Missbrauch: Kirchliche Aufarbeitung gescheitert

Plattform Betroffener kirchlicher Gewalt, Pressekonferenz am 16.4.12: Missbrauch: Kirchliche Aufarbeitung gescheitert - Vertuschung ist nach wie vor üblich - Betroffene, Opposition und Kinderpsychologe ziehen erdrückende Bilanz

Vor zwei Jahren gründete sich aus eigener Kraft die unabhängige "Plattform Betroffener kirchlicher Gewalt"

Allein in den ersten zehn Tagen kontaktierten 150 Opfer aus römisch-katholischen Internaten und Kinderheimen die Hotline der Plattform. Erstmals wurde offenbar, dass der Umgang des römisch-katholischen Personals mit Kindern in geschlossenen Institutionen oft sadistisch und menschenverachtend war.

Klasnic Kommission: Inzest-Verhältnis zwischen Staat u Kirche fortsetzen

Einige Wochen nach der Gründung der Hotline der Betroffenen-Organisation gründet die Bischofskonferenz die Klasnic-Kommission. Der Staat selbst lehnte sich daraufhin bequem zurück. Im glücklichen Österreich wurde so das aus dem Kaiserreich bekannte Inzest- Verhältnis von Kirche und Staat fortgesetzt. Man ließ eine Privatkommission, die von den Beschuldigten konstituiert wurde, unkontrolliert werken. Eine Verteidigungsstrategie der Kirche, hinter der sie ihre eigene Verantwortung versteckt, ist die folgende: die aufgedeckten Verbrechen werden als Missetaten einzelner, verirrter Hirten dargestellt. Die 50er- bis 90-er Jahre wurden als eine Art finsteres Mittelalter der Erziehung umgedeutet, und die in der römisch-katholischen Kirche praktizierten Formen des Umgangs mit Kindern und Jugendlichen als quasi dem damaligen Zeitgeist gemäß beschrieben. Diese Deutung wurde öffentlich und politisch weitgehend abgenickt.

Die Klasnic-Kommission entschädigt Opfer mit Beträgen, die uns nicht nachvollziehbar sind und die nicht argumentiert werden. Dann bringt sie den einen oder anderen Fall der Staatsanwaltschaft zur Anzeige, damit diese den Schwarzen Peter hat und aufgrund der geltenden Rechtslage nicht anders kann, als die Anzeige wegen Verjährung einzustellen. Wovon soll das alles mit diesem großen Aufwand inszenierte Spektakel eigentlich ablenken?

Kirche soll Klagen zivilrechtlich prüfen lassen

In keinem der uns bekannten Fälle ist ein Beschuldigter, aber auch kein Verurteilter römischkatholischer Geistlicher laisiert, also aus dem Priesterstand entfernt, worden. So etwas wäre bei keinem Kindergärtner, keinem Sozialarbeiter im Jugendamt, keinem Lehrer in normalen Schulen denkbar - wer einmal wegen sexuellen Kindesmissbrauchs oder Ausnützung eines Autoritätsverhältnisses rechtskräftig verurteilt ist, ist aus diesem Berufsfeld endgültig draußen! Warum ist das in der Kirche anders?

Es gibt zivilrechtliche Verantwortungen. Die Kirche könnte auf die Einwendung der Verjährung verzichten. Vereinfacht dargestellt, könnte sie sagen: "Ja, das ist zwar verjährt. Aber wir wollen trotzdem, dass die Sachlage geprüft wird. Wir wollen wissen, was damals passiert ist. Wir lassen die eingebrachte Klage zu, stellen uns den Vorwürfen und lassen sie durch ein unabhängiges Gericht prüfen." Das hat die römisch-katholische Kirche unseres Wissens bis heute in keinem einzigen Falle getan.

Ja, es kann sein, dass die Betroffenen, die uns berichten, übertreiben, sich falsch erinnern, Personen verwechseln. Ja, es kann auch sein, dass sie bewusst lügen. Man könnte das alles vor Gericht prüfen. Die Zusammenhänge könnten geklärt werden.

