Inkarnation der "blonden Bestie"

Hartmut Krauss sieht im norwegischen Attentäter eine verblüffend passförmige Inkarnation von Nietzsches blonder Bestie

Bei dem norwegischen Attentäter, der zunächst im Osloer Regierungsviertel Bomben zur Explosion brachte und dann mordlüstern auf der Insel Utoya umherschweifte, handelt es sich nach mittlerweile vorliegenden Informationen offensichtlich um einen Vertreter des neuen eklektischen Rechtskonservatismus mit gleitenden Übergängen zum Rechtsradikalismus. Die Tat reiht sich ein in die Tradition folgender rechtsterroristischer Attentate: Anschlag auf den Hauptbahnhof in Bologna 1980 (85 Tote); Attentat auf das Münchener Oktoberfest 1980 (13 Tote); Bombenanschlag auf das Murrah Federal Building in Oklahoma City 1995 (168 Tote). Hinzu kommen eine ganze Reihe von Mordanschlägen auf Abtreibungsärzte in den USA.

Genau so, wie man den Islamismus nicht als das "ganz Andere" dem orthodoxen Islam gegenüberstellen kann, so gibt es auch eine inhaltlich sehr ausgeprägte Affinität von "Konservatismus" und "Rechtsradikalismus", die einen gleitenden wechselseitigen Übergang garantiert. Die Unterschiede bestehen hier primär nicht in den grundlegenden Überzeugungsinhalten und Feindbildern, sondern in strategisch-operativen Positionsdifferenzen: Verzicht auf unmittelbar offene Gewaltanwendung; Aufrufe zur aktuellen kollektiven Gewaltanwendung ; individuelle terroristische "Propaganda der Tat" etc.

Das Kernmerkmal dieser Strömung besteht in der Vermischung von folgenden ideologischen Grundkomponenten, die subjektiv unterschiedlich kombiniert und gewichtet werden:
1. Christlicher Fundamentalismus;
2. Völkischer Nationalismus;
3. Autoritärer Wertekonservatismus;
4. ethnischer Überlegenheitschauvinismus mit bisweilen offen rassistischen (stammesideologischen) Zügen;
5. Demagogisch-undifferenzierter Antimarxismus (in dessen Rahmen Stalinismus, die 68er-Bewegung, die grün-alternative Bewegung, der Feminismus, gutmenschlicher Multikulturalismus und konsumistischer Hedonismus in einen Topf geworfen und zu einem trüben Hassbild verrührt werden);
6. populistische Anti-Muslim-Propaganda (die der fortschrittlich-emanzipatorischen islamkritischen Bewegung schadet, da sie der Islamapologetik ein willkommenes Alibi für pauschale Diskriminierung und billige Abwehrideologie bietet. In diesem Sinne ist die rechte Islamkritik ein unverzichtbarer Komplize der "politisch korrekten" Islamverteidigung).


so positionierte sich Anders Behring Breivik im Internet

War für den Nationalsozialismus der jüdische Bolschewismus der Hauptfeind, so ist es für Anders Behring eindeutig der "Kulturmarxismus" im o. g. Sinne. Es wird die paradoxe Behauptung aufgestellt, Marx, Engels, Lukacs, Gramsci, Reich, Adorno etc. seien für die verharmlosende Schönfärbung nichtwestlicher Herrschaftskulturen, den spätkapitalistischen Nihilismus, den proftitlogisch kalkulierten Schulterschluss mit arabischen Ölscheichs und iranischen Mullahs sowie den grün-alternativen Multikulturalismus und Kulturrelativismus verantwortlich. Tatsächlich aber ist Anders Behring als personale Schnittstelle rechtskonservativ-rechtsradikaler Ideologieablagerungen ein zwar überaus abscheulicher, aber eben auch passgenauer Beleg für die (marxistische) Konservatismus- und Faschismuskritik eines Lukacs, Reich, Adorno etc.

Dass die ideologische Paradoxie mit Psychopathologie untrennbar verquickt ist, zeigt sich darin, dass ausgerechnet eine norwegische sozialdemokratische Jugendorganisation ("Stoltenberg-Jugend"), die objektiv wohl kaum als Zentrum des "Kulturmarxismus" fungiert, als Opfer des Massakers ausgesucht wurde. Halten wir also nach allen Seiten explizit und mit Nachdruck fest: Nicht Muslime und Ausländer, sondern einheimische norwegische Kinder und Jugendliche als vermeintlich "kulturmarxistischer Nachwuchs" wurden niedergemetzelt!

Das Gedankengebäude, das der Attentäter repräsentiert, entspricht dem Profil zahlreicher Blogger und Diskutanten im Internet. Insofern wird man den Geist nicht mehr in die Flasche zurück bewegen können. Dennoch wird die "konservative Islamkritik" an diesem Attentat genau so zu leiden haben wie die Parteikommunisten am Zusammenbruch des Realsozialismus. Wer wird von ihr jetzt noch ein Stück Brot annehmen wollen? Schon fast rührend mutet da der folgende Diskussionbeitrag auf dem Internetportal Politically Incorrekt an: "Patrionald (23. Jul 2011 08:50): Dieses verfluchte Arschloch hat der europäischen Anti-Islam-Bewegung unfassbaren Schaden zugefügt. Umso wichtiger ist es nun auch für diesen Blog, sich ganz klar abzugrenzen gegen Rechtsradikalismus. Und auch die Qualität der verschiedenen Beiträge sollte kontrolliert werden; schließlich ist Sprache ein wichtiges Etikett und Polemik hat noch wirklich nie etwas gebracht. Man hätte sich gewünscht, dass auch in Norwegen ein "Sarrazin" sich der Islam-Problematik und Einwanderungsthematik annimmt und analytisch nüchtern argumentiert - und nicht so ein krankes Arschloch! Mein Beileid den Opfern dieses feigen Schweines."

Bei allem Abscheu vor der Tat dieses "antikulturmarxistischen" Terroristen sollte aber die folgende eherne Wahrheit nicht vergessen werden: Gemessen an der Größe und Permanenz der Blutspur des islamischen Terrorismus verblasst selbst diese grauenvolle Tat.