Türkische Islamisierung

Wie zu befürchten war: die formal als Demokratisierung zu betrachtenden Verfassungsänderungen in der Türkei (siehe Info Nr. 271) sind nun die Basis für die schrittweise Ablösung der von Kemal Atatürk in den 1920er- und 1930er-Jahren verordneten Säkularisierung, in der Türkei wird in den nächsten Jahren die vom Kemalismus eingeführte strikte Trennung von Staat und Religion verschwinden und die Gesellschaft wieder einheitlich islamisch dominiert werden. Die Führer der Re-Islamisierung sind in der Adalet ve Kalkinma Partisi (Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung, AKP) organisiert und haben es schlau gemacht. Ihre Partei hat sich vorerst als reformerisch etabliert, dabei Bereiche aufgegriffen, die der breiten Masse der Menschen Vorteile gebracht hat. Dem Islam direkt zuzuarbeiten, war nicht empfehlenswert, weil die streng kemalistisch ausgerichtete Justiz und das ebenso orientierte Militär hätten sonst eingegriffen: mit Parteiauflösungen, Betätigungsverboten für Politiker und - wie es ja schon geschehen ist - vielleicht sogar mittels Militärputsch die kemalistischen Traditionen gesichert.

Die Verhandlungen der Türkei um einen EU-Beitritt haben diese Wege erheblich eingeschränkt, ein Land, das in die EU will, trennt nicht nur Staat und Religion, sondern auch Politik und Justiz und vor allem Politik und Militär. Die Justiz scheiterte mit den Versuchen, gegen Erdogans AKP vorzugehen. Diese Partei hat zurzeit eine deutliche Mehrheit unter der Bevölkerung und im Parlament, die kemalistischen Parteien sind - aus eigenem Versagen - weggeschrumpft.

Der Kurier vom 26. Oktober 2010 berichtet:


Am türkischen Staatsfeiertag (29.10.) wird die Gattin von Präsident Abdullah Gül mit verhülltem Haupt auftreten.
Hayrünnisa Gül hatte bereits für Aufsehen gesorgt, als sie beim Staatsbesuch des deutschen Bundespräsidenten Christian Wulff die militärische Ehrenformation mit Kopftuch abgeschritten ist. Das bisher geltende Kopftuchverbot in öffentlichen Gebäuden wurde für Unis de facto bereits abgeschafft. Formal bleibt das Kopftuch dort zwar verboten, der Zutritt zu den Hörsälen Kopftuchträgerinnen jedoch nicht mehr verwehrt.

Der Widerstand lässt selbst unter den Kemalisten nach, in der größten Oppositionspartei CHP (Cumhuriyet Halk Partisi, Republikanische Volkspartei) ist der Anti-Kopftuch-Kurs inzwischen in Anbetracht des Erfolges der AK-Partei ebenfalls aufgeweicht. Allerdings ist Generalstaatsanwalt Abdurrahman Yalcinkaya, der 2008 knapp mit seinem Verbotsantrag gegen die AKP scheiterte, noch kampfbereit. In der CHP zieht man die Grenze bei einer Aufweichung oder Abschaffung des Verbotes der Kopftücher an Grund- und Sekundarschulen.

In der Türkei wird in säkular ausgerichteten Kreisen sicherlich mit Recht befürchtet, die jetzige Regierung wolle das Land schleichend islamisieren. Die Zahl der Kopftuch-Trägerinnen wächst in der Türkei beständig, ein Zeichen, dass die Re-Islamisierung im Laufen ist und dass sich der politische Islam in diesem Land etablieren wird.

Ein EU-Beitritt eines solchen Landes wäre purer Wahnwitz!

Alice Schwarzer hat geäußert, "das Kopftuch ist seit dem Sieg Khomeinis im Iran 1979 weltweit die Flagge der Islamisten. Wir dürfen nicht länger wegsehen, wir müssen hinsehen, genau hinsehen". Wer immer noch glaubt, das Kopftuch sei bloß eine kulturelle Kleidungsvariante, übersieht dabei, dass dies in der Realität die beständige öffentliche Demonstration des Islamismus ist, es gibt keine definierbare Trennung zwischen Islam und politischem Islam!

Der Islam ist eine politische Ideologie und muss als solche behandelt werden!
Was heißt: im aufgeklärten Europa ist der Islam als eine vormoderne bis mittelalterliche Weltsicht entsprechend zurückzuweisen. Der Säkularismus, dem es in unseren Breiten weitgehend gelungen ist, die religiöse Bevormundung abzuschütteln, hat keinerlei Veranlassung, einer militant antisäkular aktiven Religion freundliche Nasenlöcher zu machen!