Aussagen PK-Teilnehmer:

Grüner Justizsprecher Albert Steinhauser:
Politik hat Betroffene im Stich gelassen "Zwei Jahre nachdem das Schweigen über sexuelle Gewalt in Einrichtungen der römischkatholischen Kirche gebrochen wurde, muss man resümieren, dass die Politik die Betroffenen im Stich gelassen hat und die römisch-katholische Kirche primär um Schadensbegrenzung bemüht ist. Mit dem Wegschauen der Politik und dem daraus resultierenden Fehlen einer staatlichen Kommission wurde auf eine umfassende Aufarbeitung der sexuellen Gewalt in kirchlichen und staatlichen Einrichtungen verzichtet. Dazu kommt, dass die römischkatholische Kirche nicht offensiv bei der Täterverfolgung mit den Strafbehörden kooperiert. Priester werden nur schleppend und nach massivem Druck vom Pfarrdienst abgezogen. Die Entscheidungen der Klasnic-Kommission lassen die Betroffenen ratlos zurück, weil Ablehnungen nicht begründet werden. Den politischen VerantwortungsträgerInnen muss man darüber hinaus den Vorwurf machen, außer Sonntagsreden keine Konsequenzen gezogen zu haben. Die wichtige Präventionsarbeit im Schulbereich, um Missbrauch erkennen und aufdecken zu können, wurde nicht ausgebaut. Wenn Eltern derartige Projekte nicht selbst finanzieren, können sie nicht stattfinden."

Psychologe Holger Eich: Kirche betreibt umfangreiche Aktenvernichtungen in Deutschland
Es gibt das good practice Beispiel des Erzbischofs von München und Freising, Herrn Marx. Er beauftragte 2010 eine Arbeitsgruppe mit der Aufklärung der Verantwortlichkeiten in Zusammenhang mit den Missbrauchsfällen in seiner Diözese. Die Ergebnisse der von Marion Westphal geleiteten Arbeitsgruppe wurden unzensiert veröffentlicht. Ihr wurden alle Akten der Diözese aus 64 Jahren zur Verfügung gestellt, es wurden Gespräche mit allen Personen, mit denen sie reden wollte, ermöglicht. Es wurde eidesstattlich versichert, dass keine weiteren Akten, als jene, die den Gutachtern vorgelegt wurden, vorhanden sind. Frau Westphal und ihre Mitarbeiter haben einen "unbedingten Aufklärungswillen" erlebt. Sie beklagte allerdings den Zustand der zur Verfügung gestellten Quellen. Sie sprach von "umfangreichen Aktenvernichtungsaktionen", durch die viele Vorgänge nicht mehr nachvollziehbar waren. Sie bemängelt, dass strafrechtliche Verurteilungen von Sexualstraftätern nicht in Akten vermerkt worden waren, dass Gründe für Diözesen-Wechsel verschwiegen worden waren. Zwei Jahre Diskussion über Opfer in Österreich könnte auch heißen: zwei Jahre Möglichkeit der Aktenvernichtung. Es ist, wenn wir die Opfer und den Auftrag der Opfer ernst nehmen wollen, entscheidend, dass wir diese Vorgänge erforschen und unzensiert publizieren dürfen, wie das ja in München offenbar möglich war. Alles, was wir in den letzten zwei Jahren erlebt und gehört haben, zeigt, dass jene Kräfte, die damals dieses System geschaffen und erhalten haben, noch einflussreich und wirksam sind: "Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch".

Sepp Rothwangl: Betroffener Kirchlicher Gewalt
"Wir gehen von mindestens 5000 Betroffenen in Österreich aus und von einigen hundert Tätern. Von 40 beschuldigten Priestern wissen wir explizit, dass sie nach wie vor im Dienst sind und somit ein latentes Gefahrenpotential darstellen.

