Ethikunterricht religionsfrei gesehen

Als in den 1990er-Jahren die Kirchen merkten, dass speziell in den Oberklassen und im städtischen Bereich die Abmeldungen vom Religionsunterricht zunahmen und auch die Zahl von Konfessionsfreien anstieg, begann man zu überlegen, was man dagegen mit staatlicher Hilfe unternehmen könnte.

Wobei man klarerweise auf die ÖVP zurückgreifen konnte.
Denn die unsägliche ÖVP-Ministerin Gehrer (das war die Unterrichtsministerin, die meinte die Hälfte von 26 sei 14) predigte sogar, "es ist die Verpflichtung der Gesellschaft, die jungen Menschen mit einem religiösen Grundwissen auszustatten". Was offenbar mittels eines für Nichtteilnehmer am Religionsunterricht verpflichtenden Ethikunterrichts anzustreben war. Die anderen Parteien waren damals folgender Meinungen: die SPÖ war nur für einen Ethikunterricht auf freiwilliger Basis, die Grünen verlangten vorerst ein fertiges Konzept, die FPÖ wollte keine Änderung, das Liberale Forum war für einen verpflichtenden Ethikunterricht für alle. Der Freidenkerbund trat für einen "Lebenskundeunterricht" ein. Für einen zwangsweisen Ersatzunterricht war nur die ÖVP.

Seit dem Schuljahr 1997/98 laufen diesbezügliche Schulversuche. Ganz nach dem ÖVP-Plan: Wer keinen Religionsunterricht besuchte, musste in den Oberstufen der Versuchsschulen sehr häufig bei augenscheinlich hauptberuflich unausgelasteten Katecheten "Ethikunterricht" konsumieren.
Die rechtliche Lage versuchte ich am 29. Juli 1999 in einem Leserbrief in den OÖNachrichten darzustellen:


Der oö Freidenkerbund führte damals beim Verwaltungsgerichtshof eine Klage, weil der Religionsunterricht nicht als allgemeine Verpflichtung, sondern als staatliches Zusatzangebot an anerkannte Religionsgemeinschaften zu sehen wäre. Darum könne die Nichtteilnahme am Religionsunterricht nicht als eine Art Pflichtversäumnis gesehen werden, für das die betreffende Schülergruppe mit einem zwangsweisen Ethikunterricht zu maßregeln wäre. Leider scheiterte die Klage, allerdings nicht inhaltlich, sondern aus formalen Gründen, eine inhaltliche Prüfung fand nicht einmal ansatzweise statt. Da man für solche Fälle Eltern und SchülerInnen braucht, die zu einer Klage bereit wären, konnte dieser Versuch damals leider nicht wiederholt werden.

Der Freidenkerbund veröffentlichte auf seiner Homepage 2004 seine Grundsätze, dort hieß es unter dem Punkt Lebenskundeunterricht:
Aufklärung wirkt nur bei Menschen, welche auch bereit sind, kritisch zu denken. Es ist jedoch keineswegs der Fall, dass alle Menschen dazu bereit oder in der Lage sind. Kritisches Denken aber auch soziales Verhalten müssen genau so erlernt werden wie andere Fertigkeiten. Deshalb setzt sich der Freidenkerbund für einen Lebenskundeunterricht ein, der die Menschen aufklärt und ihnen hilft, sich zu kritischen, sozialen und verantwortungsbewussten Persönlichkeiten zu entwickeln. Die geistige Souveränität soll gestärkt werden, um die Menschen gegen die Neigung zu immunisieren, komplexe Probleme des Lebens mit leicht verständlichen, einfachen aber falschen Ansätzen lösen zu wollen.
Der Freidenkerbund anerkennt den Ethikunterricht nicht als gleichwertige Alternative zum Lebenskundeunterricht. Wir wollen keine Religionslehrer für unseren Lebenskundeunterricht, was beim Ethikunterricht sehr wohl erlaubt ist. Ethikunterricht versteht sich zum überwiegenden Teil als vergleichender Unterricht, wobei der Schwerpunkt auf der Ethik der Religionen liegt. Der Lebenskundeunterricht will jedoch vor allem die Autonomie der Schüler und ihre Kritikfähigkeit stärken. Entscheidungen sollen mit Vernunft und im Geiste des säkularen Humanismus getroffen werden.

Vor Weihnachten 2006 verlangte der oö Landeshauptmann Pühringer einen verpflichtenden Ethikunterricht für Religionslose, wogegen der oö Freidenkerbund Stellung bezog.

