100 Jahre Antimodernismus-Eid

Vor hundert Jahren, am 1. September 1910, ordnete der damalige Papst Pius X., an, dass Kleriker den "Antimodernismus-Eid" zu leisten hätten. Die katholische Kirche hatte zwar mit der Gegenreformation blutig und erfolgreich die Reformation überwunden, aber im 19. Jahrhundert standen nun weitere Reformen an. Ausgehend vom Jahr 1848 bewegte sich in vielen Staaten zunehmend die bürgerliche Welt auf einen bürgerlichen Staat zu, die Arbeiterbewegung entstand und kämpfte für die Rechte des Proletariats. Die katholische Kirche war völlig an den mittelalterlichen Feudalverhältnissen orientiert, am Bündnis von "Thron und Altar". Ja, man war sogar darum bemüht, die katholische Kirche noch feudaler, noch mächtiger zu positionieren.

Papst Pius IX. (im Amt 1846 bis 1878) erfand die "Jungfrauengeburt" (was heißen soll, dass die "Gottesmutter Maria" vom Hl. Geist nicht nur ohne Beschädigung ihres Jungfrauenhäutchens begattet worden sei, sondern ihren Jesus auch geboren hätte, ohne ihr Hymen zu zerreißen). Das wurde zum Dogma, also zu einem verpflichtenden Glaubenssatz erhoben, Wer es nicht glaubte, musste um seine "Ewige Seligkeit" bangen. Ferner erließ dieser merkwürdige Papst auch noch das Dogma von der päpstlichen Unfehlbarkeit. Wenn der Papst in höchster Lehrgewalt (ex cathedra) spricht, so besitzt er aufgrund des göttlichen Beistandes Unfehlbarkeit.

Dieser unfehlbare Fanatiker ist weiters berüchtigt wegen seiner Enzyklika Syllabus Errorum ("Verzeichnis der Irrtümer"), einer Liste von 80 Thesen, die von Papst Pius IX. als "falsch" verurteilt wurden. Darunter fallen natürlich Dinge wie Rationalismus, Liberalismus, Sozialismus, Kommunismus, Religionsfreiheit, dass Staatsrecht vor Kirchenrechte gehe usw. Dieser Pius IX. war überdies mit fast 32 Dienstjahren der längstamtierende Papst in der Kirchengeschichte. Dass sich die katholische Kirche auch heute mit ihm (wieder) identifiziert, bewies seine Seligsprechung im Jahr 2000. Seine reaktionäre Haltung, speziell seine militante Gegnerschaft zu anderen Religionen hatte das 1907 eingeleitete Selig- und Heiligsprechungsverfahren solange hinausgezögert.

Den Beginn des "Antimodernismus" setzt man heute mit dieser "Irrtümerliste" gleich. Für die katholische Kirche waren Forderungen nach Presse- und Meinungsfreiheit, besonders nach Religionsfreiheit, nach rechtlicher und sozialer Gleichheit gottlose Bedrohungen ihrer eigenen "Wahrheit" und ihrer eigenen Feudalordnung. All dieses "moderne" Zeug musste abgelehnt und aktiv bekämpft werden. Der nächste Papst (Leo XIII.) war etwas gemäßigter, der übernächste nannte sich wieder Pius (= "der Fromme") und setzte mit Fanatismus den Kurs seines Vorvorgängers fort. Speziell um auch innerkirchliche Reformideen im Keime zu ersticken, erließ er den "Antimodernismuseid", den alle Subdiakone, Priester und Ordensoberen, alle Beamten der bischöflichen und päpstlichen Kurie ablegen mussten.

