"Der deutliche Rückgang bei den Kirchenaustritten ist ein Zeichen
dafür, dass die Kirche wieder Vertrauen aufbauen konnte." Das erklärte
der Medienreferent der Bischofskonferenz, Paul Wuthe, mit Blick auf die aktuellen
Katholikenzahlen. Ein Grund dafür sei "in den klaren Worten und konkreten
Maßnahmen der Bischofskonferenz gegen Gewalt und Missbrauch im kirchlichen Bereich"
zu sehen. Sie hätten "die Glaubwürdigkeit der Kirche gestärkt, wenn auch
die Enttäuschung bei vielen Kirchenmitgliedern nach wie vor spürbar bleibt".
Gleichzeitig
unterstrich Wuthe die Tatsache, dass die katholische Kirche die "mit Abstand
größte Institution in Österreich ist, der rund 5,4 Millionen Frauen und Männer
freiwillig angehören". Inmitten einer sehr dynamischen Gesellschaft würde
sich die Kirche nach wie vor als sehr stabil erweisen. Für die allermeisten
Katholikinnen und Katholiken bleibe die Kirche "eine geistliche Heimat,
ein Ort des Glaubens und der christlichen Nächstenliebe auch und gerade in schwierigen
Zeiten", so Wuthe.
Er streicht alles glatt. Ein Drittel weniger Austritte als 2010, das ist
ein Aufwärtstrend. Sogar die Glaubwürdigkeit der Kirche ist wieder gestärkt.
Dazu dann die kühne Behauptung, dass der r.k. Kirche "rund 5,4 Millionen
Frauen und Männer freiwillig angehören". Nahezu alle diese 5,4 Millionen
sind jedoch Opfer der Säuglingstaufe und wurden nie gefragt, ob sie Kirchenmitglied
werden wollen.
Die politischen Parteien hätten auch deutlich mehr
Mitglieder, wenn es seit Generationen üblich wäre, schon für Neugeborene Parteibücher
auszustellen. Zwar kann man ab 14 aus der Kirche austreten, aber es ist
immer noch ausreichend "Schicksal" vorhanden, um den Kirchenaustritt
zu keiner echten Massenbewegung werden zu lassen. SPÖ und ÖVP hatten früher
viel mehr Mitglieder. Wegen des Arbeitsplatzes und der Wohnung war es hilfreich,
bei der jeweils passenden Partei zu sein. Jetzt ist diese Parteibuchwirtschaft ziemlich abgekommen
und damit auch die Mitgliedschaft.
Die Religion hat gegenüber einer
Partei den Vorteil, dass die Religion in der realen Welt nicht so leicht durchschaubar
ist. Ob wer von der Partei einen Posten bekommt, ist gleich erkennbar, ob
Gott geholfen hat, das muss man glauben. Und wenn man ein bisschen dran glaubt,
dann weiß man ja auch nicht so recht, ob der liebe Gott nicht doch beleidigt
ist, wenn man keine Kirchensteuer mehr zahlt, somit zahlt man vorsichtshalber.
Und außerdem gibt es ja auch heute noch den sozialen Zwang: die Oma tät sich
kränken, wenn die Enkel nimmer katholisch sind, den Kindern könnte es in der
Schule schaden, weil die Frau Lehrerin singt im Kirchenchor, die Erbtante geht
jeden Sonntag in die Kirche u.ä.m.
Woraus sich ergibt, dass die Vermutung
"für die allermeisten Katholikinnen und Katholiken bleibe die Kirche eine
geistliche Heimat, ein Ort des Glaubens und der christlichen Nächstenliebe",
weitab von der Realität liegt. Anzunehmen, dass die allermeisten der 5,4
Millionen Mitglieder der katholischen Kirche diese als "Heimat" sehen
und mit dem Glauben tatsächlich verbunden wären, zeigt höchstens eine absurde
Weltfremdheit im Kirchenapparat.
Laut kircheneigenen Angaben verlor
die röm.-kath. Kirche zwischen 2003 und 2010 22,1% Gottesdienstteilnehmer, 10,5%
Taufen, 20,3% Erstkommunionen, 10,5% Begräbnisse und 390.000 Mitglieder.
