Allein in den ersten zehn Tagen kontaktierten 150 Opfer aus römisch-katholischen Internaten und Kinderheimen die Hotline der Plattform. Erstmals wurde offenbar, dass der Umgang des römisch-katholischen Personals mit Kindern in geschlossenen Institutionen oft sadistisch und menschenverachtend war.
Einige Wochen nach der Gründung der Hotline der Betroffenen-Organisation
gründet die Bischofskonferenz die Klasnic-Kommission. Der Staat selbst lehnte
sich daraufhin bequem zurück. Im glücklichen Österreich wurde so das aus
dem Kaiserreich bekannte Inzest- Verhältnis von Kirche und Staat fortgesetzt.
Man ließ eine Privatkommission, die von den Beschuldigten konstituiert wurde,
unkontrolliert werken. Eine Verteidigungsstrategie der Kirche, hinter der sie
ihre eigene Verantwortung versteckt, ist die folgende: die aufgedeckten Verbrechen
werden als Missetaten einzelner, verirrter Hirten dargestellt. Die 50er- bis
90-er Jahre wurden als eine Art finsteres Mittelalter der Erziehung umgedeutet,
und die in der römisch-katholischen Kirche praktizierten Formen des Umgangs
mit Kindern und Jugendlichen als quasi dem damaligen Zeitgeist gemäß beschrieben.
Diese Deutung wurde öffentlich und politisch weitgehend abgenickt.
Die
Klasnic-Kommission entschädigt Opfer mit Beträgen, die uns nicht nachvollziehbar
sind und die nicht argumentiert werden. Dann bringt sie den einen oder anderen
Fall der Staatsanwaltschaft zur Anzeige, damit diese den Schwarzen Peter hat
und aufgrund der geltenden Rechtslage nicht anders kann, als die Anzeige wegen
Verjährung einzustellen. Wovon soll das alles mit diesem großen Aufwand inszenierte
Spektakel eigentlich ablenken?
In keinem der uns bekannten Fälle ist ein Beschuldigter, aber auch kein Verurteilter
römischkatholischer Geistlicher laisiert, also aus dem Priesterstand entfernt,
worden. So etwas wäre bei keinem Kindergärtner, keinem Sozialarbeiter im Jugendamt,
keinem Lehrer in normalen Schulen denkbar - wer einmal wegen sexuellen Kindesmissbrauchs
oder Ausnützung eines Autoritätsverhältnisses rechtskräftig verurteilt ist,
ist aus diesem Berufsfeld endgültig draußen! Warum ist das in der Kirche anders?
Es
gibt zivilrechtliche Verantwortungen. Die Kirche könnte auf die Einwendung
der Verjährung verzichten. Vereinfacht dargestellt, könnte sie sagen: "Ja,
das ist zwar verjährt. Aber wir wollen trotzdem, dass die Sachlage geprüft wird.
Wir wollen wissen, was damals passiert ist. Wir lassen die eingebrachte Klage
zu, stellen uns den Vorwürfen und lassen sie durch ein unabhängiges Gericht
prüfen." Das hat die römisch-katholische Kirche unseres Wissens bis heute
in keinem einzigen Falle getan.
Ja, es kann sein, dass die Betroffenen, die uns berichten, übertreiben, sich falsch erinnern, Personen verwechseln. Ja, es kann auch sein, dass sie bewusst lügen. Man könnte das alles vor Gericht prüfen. Die Zusammenhänge könnten geklärt werden.
Grüner Justizsprecher Albert Steinhauser:
Politik hat Betroffene
im Stich gelassen "Zwei Jahre nachdem das Schweigen über sexuelle Gewalt
in Einrichtungen der römischkatholischen Kirche gebrochen wurde, muss man resümieren,
dass die Politik die Betroffenen im Stich gelassen hat und die römisch-katholische
Kirche primär um Schadensbegrenzung bemüht ist. Mit dem Wegschauen der Politik
und dem daraus resultierenden Fehlen einer staatlichen Kommission wurde auf
eine umfassende Aufarbeitung der sexuellen Gewalt in kirchlichen und staatlichen
Einrichtungen verzichtet. Dazu kommt, dass die römischkatholische Kirche nicht
offensiv bei der Täterverfolgung mit den Strafbehörden kooperiert. Priester
werden nur schleppend und nach massivem Druck vom Pfarrdienst abgezogen. Die
Entscheidungen der Klasnic-Kommission lassen die Betroffenen ratlos zurück,
weil Ablehnungen nicht begründet werden. Den politischen VerantwortungsträgerInnen
muss man darüber hinaus den Vorwurf machen, außer Sonntagsreden keine Konsequenzen
gezogen zu haben. Die wichtige Präventionsarbeit im Schulbereich, um Missbrauch
erkennen und aufdecken zu können, wurde nicht ausgebaut. Wenn Eltern derartige
Projekte nicht selbst finanzieren, können sie nicht stattfinden."
Psychologe Holger Eich: Kirche betreibt umfangreiche Aktenvernichtungen
in Deutschland
Es gibt das good practice Beispiel des Erzbischofs von
München und Freising, Herrn Marx. Er beauftragte 2010 eine Arbeitsgruppe mit
der Aufklärung der Verantwortlichkeiten in Zusammenhang mit den Missbrauchsfällen
in seiner Diözese. Die Ergebnisse der von Marion Westphal geleiteten Arbeitsgruppe
wurden unzensiert veröffentlicht.
