen, Europa zu missionieren und zu evangelisieren, haben mit keiner der vier angeführten Gruppen letzten Endes etwas zu tun. Denn es fehlt offensichtlich das Publikum, das darauf wartet, christkatholische Verkündigungen freudig entgegennehmen zu können. In der Diözese Wien hat man im Mai 2010 eine "Missionswoche" abgehalten, in der sich die Kirche unter den Menschen bewegen wollte und das Gespräch mit ihnen finden. Auf den entsprechenden katholischen Homepages war viel über die Vorbereitung dieser "Apostelgeschichte 2010" genannten Missionswoche zu lesen gewesen, über die Durchführung sehr wenig und bis heute nirgendwo eine zusammenfassende Einschätzung. Weil Missionierung und Evangelisierung geht den Leuten völlig am Arsch vorbei. Die "frohe Botschaft" macht heutzutage deshalb kaum jemanden froh, weil sie an der Lebenswirklichkeit der Menschen vorbeigeht und deshalb kaum jemanden interessiert. Es ist somit ziemlich egal, ob Piusbrüder oder katholische Reformer den Weg bestimmen. Aber es bleibt für Atheisten unterhaltsam, bei den katholischen Debatten zuzuschauen!