Die Wiener Pastoraltheologin Regina Polak meinte lt. kath.web u.a.,
ein Erosionsprozess bzw. Umbau der katholischen Kirche sei voll im Gang.
Wenn man sich das Verhältnis von Taufen und Eintritten auf der einen Seite zu
den Begräbnissen und Austritten auf der anderen Seite ansieht, sei klar: Die
Kirche werde quantitativ kontinuierlich kleiner. Dieser Trend sei eindeutig,
eine "Schubumkehr" nicht absehbar. Auch der Zuzug von Katholiken nach
Österreich reiche dafür nicht aus. Die grundsätzliche Austrittsbereitschaft
sei hoch, es brauche nur mehr wieder eine größere Krise und die nächste große
Austrittswelle sei vorprogrammiert.
Alarmsignale wolle sie darüber hinaus
im Blick auf die Jugend aussenden. Aus Studien sei klar, dass die Distanz junger
Leute zur katholischen Kirche überdurchschnittlich hoch ist; zum anderen würden
die Jugendlichen durch die demografische Entwicklung immer weniger. Polak: "In
der nächsten Generation wird es massive Einbrüche geben." Die Sorge um
die jungen Menschen müsse deshalb in der Kirche oberste Priorität haben. Polak
plädierte dafür, sich vom traditionellen Bild der Volkskirche zu verabschieden.
Sie wolle für die Zukunft nicht von einer "Elitenkirche" sprechen,
aber von einer "Großkirche", geprägt von einem engagierten Kern bei
gleichzeitiger breiter Ausstrahlung.
Der Pastoraltheologen Paul
Zulehner lobt Schönborns Umgang mit dem Missbrauchsskandal und warnt davor,
"jetzt die Hände in den Schoß zu legen und zu meinen, man kann so weitermachen
wie zuvor". Es könne "kein Zurück vor das Konzil" geben. Es wäre
"eine katastrophale Geschichte", wenn man als Reaktion nun nicht mehr
die "Nähe zu den Menschen" suche, Pfarren für überflüssig erachte
und nur mehr auf großräumige Pastoral setze; denn die Beziehung der Menschen
zur Kirche sei weiterhin "labil" und von einer "latenten Austrittsbereitschaft"
geprägt.
Was bei solchen Statements regelmäßig nicht einmal am Rande gestreift wird, ist die Frage, ob die Probleme für traditionelle Religionsgemeinschaften nicht an der Religion selber liegen. In früheren Zeiten als die Menschen nur ein Minimum an Bildung hatten und daher das Wort des Priesters genügend Platz in den Köpfen fand, um einen vermeintlichen Sinn und eine vermeintliche Ordnung zu erstellen, ging es leicht: Man hatte zu glauben, weil sonst würde Gott nicht helfen, man hatte zu glauben, weil sonst würde Gott strafen. Die Hilfe Gottes wird in der heutigen Zeit weitaus seltener benötigt, weil früher wurde wegen Missernten, Krankheiten und anderen Dingen zu Gott gebetet, heute hat man Kunstdünger, die Krankenkasse und die Sozialversicherung. Den bösen strafenden Gott hat die Kirche selber aus dem Geschäft genommen, die Gottesfurcht ist daher stark gesunken und in den oben angesprochenen jungen Generationen kaum noch vorhanden, man lebt ohne Religion und verspürt trotzdem keine Beklemmungen.
Das Schrumpfen des Glaubens steigert das Schrumpfen in allen Hinsichten: weniger Sonntagsmessbesucher, weniger Alltagsreligiosität, weniger Taufen, weniger Mitglieder. Aber auch die beiden zitierten realistischeren Stimmen glauben daran, dass trotzdem der Glaube eine Ausstrahlung hätte und die Kirchengemeinde einen maßgeblichen Einfluss auf die Menschen. Die Religionsfreiheit wird jedoch immer stärker als Freiheit von Religion wahrgenommen, diese neue Freiheit von Religion ist jedoch keine atheistische Freiheit gegen die Religion mehr, sondern eine Freiheit, weil Religion als entbehrlich erscheint. Oft nicht einmal das: Religion ist einfach egal. "Nicht einmal ignorieren" statt "für" oder "wider". Und das ist gut so.