Ihr wurden alle Akten der Diözese aus 64 Jahren zur Verfügung gestellt, es wurden
Gespräche mit allen Personen, mit denen sie reden wollte, ermöglicht. Es wurde
eidesstattlich versichert, dass keine weiteren Akten, als jene, die den Gutachtern
vorgelegt wurden, vorhanden sind. Frau Westphal und ihre Mitarbeiter haben einen
"unbedingten Aufklärungswillen" erlebt. Sie beklagte allerdings den
Zustand der zur Verfügung gestellten Quellen. Sie sprach von "umfangreichen
Aktenvernichtungsaktionen", durch die viele Vorgänge nicht mehr nachvollziehbar
waren. Sie bemängelt, dass strafrechtliche Verurteilungen von Sexualstraftätern
nicht in Akten vermerkt worden waren, dass Gründe für Diözesen-Wechsel verschwiegen
worden waren. Zwei Jahre Diskussion über Opfer in Österreich könnte auch heißen:
zwei Jahre Möglichkeit der Aktenvernichtung. Es ist, wenn wir die Opfer und
den Auftrag der Opfer ernst nehmen wollen, entscheidend, dass wir diese Vorgänge
erforschen und unzensiert publizieren dürfen, wie das ja in München offenbar
möglich war. Alles, was wir in den letzten zwei Jahren erlebt und gehört haben,
zeigt, dass jene Kräfte, die damals dieses System geschaffen und erhalten haben,
noch einflussreich und wirksam sind: "Der Schoß ist fruchtbar noch, aus
dem das kroch".
Sepp
Rothwangl: Betroffener Kirchlicher Gewalt
"Wir gehen von mindestens
5000 Betroffenen in Österreich aus und von einigen hundert Tätern. Von 40 beschuldigten
Priestern wissen wir explizit, dass sie nach wie vor im Dienst sind und somit
ein latentes Gefahrenpotential darstellen.
Im Jahre 1995, als Josef Hartmann
den Mut gefunden hatte, seinen Peiniger Kardinal Groer zu outen, überlegte ich
als Betroffener, es ihm gleichzutun und rechtlich gegen den Täter vorzugehen,
der mein Leben zerstört hatte. Die Reaktionen der Öffentlichkeit, besonders
aber die Bösartigkeit Christoph Schönborns gegenüber Josef Hartmann haben mich
zutiefst eingeschüchtert. Im Jahre 2010, als ich den Mut zu einer Klage gehabt
hätte, war es wegen Verjährung zu spät. Ohne die Plattform Betroffener kirchlicher
Gewalt wäre diese Enttabuisierung nicht möglich gewesen.
Vertuschung ist
Teil des Deliktes. Wir finden es zynisch, dass Vertuschung mit Verjährung belohnt
wird. Wir verlangen von Kardinal Schönborn, dass er zu seinem Wort steht und
auf den Verjährungseinspruch verzichtet. Das Gleiche gilt für die Bischöfe und
die Orden. Wenn Sie den nächsten Bericht der Klasnic Kommission präsentiert
bekommen, werden Sie erfahren welche Summen an Geldern ausbezahlt wurden. Wie
viele Frauen und Männer darunter waren und aus welchen Bundesländern sie stammen.
Wieviele Therapieplätze bezahlt wurden. Sie werden jedoch nicht erfahren, wie
viele Täter es gibt, wie viele prominente Kleriker darunter sind und ob diese
überhaupt sanktioniert wurden. Besonders enttäuscht sind wir von der Regierung,
die zuließ, dass Gewaltverbrechen an tausenden Kindern nicht aufgeklärt und
ordentlich entschädigt werden. Eine künftige Generation wird sich dafür schämen."
Vernetzung der Betroffenen
Betreuung von Betroffenen
Telefonhotline
Internationale
Vernetzung z.b. über die US Gruppe SNAP (Survivors Network of those Abused by
Priests), Netzwerk B (D)
Betreiben eines geschützten Internetforums
Ausforschung weiterer Täter bzw. Tätergruppen
Öffentlichkeitsarbeit
Forderungen:
1. Kirchenunabhängige Untersuchung bzw. Aufklärung
kirchlicher Gewalt- und Missbrauchsverbrechen nach dem Vorbild Irlands. Internationale
Zusammensetzung der Kommission. Einbindung der Betroffenen. Auschschluss von
Tätervertreten.
2. Strafverfolgung aller Täter, Helfer- und Helfershelfer,
bzw. Vertuscher
3. Angemessene, unabhängig festgelegte Entschädigung für
Betroffene, die nicht von der Kirche und ihrer Klasnic-Kommission festgelegt
wird.
4. Die Übergabe aller bisher verheimlichten kirchlichen Aufzeichnungen
an die Justiz, um die Verjährungskette rekonstruieren zu können. Ziel: Strafverfolgung
von Serientätern
5. Alle Betroffenen Kirchlicher Gewalt, sollen, so sie dies
wünschen, ihre Akten ausgehändigt bekommen, nach dem Vorbild der DDR, wo geheim
angelegte Stasi-Akten an Bespitzelte ausgefolgt werden mussten. Dies ist eine
wichtige Hilfe für die Betroffenen, um die Gewalt, die ihnen zugefügt wurde,
aufzuarbeiten.
6. Genereller Verzicht vom Verjährungseinwand bei zivilrechtlichen
Klagen, so wie von Schönborn 2010 vollmundig angekündigt. Nur so kann es zu
einer Klärung der Vorwürfe bzw. der Anspüche durch die Justiz erfolgen.
7.
Rückwirkende Aufhebung der Verjährung
www.betroffen.at - HOTLINE: 0699 10
369 369
Spendenkonto: Bank Austria: BLZ 12 000. Konto-Nummer. 515 160 137
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Siehe dazu auch: "Eine Chronologie
kirchlicher Gewalt in Österreich" und
"Zwei Jahre betroffen.at",
sowie einen aktuellen Bericht aus der FAZ
über die von einer unabhängigen Kommission untersuchten Zustände in den Niederlanden.