Im Jahre 1995, als Josef Hartmann den Mut gefunden hatte, seinen Peiniger Kardinal Groer zu outen, überlegte ich als Betroffener, es ihm gleichzutun und rechtlich gegen den Täter vorzugehen, der mein Leben zerstört hatte. Die Reaktionen der Öffentlichkeit, besonders aber die Bösartigkeit Christoph Schönborns gegenüber Josef Hartmann haben mich zutiefst eingeschüchtert. Im Jahre 2010, als ich den Mut zu einer Klage gehabt hätte, war es wegen Verjährung zu spät. Ohne die Plattform Betroffener kirchlicher Gewalt wäre diese Enttabuisierung nicht möglich gewesen.
Vertuschung ist Teil des Deliktes. Wir finden es zynisch, dass Vertuschung mit Verjährung belohnt wird. Wir verlangen von Kardinal Schönborn, dass er zu seinem Wort steht und auf den Verjährungseinspruch verzichtet. Das Gleiche gilt für die Bischöfe und die Orden. Wenn Sie den nächsten Bericht der Klasnic Kommission präsentiert bekommen, werden Sie erfahren welche Summen an Geldern ausbezahlt wurden. Wie viele Frauen und Männer darunter waren und aus welchen Bundesländern sie stammen. Wieviele Therapieplätze bezahlt wurden. Sie werden jedoch nicht erfahren, wie viele Täter es gibt, wie viele prominente Kleriker darunter sind und ob diese überhaupt sanktioniert wurden. Besonders enttäuscht sind wir von der Regierung, die zuließ, dass Gewaltverbrechen an tausenden Kindern nicht aufgeklärt und ordentlich entschädigt werden. Eine künftige Generation wird sich dafür schämen."

Aktuelle Aufgaben der Plattform Betroffener kirchlicher Gewalt

Vernetzung der Betroffenen
Betreuung von Betroffenen
Telefonhotline
Internationale Vernetzung z.b. über die US Gruppe SNAP (Survivors Network of those Abused by Priests), Netzwerk B (D)
Betreiben eines geschützten Internetforums
Ausforschung weiterer Täter bzw. Tätergruppen
Öffentlichkeitsarbeit

Forderungen:
1. Kirchenunabhängige Untersuchung bzw. Aufklärung kirchlicher Gewalt- und Missbrauchsverbrechen nach dem Vorbild Irlands. Internationale Zusammensetzung der Kommission. Einbindung der Betroffenen. Auschschluss von Tätervertreten.
2. Strafverfolgung aller Täter, Helfer- und Helfershelfer, bzw. Vertuscher
3. Angemessene, unabhängig festgelegte Entschädigung für Betroffene, die nicht von der Kirche und ihrer Klasnic-Kommission festgelegt wird.
4. Die Übergabe aller bisher verheimlichten kirchlichen Aufzeichnungen an die Justiz, um die Verjährungskette rekonstruieren zu können. Ziel: Strafverfolgung von Serientätern
5. Alle Betroffenen Kirchlicher Gewalt, sollen, so sie dies wünschen, ihre Akten ausgehändigt bekommen, nach dem Vorbild der DDR, wo geheim angelegte Stasi-Akten an Bespitzelte ausgefolgt werden mussten. Dies ist eine wichtige Hilfe für die Betroffenen, um die Gewalt, die ihnen zugefügt wurde, aufzuarbeiten.
6. Genereller Verzicht vom Verjährungseinwand bei zivilrechtlichen Klagen, so wie von Schönborn 2010 vollmundig angekündigt. Nur so kann es zu einer Klärung der Vorwürfe bzw. der Anspüche durch die Justiz erfolgen.
7. Rückwirkende Aufhebung der Verjährung

www.betroffen.at - HOTLINE: 0699 10 369 369
Spendenkonto: Bank Austria: BLZ 12 000. Konto-Nummer. 515 160 137 19

Siehe dazu auch: "Eine Chronologie kirchlicher Gewalt in Österreich" und  "Zwei Jahre betroffen.at", sowie einen aktuellen Bericht aus der FAZ über die von einer unabhängigen Kommission untersuchten Zustände in den Niederlanden.