Islam oder Nichtislam ...

... das ist hier die Frage.

In Tunesien wurde die autoritäre Regierung durch eine auf den Gewerkschaften und der Jugend basierenden Bewegung gestürzt, die Islamisten traten nicht in Erscheinung. Am 11. Februar 2011 war auch die Volksbewegung in Ägypten erfolgreich und verjagte den autoritären Herrscher Mubarek. Auch in anderen Ländern im islamischen Bereich sehen die Völker nach ihren Herrschern, denn es ist noch viel Zorn übrig.

Möglicherweise stehen wir vor einer Zeitenwende.

Als seinerzeit in der Sowjetunion Gorbatschow - ohne wirklich vernünftige Reformversuche einzuleiten - den endgültigen Zusammenbruch des Ostblocks in die Wege leitete, ging auf unserer Welt die bipolare Epoche zu Ende, der westliche Kapitalismus hatte gesiegt und war nun Monopolist. In dieser desaströsen Situation bildete sich mangels einer vernünftigen Konkurrenz der politische Islam politdarwinistisch als neuer Gegenpol. Kurz vorher waren Osama Bin Laden und seine Kämpfer noch Verbündete der USA gewesen, nachdem man gemeinsam gegen die Kommunisten in Afghanistan gesiegt und sich im Iran der Islam als antiwestliche Macht etabliert hatte, konnte der politische Islam in Teilen der Welt den Gegenpart zum US-Imperialismus und zur neoliberalen Globalisierung einnehmen. Nine-Eleven und ein von den US-Volltrotteln zweimal gewählter Volltrottel als US-Präsident festigten diese Entwicklung.

Aber es gibt inzwischen auch eine andere Entwicklung. Die VR China hat sich als zweite Weltmacht etabliert, in Südamerika sind die von den USA gesteuerten Regierungen weitgehend verschwunden, die USA sind zwar politisch und ökonomisch noch Weltmacht Nummer eins, aber stark angeschlagen. Andererseits hat die durch den Kapitalismus hervorgebrachte wissenschaftlich-technische Entwicklung unsere Alltagswelt derart verändert, dass auch in konservativen Ländern eine Vorwärtsentwicklung in der Lebensart stattfinden konnte (oder sogar musste). Was aber wiederum den Widerstand traditionell-religiöser Gruppierungen hervorruft: Für den gestrigen Gott, gegen die Welt von heute.
Im Bereich des Islam stehen daher zwei Wege offen: der Weg ins 21. Jahrhundert oder der Weg zur Identifikation mit einer Religion.
Sozusagen Face-Book oder Allah.


Auch in Ägypten haben die "Moslembrüder" beim Sturz Mubareks keine wichtige Rolle gespielt. Bei den Berichten von den Demos sah man zwar auch religiös markierte Frauen, aber es schienen anteilsmäßig weniger zu sein als in einem Wiener U-Bahnwaggon, man sah auch kniende Männer, die Gott dankten für Mubareks Sturz, aber die Mehrheit regte die Fäuste. Wenn es in Ägypten gelingt, dass zukunftsorientierte, aufgeklärte Menschen den Weg bestimmen können, dann hat mit diesen Umstürzen in Tunesien und Ägypten auch der Islamismus eine Niederlage erlitten, wenn in Ägypten - so wie seinerzeit im Iran nach dem Sturz des Schah - jedoch der Islam die tragende Rolle erlangen kann, dann hat die aufgeklärte Welt ein Problem. Weil dann verschärft sich die jetzige Lage beträchtlich, der politische Islam würde dann sogleich auch nach anderen Ländern greifen, das westliche Monopol bekäme einen stärkeren Widerpart. Jedoch einen unberechenbaren und mehr als unnützen Widerpart aus einer Welt von vorvorgestern.