Dass sich Papst Ratzinger auf seiner britischen Tournee nochmals wegen priesterlicher Missbräuche entschuldigte und dabei auch Tränen vergossen haben soll, bescherte ihm gute Presse. Zur selben Zeit in der Ratzinger weinte, wurde in Österreich bekannt, dass Missbrauchsopfer von der kirchlichen Klasnic-Kommission nur wenig zu erwarten haben und Kardinal Schönborn das Gespräch mit den Opfervertretern beharrlich verweigert. Man wird deshalb den Klagsweg beschreiten (siehe Info Nr. 284). Ratzingers Tränen lassen sich nicht versilbern. Sie beeindruckten allerdings eine Menge sentimental veranlagter Journalisten.
Nicht alle, für den Standard vom 20. 9. 2010 schrieb Sebastian Borger:
Die Kirche verwechselte britische Höflichkeit und Respekt mit Begeisterung
Statt
des angekündigten Dauerregens schien in England die Sonne, zu den Open-Air-Messen
des Papstes kamen mehr Menschen als zur Londoner Gegendemonstration, das politische
Establishment und die anglikanische Staatskirche erwiesen dem Gast freundliche
Aufmerksamkeit. Diese Nachrichten nahm die Kirche zum Anlass, die britische
Visite Benedikts XVI. zum Erfolg hochzujazzen. Absichtlich verwechselt sie damit
die englische Höflichkeit und den Respekt vor der physischen Leistung des 83-jährigen
Joseph Ratzinger mit Begeisterung. In Wahrheit kamen weit weniger Besucher als
erwartet.
Inhaltlich blieb es bei oberflächlichen Klagen über die angebliche
Marginalisierung der Religion. Zu Recht hat Premier David Cameron den Besucher
höflich, aber bestimmt zurechtgewiesen: Die Religion auf der Insel wird keineswegs
marginalisiert, sieht sich aber einer rigorosen Debatte ausgesetzt. Das habe
mit muslimischen Extremisten ebenso zu tun wie mit katholischen Dogmen zu papaler
Unfehlbarkeit, zu Sexualität und Zölibat, die mit der Lebenswirklichkeit der
Briten nichts zu tun haben.
Erstmals hat der Papst die sexuelle Gewalt von
Priestern gegen Kinder nicht bloß als Sünde und Krankheit, sondern als "Verbrechen"
bezeichnet. Dass seine Apologeten darüber jubeln, deutet auf Realitätsverlust
hin. Die katastrophale Weltfremdheit des Papstes verschlimmert die tiefe moralische
Krise der Kirche. Erfolge sehen anders aus.
Soweit der Standard. Zu
den frechen Attacken des Papstes auf Atheisten und den "Relativismus"
war ja schon in Info Nr. 283 zu lesen. Die katholische
Kirche wird weiterhin ihren Nichtweg gehen und ideologisch in sich ruhen.
Was vermutlich auch der bessere Weg für sie ist, weil das bindet zumindest den
harten Kern der Strenggläubigen. Wie auf dieser Site ja schon sehr oft gesagt
wurde: eine Weltzuwendung von Religionen fördert die Beliebigkeit, Beliebigkeit
bindet nicht, sondern erleichtert den Glaubensabfall. Der Papst kann daher ruhig
weltfremd sein, er wird damit nichts mehr ruinieren, was nicht ohnehin schon
entschwunden ist: nämlich religiöse Traditionen und die familiäre Weitergabe
religiösen Denkens.
Das ist die wirkliche Ursache für die so erfreuliche
Säkularisierung, die bei den Menschen bewusst und unbewusst sehr hohe Zustimmung
findet. Die sehr hohe Ablehnung des Islam in Österreich (lt. Umfrage
vom Jänner 2010 stehen bis zu 72 Prozent dem Islam negativ gegenüber) ist sehr
wahrscheinlich auch ein Produkt der Säkularisierung: der Islam bemüht
sich um öffentliche religiöse Manifestierung, Kopftücher, Schwimmverbote für
Mädchen in den Schulen, Forderung nach Minaretten u.ä., die österreichischen
Eingeborenen lehnen das im hohen Maß ab. Sie sind froh, dass ihnen der Pfarrer
nix mehr zu sagen hat, sie sehen daher vielleicht eine Religion, die Frauen
mit Kopftüchern bedeckt, auch als Signal aus einer unangenehmen Vergangenheit.