Ethikunterricht für alle?

Die am 4. Mai 2011 abgehaltene parlamentarischen Enquete zur "Werteerziehung durch Religions- u. Ethikunterricht in einer offenen, pluralistischen Gesellschaft" ist offenbar nicht im Sinne ihrer Erfinder abgelaufen. Die ursprüngliche Idee, einen Ethikunterricht einzuführen, kam aus den Kreisen der ÖVP und der katholischen und evangelischen Kirche, alle drei Institutionen sahen die Sache so, dass Nichtteilnehmer am Religionsunterricht in den Oberstufen der AHS und in den BHS zwangsweise einen "Ethikunterricht" zu besuchen hätten, den Religionsfreien wurde damit dezitiert unterstellt, ohne Religion wäre man ein Art unmoralischer Untermensch.

Wie im hier folgenden Bericht der Initiative "Religion ist Privatsache" zu entnehmen ist, schloss sich die Mehrheit der Enqueteteilnehmer dieser Meinung nicht an und gab einem Ethikunterricht für alle den Vorzug. Es könnte also dazu kommen, dass die ursprüngliche Absicht, durch einen zwangsweisen Ethikunterricht für Religionsfreie die Abmeldungen vom Religionsunterricht zu reduzieren, nicht durchsetzbar wird und ein Ethikunterricht für alle, die Teilnahme am Religionsunterricht erst recht obsolet macht. Allerdings versuchten die Anhänger des Zwangsethikunterrichtes mit dem Argument der hohen Kosten für einen allgemeinen Ethikunterricht ihre unmoralischen und diskriminierenden Absichten zu forcieren.

Parlamentarische Enquete zur "Werteerziehung durch Religions- u. Ethikunterricht in einer offenen, pluralistischen Gesellschaft" -ein Resümee

Wien, 4. Mai 2011. Im Rahmen der heutigen parlamentarischen Enquete zur "Werteerziehung durch Religions- u. Ethikunterricht in einer offenen, pluralistischen Gesellschaft" wurde das angekündigte Thema keineswegs abschließend und in Anbetracht der Wichtigkeit des Themenkomplexes - oberflächlich - diskutiert. Doch die Äußerungen, die im Rahmen dieser Veranstaltung zu hören waren, sollten nicht ignoriert werden; sie werden sich höchstwahrscheinlich in den nächsten Wochen und Monaten, bis zur tatsächlichen bundesweiten und flächendeckenden Einführung des Ethikunterrichtes, wiederholen.

Obwohl die Kluft zwischen "Frömmlern" und "Philosophen" aufrecht blieb dürfte der Ethikunterricht eine Aufwertung erlebt haben; so oft wie nie zuvor wurde die Frage gestellt, ob der Ethikunterricht nicht für alle SchülerInnen, konfessionell sowie konfessionsfrei, verpflichtend eingeführt werden sollte.

Experten zunehmend für eine Entkoppelung des Ethikunterrichtes vom Religionsunterricht

Während Prof. Anton Bucher, als erster der Impulsreferenten, noch vorsichtig festhielt, dass ein Ethikunterricht keineswegs bloß einen Ersatz für den konfessionellen Religionsunterricht bilden darf, so fiel Prof. Konrad Paul Liessmann mit klaren Worten auf. Liessmann zufolge entsteht die Dringlichkeit eines für alle SchülerInnen verpflichtenden Ethikunterrichtes im säkularen österreichischen Staat aus eigener Kraft und solch ein Ethikunterricht kann nur ein weltliches Fundament haben. Und zur gängigen Praxis, wie sie seit 14 Jahren im Rahmen des Schulversuches "Ethikunterricht als Ersatzpflichtgegenstand" zu beobachten ist, fand er auch klare Worte: "Ethik ist kein Fach, das nebenbei erledigt werden kann". Dabei bezog er sich auf Schnellkurse, die zunehmend eingesetzt werden um die zunehmend arbeitslosen ReligionslehrerInnen in EthiklehrerInnen zu verwandeln.

hier Prof. Liessmann im Orginalton

(zum Abspielen der mp3 wird Quick-Time-Plug-In oder Ähnliches benötigt)

Die Folgereferate von den Theologen Paul Michael Zulehner und Karl Heinz Auer, langjährige Verfechter des Ethikunterrichtes als Ersatzpflichtgegenstand, lieferten hingegen keine Überraschungen: während beide die angebliche Gleichwertigkeit des konfessionellen Religionsunterrichtes und des Ethikunterrichtes beschworen sah sich Zulehner gezwungen, Floskeln wie "Christliches Europa" bzw. "zunehmend aggressiver Neoatheismus" zu verwenden, um seine Thesen zu unterstützen. Auer verlor sich hingegen in einer gängigen Zirkelschlussargumentation, um den Religionsunterricht als gleichwertigen Lehrfach neben dem Ethikunterricht zu begründen: die angeblich notwendige Kooperation zwischen der Schule und den anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften begründete er mit dem in Österreich geltenden Prinzip der Kooperation zwischen Staat und Kirche.

