In
den seinerzeitigen kommunistischen Staaten gab es in den Schulen Unterricht
im "wissenschaftlichen Sozialismus", im "Marxismus-Leninismus".
Dieser Begriff wurde einstens von Stalin erfunden, der in seiner pfäffischen
Bauernschläue (er war ja gelernter Theologe) sich nicht selbst als Schöpfer
der Ideologie definierte, sondern als Verwalter einer sozusagen "höheren
Lehre", die Schriften von Marx, Engels und Lenin bildeten das ziemlich
umfangreiche "Heilige Buch", Stalins Buch "Fragen des Leninismus"
war der "große Katechismus", seine "Geschichte der Kommunistischen
Partei der Sowjetunion - Kurzer Lehrgang" der "kleine Katechismus".
Chrustschow
schaffte in den 1950er-Jahren dieses auf Stalin ausgerichtete System ab, der
"Marxismus-Leninismus" blieb dem Schulunterricht in abgewandelter
Form jedoch erhalten. In
der DDR wurde von der 7. bis zur 10. Klasse an den Polytechnischen Oberschulen
sowie bis zur 12. Klasse an den Erweiterten Oberschulen "Staatsbürgerkunde"
unterrichtet. Ein Unterricht, der Marxismus in der von der DDR-Regierung festgelegten
Form vermittelte, auf den Fach- und Hochschulen gab es Pflichtlehrgänge im "Marxismus-Leninismus".
Bewirkt
hat dieser Unterricht wenig, denn der vermittelte "wissenschaftliche
Sozialismus" war formelhaft und im realen Leben nicht anwendbar,
weil der reale Sozialismus zwar von "marxistischer Dialektik" sprach,
aber Dialektik als Lehre von den Gegensätzen in den Dingen bzw. den Begriffen,
sowie die Auffindung und Aufhebung dieser Gegensätze keine Anwendung finden
konnte, weil die Partei sowieso immer recht hatte.
Weil in einem Vortrag von Bischof Johannes Friedrich auf der 3. Tagung der 11. Generalsynode der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen
Kirche am 5. November 2010 der
Marxismus-Leninismus auf bemerkenswerte Art Wiederkehr fand. In Deutschland
gibt es ja bekanntlich große Gebiete mit weitgehend religionsloser Bevölkerung.
Wenn in der DDR irgendwas wirklich funktioniert hat, dann war es die Nachhaltigkeit
der Säkularisierung. Die Menschen lernten im Lebensalltag, dass eher der
Parteisekretär hilft als der Jesus und dass Seilschaften nützlicher sind als
Heilige.
Was den Kirchen heute natürlich weh tut. Weil wenn
Religionen und vor allem ihre innerfamiliären Traditionen einmal weg sind, dann
lassen sie sich auf Massenbasis nicht mehr neu verbreiten. Sowohl die Großkirchen
als auch diverse Sekten erlebten in den "neuen Bundesländern" Deutschlands
ihr Waterloo, die religiösen Bindungen gehen dort immer noch zurück, denn der
planmäßige DDR-Materialismus wurde durch den marktmäßigen Materialismus abgelöst. In den
Schulen spielt der Religionsunterricht keine Rolle, dafür wird für alle verpflichtend
Ethikunterricht oder Lebenskundeunterricht angeboten.
Das ist dem Herrn
Bischof Friedrich ein Dorn im Auge: "Mit Sorge ist zu beobachten, dass
angesichts der Veränderungen im Zuge der Einführung der 8-jährigen Gymnasialzeit
in den alten Bundesländern gerade im künstlerischen und affektiven Bereich sehr
schnell gestrichen wurde und gerade die Plausibilität des Religionsunterrichtes
angesichts der sonstigen Stofffülle immer wieder infrage steht. Hier müssen
wir wachsam sein und unverdrossen den Wert des Religionsunterrichtes in der
Öffentlichkeit vertreten."
