Kirche verliert Wahl in Polen

Überraschungserfolg für antiklerikale Partei bei Parlamentswahl. Regierung im Amt bestätigt

In Polen hat am Sonntag die rechtsliberale Regierungskoalition von Ministerpräsident Donald Tusk Teilergebnissen zufolge die Parlamentswahl gewonnen. Laut einer Prognose des Instituts TNS OBOP kommen Tusks Bürgerplattform (PO) und ihr Koalitionspartner Bauernpartei (PSL) auf 239 Mandate im 460 Sitze zählenden Sejm. Es wäre das erste Mal seit der Machtübernahme durch bürgerliche Regierungen 1989, dass einer Regierung in Polen die Wiederwahl gelingt. Nach Auszählung von mehr als 93 Prozent erreichte die PO 39 Prozent, die PSL kam auf 8,6 Prozent. Das teilte die staatliche Wahlkommission am Montag mit. Auf den zweiten Platz kam demnach die oppositionelle Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) des früheren Ministerpräsidenten Jaroslaw Kaczynski mit 30 Prozent. Die antiklerikale Partei Ruch Palikot, die sich für die Rechte von Homosexuellen und eine stärkere Trennung von Kirche und Staat ausspricht, erhielt bei ihrer ersten Teilnahme an einer Wahl rund zehn Prozent der Stimmen. "Man könnte an ein Wunder glauben, aber wir sind nicht gläubig", kommentierte Parteichef Janusz Palikot das für das katholisch geprägte Land überraschende Ergebnis. Es sei Anlass zur Hoffnung, dass Millionen Polen einen laizistischen, zivilen und offenen Staat wollten, in dem der Glaube Privatsache sei.

Palikots Erfolg wird vor allem als eine Folge der Unzufriedenheit der Wähler mit den etablierten Parteien gewertet. Es sei an der Zeit für seine Art der Liberalisierung, da das Land säkularer geworden sei, sagte Palikot, der vor allem unter jungen Polen Unterstützung fand.

Gemessen an polnischen Maßstäben seien einige Ansichten des 46jährigen geradezu radikal, kommentierte die Korrespondentin der Nachrichtenagentur AP, Vanessa Gera. In einem Interview im Vorfeld der Abstimmung hatte Palikot angekündigt, sofort die Entfernung des Kruzifix' aus dem Plenarsaal des Sejm, der Abgeordnetenkammer, zu verlangen. Die Kirche sei absolut zu mächtig und trage zur so­zialen Scheinheiligkeit bei.

Die katholische Kirche hat in Polen noch immer großen Einfluss auf das öffentliche Leben. Abtreibungen sind bis auf wenige Ausnahmen illegal, und Partnerschaften von Homosexuellen werden nicht anerkannt. Es sei jedoch "nur eine Illusion, dass Polen so extrem katholisch ist", zeigte sich Palikot hingegen überzeugt. Jüngere Studien hätten gezeigt, dass sich die allermeisten Polen zur katholischen Kirche bekennen würden, die meisten aber nicht regelmäßig in die Kirche gingen. "Wir wollen Religion aus den öffentlichen Räumen entfernen", erklärte Palikot. Der ehemalige Wein- und Wodka-Produzent spricht sich aber auch gegen Gesetze aus, die die Beleidigung des Präsidenten oder der Religion einer Person zur Straftat erklären.

Das sozialdemokratisch orientierte Bündnis der demokratischen Linken (SLD) erreichte bei den Wahlen acht Prozent. In Warschau wurde damit gerechnet, dass Tusk versuchen könnte, einige der Abgeordneten dieser Partei in seine Koalition herüberzuziehen, um die knappe Mehrheit auszubauen.

(Aus: Junge Welt vom 11.10.2011)