SPÖ (überwiegend) wortkarg, ÖVP (überwiegend) Pro-Reli

Aus parteipolitischer Seite kamen insbesondere aus den ÖVP-Reihen sowie Organisationen, die sich fest in ÖVP-Hand befinden, wenig überraschende Wortmeldungen: die SprecherInnen waren sichtlich bemüht, das bestehende System zu verteidigen und lediglich den Schulversuch "Ethikunterricht als Ersatzpflichtgegenstand" zugunsten einer flächendeckenden Implementierung genau dieses Systems zu beenden. Auffällig war die häufig verwendete - und entlarvende - Argumentationslinie, wonach ein Ethikunterricht für alle zwar erstrebenswert ist, aus Kostengründen jedoch nicht durchführbar wäre. Resultat: Einführung des bestehenden- und diskriminierenden - Systems.

Wesentlich unverbindlicher zeigten sich hingegen die SPÖ-VertreterInnen, allen voran Bildungsministerin Claudia Schmied: der Ethikunterricht als Ersatzpflichtgegenstand wäre für sie durchaus denkbar.

Grüne überwiegend laizistisch, FPÖ uneinig und BZÖ überraschend kritisch

Daniele Musiol, Verfassungssprecherin der Grünen, nahm eine klare kritische Stellung zum Thema ein: obwohl gegen einen weltanschaulich neutralen und für alle SchülerInnen verpflichtenden Ethikunterricht nichts sprechen würde, so sei die Trennung zwischen Staat und Religion in Österreich, wie beispielsweise die Kreuzanbringungspflicht in Schulen veranschaulicht, "schlampige". Damit sprach sie die Gefahr einer möglichen Konfessionalisierung und Politisierung des Ethikunterrichtes an.
Während Walter Rosenkranz (FPÖ) den gesamten Themenkomplex infrage stellte und sowohl den Religionsunterricht als auch den Ethikunterricht sich sogar als Wahlfächer vorstellen konnte so sorgte Stefan Petzner (BZÖ) am Ende der Enquete mit zwei Bemerkungen für ein allgemeines Aufhorchen: zum einen warnte er vor den Gefahren, die eine staatlich angeordnete und durchgeführte "Werteerziehung" in sich bergen kann. Seinen Beitrag schloss er mit einem subtilen Angriff auf die Religionsgemeinschaften und insbesondere auf die katholische Kirche: die Diskussion um den Ethikunterricht sei ohnehin großteils durch Verfehlungen der Religionsgemeinschaften hervorgerufen worden. Diese verabsäumten es, den konfessionellen Religionsunterricht zeitgemäß und den neuen Fragestellung entsprechend zu gestalten.

Ein Novum: Die konfessionsfreie Stimme im Plenum

Prof. Heinz Oberhummer durfte als einziger Vertreter einer dezidiert nichtkonfessionellen Weltanschauung die Enquete-TeilnehmerInnen adressieren, auch wenn lediglich als geladener Experte der Grünen. In den 3 Minuten, die ihm zu Verfügung standen, wies er auf den Umstand hin, dass der Ethikunterricht als Ersatzpflichtgegenstand dazu diene, konfessionsfreie SchülerInnen, die sich vom Besuch des Religionsunterrichtes abgemeldet haben, dennoch in die Einflusssphäre der Konfessionen zu zwingen.

Forderungen des Expertenbriefes auch im Rahmen der Enquete hörbar

Mit nicht wenig Genugtuung kann festgehalten werden, dass die drei Forderungen, die dem offenen Expertenbrief der Initiative Religion ist Privatsache zu entnehmen waren, im Rahmen der Enquete klar und deutlich zu hören waren. Zum einen wurde die Notwendigkeit, einen Ethikunterricht im österreichischen Bildungssystem zu integrieren hinterfragt; auf Fachebene wurde solch eine Notwendigkeit auch erkannt. Ferner sprach sich die Mehrheit der Delegierten, wenn auch teilweise bloß als Lippenbekenntnis, für die weltanschauliche Neutralität eines Ethikunterrichtes aus. Und der mehrheitlich geäußerte Wunsch, einen Ethikunterricht flächendeckend und für alle SchülerInnen, unabhängig davon, ob sie den konfessionellen Religionsunterricht besuchen oder nicht, einzuführen, entspricht der dritten und wichtigsten Forderung des Expertenbriefs, die derzeit gelebte Diskriminierung zu beenden.
Dass Anas Schakfeh (IGGiÖ) und Eckehard Quin (GÖD) sich, unter dem Vorwand des angeblichen Kostenvorteils, gegen diese Forderung geäußert haben, ist verständlich: ein flächendeckend eingeführter (Pflicht-)Ethikunterricht samt Religionskunde würde für den konfessionellen Religionsunterricht das Aus bedeuten.

Was bringt die Zukunft?

Auch wenn erfreulicherweise die Forderung nach einer flächendeckende Einführung des Ethikunterrichtes für alle SchülerInnen, also konfessionelle sowie konfessionsfreie, lauter geworden ist, so ist realistischerweise dennoch eine "österreichischen Lösung" zu befürchten. Die regierungsnahen SprecherInnen ebneten im Rahmen dieser Enquete dem Ethikunterricht als Ersatzpflichtgegenstand den Weg und daran wird sich in nächster Zeit vermutlich wenig ändern. Vorgetäuschte Finanzierungsüberlegungen werden künftig ausschlaggebend sein für die Aufrechterhaltung der Diskriminierung zwischen SchülerInnen, die den konfessionellen Religionsunterricht besuchen, und jene, die den Ethikunterricht als Ersatzpflichtgegenstand besuchen werden (müssen). Den Vorschlag, den staatlich finanzierten Religionsunterrichtes abzuschaffen, um die Finanzierungslücke schließen zu können, wird wohl keiner zu äußern wagen.