Den
staatlichen Ethikunterricht für alle sieht der Bischof als besondere Gefahr:
"Angesichts der Infragestellung des Religionsunterrichtes in manchen politischen
Parteien (..) sei auch angemerkt, dass jeder Staat gut beraten ist, wenn er
dafür Sorge trägt, dass die Kinder ganzheitlich gebildet werden, also auch im
religiösen Bereich durch die im Staat vertretenen Religionen, auch gerade im
Sinne der positiven Religionsfreiheit. Die Alternative, dass nämlich der
Staat selbst einen weltanschaulichen Unterricht verantwortet, kann niemandem
gefallen. Denn dann sind die Einflussmöglichkeiten des Staates auf die Kinder
viel zu hoch. Der Marxismus-Leninismus-Unterricht in der DDR ist nur ein abschreckendes
Beispiel dafür."
Wodurch
er - ohne es zu bemerken - nicht nur den Ethikunterricht, sondern auch
den staatlichen Religionsunterricht
mit der marxistisch-leninistischen Staatsbürgerkunde in der DDR gleichsetzt.
Dass es beim Religionsunterricht verschiedene Religionen gibt, spielt dazu in
der Praxis keine Rolle, weil die SchülerInnen ja nach ihrer Religionszugehörigkeit
zugeordnet werden und dort dann die jeweiligen Lehren ihrer Taufreligion erhalten.
Religionsunterricht basiert auf keiner Wissenschaft, Religion ist eine nicht
hinterfragbare Doktrin. So wie der festgemauerte "Marxismus-Leninismus"
im Realsozialismus. Der Realsozialismus ist ökonomisch untergegangen und die
dortige Form des Marxismus verschwunden. Die weltliche Macht der Kirchen ist
weniger geworden, die ökonomische Macht existiert noch, aber der religiöse Marxismus-Leninismus
verliert laufend an Nachfrage.
Um marxistisch zu argumentieren: der gesellschaftliche
Überbau bildet sich aus der ökonomischen Basis und diese Basis ist heute eindeutig
materiell
und wissenschaftlich-technisch. Der Herr Jesus findet keinen Boden unter den Füßen.
Selbst das berühmte Marx-Zitat, "Das religiöse Elend ist in einem
der Ausdruck des wirklichen Elendes und in einem die Protestation gegen das
wirkliche Elend. Die Religion ist der Seufzer der bedrängten Kreatur, das Gemüt
einer herzlosen Welt, wie sie der Geist geistloser Zustände ist. Sie ist das
Opium des Volkes", verliert im aufgeklärten Europa ständig an Bedeutung,
das "Opium des Volkes" wird entweder nicht mehr benötigt oder tritt
in zeitgemäßeren Formen auf.
In
Österreich wurde derweilen der geplante Ethikunterricht für alle Konfessionsfreien
in allen Schulen abgestoppt, (siehe Info Nr. 320)
was zu begrüßen war, weil der österreichische Ethikunterricht infamerweise davon
ausging, dass Religionslose keine Ethik hätten, der Ethikunterricht somit hauptsächlich
ein Versuch war, die Abmeldungen vom Religionsunterricht zu bremsen, weil es
statt Freistunden eine anderweitige Verpflichtung gab. Die laufenden Schulversuche
für den Ethikunterricht werden fortgesetzt. Die Kirchen sind sich in Österreich
inzwischen jedoch auch nicht mehr so sicher, ob ein verpflichtender Ethikunterricht
als Ersatz für die Nichtteilnahme am Religionsunterricht ihren ursprünglichen
Vorstellungen von der Eindämmung der Abmeldungen von Religion entspricht, weil
in den Versuchsschulen ein gut gemachter Ethikunterricht Zuspruch findet.
Es
bleibt in Österreich allerdings die Forderung offen, einen Ethik- oder Lebenskundeunterricht
verpflichtend für alle einzuführen, der Religionsunterricht, der ohnehin
auf immer weniger Interesse stößt (z.B. melden sich in Wien oft Großteile von
Klassen vom Regionsunterricht ab) würde damit zu einem echten Gegenstand für
Minderheiten. Aber selbst wenn ein verpflichtender Ethikunterricht nur für
Konfessionsfreie und Abmelder eingeführt würde: die Kirchen könnten davon kaum
mehr profitieren. Zwangsethik schützt nicht vor Religionsverlust, religiöser "Marxismus-Leninismus" verliert nachfragemäßig in
jedem Fall, weil im realen Leben hat der Materialismus gesiegt, transzendente
Vorstellungen sind individuelle Privatangelegenheiten.