ORF-Abendjournal vom 30.11.2007: Geht es nach der Meinung der ÖVP, so sollen künftig alle Schüler, die nicht den Religionsunterricht besuchen, zum ersatzweisen Ethik-Unterricht verpflichtet werden. Anlass für die Forderung ist das Thema Gewalt an den Schulen; dagegen hat sich die ÖVP-Spitze heute einmal mehr ausgesprochen.
Die Vermittlung von Werten sei im Schulalltag ganz zentral, sagt ÖVP-Chef Wilhelm Molterer. Deswegen sei ein verpflichtender Ethik-Unterricht äußerst wichtig, weil - so Molterer - "wir festgestellt haben, dass es in einem bedenklichen Ausmaß Abmeldungen vom Religionsunterricht gegeben hat bzw. weil wir erkannt haben, dass es immer mehr Kinder gibt, die ohne Bekenntnis sind. Und wir wollen einfach, dass diese Wertebasis einer demokratischen Gesellschaft selbstverständlich in der Fläche und breit als verpflichtendes Angebot gemacht wird."
Zusätzliche Kosten für Unterrichtsstunden und Lehrer erwartet der ÖVP-Chef und Finanzminister nicht. Der Ethik-Unterricht könnte durch das bestehende Lehrpersonal bestritten werden, vor allem durch Religionslehrer: "Wenn bestehendes Lehrpersonal dafür auch die Kompetenz hat, und das haben die Religionslehrer, dann ist dieses Argument, es entstehen zusätzliche Kosten aus meiner Sicht nicht gegeben, weil sie müssen ja trotzdem unterrichten."
Somit waren nach Meinung Molterers Religionsfreie für Gewalt in Schulen verantwortlich. Es gab zwar keinerlei Hin- oder Nachweise dafür, aber wer nicht christlich ist, muss nach katholischer ÖVP-Ansicht ein Schweinehund und Gewalttäter sein.

Der gelernte Religionslehrer und oö. Landeshauptmann Josef Pühringer griff im April 2008 die Vorlage seines Parteifreundes Molterer wieder auf und konkretisierte sie in Zusammenarbeit mit den beiden christlichen Kirchen:
Die ÖVP solle ohne Absprache mit ihrem sozialdemokratischen Koalitionspartner einen Gesetzesantrag einbringen, dass alle konfessionslosen SchülerInnen und alle, die sich vom Religionsunterricht abgemeldet haben, an einem zwangsweisen "Ethikunterricht" teilzunehmen hätten. Nicht einmal die Kronenzeitung fand das so toll, siehe Clip vom 1.5.2008.

Soweit aus meinem Archiv. Auf dieser Homepage gibt's in den Infos Nr.
320, Nr. 323, Nr. 336, Nr. 393, Nr. 394, Nr. 408, Nr. 425, Nr. 446, Nr. 451, Nr. 480, Nr. 483, Nr. 628 und der PDF "Wie ethisch ist die Christenlehre?" weitere Berichte und Stellungnahmen zu diesem Themenbereich.

Religiöse Jugendorganisationen für Zwangsunterricht

Aber aktuell ist die Info Nr. 786, weil am 14. März 2012 haben die Jugendorganisationen von Christenkirchen und der islamischen Glaubensgemeinschaft gemeinsam in dasselbe große Horn eines Zwangsunterrichtes für Religionsfreie gestoßen.

Darum soll nun an dieser Stelle der Originalton der religionslosen Seite in Sachen Ethikunterricht zu hören sein, am 7. März 2012 war in der Ö1-Sendung "Journal Panorama" das Thema Ethikunterricht behandelt worden und dort kam auch Philippe Lorre vom Zentralrat der Konfessionsfreien zu Wort:

(zum Abspielen der mp3s wird Quick-Time-Plug-In oder Ähnliches benötigt)

Die Vertreter der Religionsgemeinschaften haben klarerweise nicht das geringste Interesse für einen allgemeinen Ethikunterricht, weil ein solcher würde das ohnehin stark gesunkene Interesse am Religionsunterricht noch weit tiefer sinken lassen. Faszinierend war bei dieser Panorama-Sendung besonders die unglaubliche Heuchelei der Sprecherin der katholischen Kirche:


Es ist und bleibt die klare Linie: es gibt keine Religionspflicht, es gibt keine Pflicht für den Besuch eines Religionsunterrichtes, in Österreich kann ein Ethikunterricht oder ein Lebenskundeunterricht daher nur ein Unterricht für alle oder ein Freigegenstand für alle, aber niemals ein Pflichtunterricht nur für Religionsfreie sein!