Der Eid beinhaltete folgende Verpflichtungen:
Erstens:
Ich bekenne, dass Gott, der Ursprung und das Ende aller Dinge, mit dem natürlichen Licht der Vernunft durch das, was geschaffen ist, d. h. durch die sichtbaren Werke der Schöpfung, als Ursache mittels der Wirkung, mit Sicherheit erkannt und auch bewiesen werden kann.
Zweitens: Ich anerkenne die äußeren Beweismittel der Offenbarung, d. h. die Werke Gottes, in erster Linie die Wunder und Prophezeiungen, als ganz sichere Zeichen des göttlichen Ursprungs der christlichen Religion. Ich halte fest, dass sie dem Geist aller Zeiten und Menschen, auch der Gegenwart, auf das beste angepasst sind.
Drittens: Fest glaube ich, dass die Kirche, die Hüterin und Lehrerin des geoffenbarten Wortes, durch den wahren und geschichtlichen Christus selbst, während seines Lebens unter uns, unmittelbar oder direkt eingesetzt, und dass sie auf Petrus, den Fürsten der apostolischen Hierarchie, und auf seine steten Nachfolger gebaut wurde.
Viertens: dass die Glaubenslehre, soweit sie von den Aposteln durch die orthodoxen Väter übermittelt wurde, stets ein und dieselbe war.
Fünftens: dass der Glaube kein blindes Gefühl für Religion ist, das aus den verborgenen Gründen des Unbewussten unter dem Druck des Herzens und der Erregung des sittlich ungebildeten Willens hervorbricht, sondern dass er die wahrhafte Zustimmung unseres Verstandes zu einer Wahrheit ist, die von außen her durch Hören angenommen wird, durch die wir das, was von dem persönlichen Gott, dem Schöpfer und unseren Herrn gesagt, bezeugt und geoffenbart worden ist.
Außerdem musste etlichen "Verurteilungen" zugestimmt werden, dabei ging es hauptsächlich gegen alles, was Glaube und Geschichtsforschung als Gegensätze sehen könnte, der Glaube hatte jeweils das Wahre zu sein.

Nun bekannte sich der aktuelle Papst Ratzinger am 18. August 2010 ausdrücklich zum Antimodernismuseid: "Treu zu dem Auftrag, seine Brüder im Glauben zu stärken, schritt der heilige Pius X. angesichts einiger Tendenzen in der Theologie Ende des neunzehnten, Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts mit Entschiedenheit ein, indem er den 'Modernismus' verurteilte, um die Gläubigen vor irrigen Auffassungen zu schützen und um eine wissenschaftliche Vertiefung der Offenbarung im Einklang mit der Tradition der Kirche zu fördern."

Das bezog sich auf theologische Strömungen, das Religiöse als gefühlsmäßig Erfahrbares zu sehen (siehe oben Punkt 5 des Eides), sozusagen eine Vorform des heute sehr weit verbreiteten unbestimmten Religiösen mit irgendeinem undefinierten "höheren Wesen", statt des konkreten Christengottes. Als Ursache dieser Art der Religiosität wurde der Geist der Aufklärung gesehen, die Gefühlsreligiosität ihrerseits als Schritt in Richtung Agnostizismus und Atheismus. Was wohl eine richtige Vermutung war, weil ein Privatgott aus der eigenen Gefühlswelt ist infolge seiner Beliebigkeit auch leichter entbehrlich als ein festgefügter Gott einer strengen Religionsgemeinschaft, mit dem schon kleine Kinder konditioniert werden.

Besonders konservative Katholiken sehen im 2. vatikanischen Konzil (1962-1965) - in dessen Folge 1967 auch der "Antimodernismuseid" abgeschafft wurde - den Bruch mit dem "Antimodernismus", die vom Eid untersagten "Denkströmungen" hätten damit Oberhand gewonnen und zerstörerisch auf die heutige katholische Kirche gewirkt. Es hat den Eindruck, dass Papst Ratzinger bemüht ist, der antimodernistischen Theologie wieder die führende Position zu geben und dass er Kirchenreformen als Schaden für seine Kirche sieht.

Aber was soll es, die katholische Kirche wird weder auf modernistischem, noch auf antimodernistischem Wege zu ihrer einstigen Macht und Herrlichkeit zurückkehren können.