Nach der russischen Oktoberrevolution waren die Popen aus den Schulen
vertrieben worden, eine der positiven Errungenschaften des "realen Sozialismus".
Letzterer war nach seinem Konkurs sehr rasch durch einen hemmungslosen Neoliberalismus
ersetzt worden, in den Schulen wurde nimmer Marxismus-Leninismus unterrichtet,
aber bisher blieb das Schulwesen von der Wiedereinführung staatlicher religiöser
Indoktrination verschont. Damit ist es nun vorbei, wie Pressemeldungen
zu entnehmen war, ist jetzt fix: ab dem Schuljahr 2012/13 wird ein mehrfach gegliederter
diesbezüglicher Unterricht eingeführt. Seit 2010 liefen in einem Viertel
der russischen Regionen Schulversuche. Nun müssen sich Schüler und Eltern bis
März entscheiden, welchen Unterricht sie für das nächste Schuljahr auswählen:
christlich-orthodoxen, islamischen, buddhistischen, jüdischen Religionsunterricht
oder Ethik oder ein Fach über die Grundlagen der Weltreligionen.
In Russland
ist während der kommunistischen Zeit keine so durchgehende Säkularisierung der
Gesellschaft gelungen wie in der ehemaligen DDR, wo inzwischen um die 80
Prozent der Bevölkerung religionsfrei sind. Für Russland gibt's nur Schätzungen,
da die Religion in amtlichen Papieren nirgends registriert wird (wie in Österreich
auf den Meldezetteln oder in Deutschland auf den Lohnsteuerkarten). Es wird
angenommen, dass um die 100 der 142 Millionen Einwohner sich zu einer religiösen
Gemeinschaft bekennen, die religiösen Aktivitäten beschränken sich allerdings
weitgehend auf die traditionellen Riten zu Geburt, Hochzeit und Tod. Der Einfluss
der russisch-orthodoxen Kirche hat sich hauptsächlich in den ländlichen Gebieten
erhöht. Es ist also nicht anders als bei uns, wo es auch als Maßstab gelten
kann: desto Dorf, desto schwarz, desto Kirche.
Man wird es also spätestens
im Herbst 2012 wissen, wie sich die Religionen und die Religionsfreiheit gut
zwanzig Jahre nach dem Ende der Sowjetunion verteilen.