Glaubt man den österreichischen Medien, geht es in der katholischen Kirche
den ungehorsamen Pfarrern an den Kragen. Kardinal Christoph Schönborn hat ein
Mitglied der Pfarrerinitiative als Dechant abgesetzt. Eine wesentlich mildere
Maßnahme, als man glauben möchte.
Laut den Schlagzeilen österreichischer
Medien führt sich Christoph Schönborn auf wie ein wildgewordener Diktator. Zumindest
für seine Verhältnisse. "Schönborn greift durch: Erstmals Konsequenzen
für "Ungehorsam"", titelt der Standard seine Story. Die ZiB2,
journalistisches Flaggschiff des ORF-Fernsehens, kündigt ihre Berichterstattung
nicht minder dramatisch an: "Kardinal Schönborn greift durch. Er hat den
Pfarrerrebellen ja schon die Rute ins Fenster gestellt, jetzt hat der Kardinal
zugeschlagen: Der Dechant einer niederösterreichischen Gemeinde wurde von Christoph
Schönborn vor die Wahl gestellt, der Pfarrerinitiative den Rücken zu kehren
oder sein Amt aufzugeben." Noch zurückhaltend die "Presse", die
dem kircheneigenen Styria-Verlag gehört: "Ungehorsam": Erste Konsequenz
gegen Pfarrer-Initiative.
Man könnte sich Sorgen machen um den armen
Dechant Peter Meidinger, der laut den Schlagzeilen von einem Tag auf den anderen
brotlos dasteht. Beinahe ein moderner Märtyrer seines Glaubens. Zumindest ein
Opfer seiner Überzeugung, die katholische Kirche könne irgendwie demokratischer
und weniger rigide sein.
Aber so schlimm ist die Sache auch wieder
nicht. Als Pfarrer darf er ja weiter ordinieren. Nur seine Zusatzfunktion
als administrativer Vertreter Schönborns in einem Bezirk im südlichen Niederösterreich
ist er losgeworden. Eine denkbar milde Sanktion gegen einen prominenten Vertreter
einer Gruppierung, die sich so darstellt wie die größte Erneuerungsbewegung
der katholischen Kirche seit zumindest dem Zweiten Vatikanischen Konzil und
medial als Hoffnungsträger für Taufscheinkatholiken oder Beginn eines Schismas
der größten religiösen Organisation der Welt gesehen wird.
Keine schlechte
Bilanz einer Initiative, der nur einige hundert katholische Priester angehören.
Sie bedient die Urgeschichte David gegen Goliath. Dass ein Pfarrer seine Zusatzfunktion
als Dechant verliert, passt hervorragend ins Bild. Und wird medial ausgeschlachtet.
Sei es, dass die Initiative die Geschichte an die Medien gespielt hat. Sei es,
dass ein Journalist zufällig Wind von der Sache bekommen hat. Die Aktion Schönborns
bestätigt das Bild, das die Mehrheit der Journalisten von der Angelegenheit
hat. Und wird entsprechend erhöht. Man hat eine gute Schlagzeile, online wird
es viele Postings geben. Was will man mehr? Nachdenken überlässt man den anderen.
Um
Meinungsverschiedenheiten oder freie Meinungsäußerungen gibt es bei dieser Aktion
bestenfalls in zweiter Linie. Meidinger hat als Dechant Schönborn kaum eine
andere Wahl gelassen, als ihn von der Funktion zu entbinden. Er muss laut Kanonischem
Recht dafür sorgen, dass in seinem Pfarrverband Messen liturgisch einwandfrei
gefeiert werden. Dazu gehört, dass nur ein ordinierter Priester die Predigt
halten darf. Die Pfarrer-Initiative brüstet sich aber geradezu damit, dass sie
auch "qualifizierte Laien" predigen lässt. Was die Frage aufwirft,
was Meidinger macht. Spielt er Dechant, wenn die Pfarrer in seinem Bezirk Laien
predigen lassen und ist nur in seiner eigenen Pfarre "ungehorsam"?
Oder drückt er beide Augen zu und kommt seiner Funktion als bischöfliches Aufsichtsorgan
überhaupt nicht nach?
Nebenbei ist er auch zuständig, Priester anzuhalten,
einen Lebenswandel zu führen, wie ihn das Kirchenrecht vorschreibt. Als Dechant.
Als Mitglied der Pfarrer-Initiative hat er unterschrieben, dass er solidarisch
mit den Pfarrern ist, die in kirchenrechtlich illegalen Beziehungen leben. Wo
endet seine Pfarrersolidarität und wo beginnt seine Aufgabe als Dechant? Zeigt
er Betroffene solidarisch bei Schönborn an? Dass Schönborn so jemandem nicht
zutraut, ihn in einem Pfarrverband zu vertreten, erscheint angesichts dieser
Widersprüche verständlich.
Schönborns Reaktion zeigt weniger einen Hang zum Despotismus als seine
Hilflosigkeit. Er hat sich nicht getraut, Meidinger auch als Pfarrer abzusetzen.
Er weiß, dass er mit einem solchen Schritt ein Schisma riskieren würde. Oder
zumindest eine Welle an Kirchenaustritten. Das kann er nicht gebrauchen. Harte
Sanktionen gegen die Mitglieder der Pfarrer-Initiative sind unmöglich. Dazu
ist sie zu bekannt. Und dazu hat sie mit Helmut Schüller einen zu prominenten
Sprecher. Schüller ist spätestens seit seiner Zeit als Caritas-Chef äußerst
beliebt in der Öffentlichkeit und nutzt diesen Status für seine Anliegen. Den
kann man nicht absetzen. Und wenn man den Chef einer solchen Organisation nicht
absetzen kann, gilt das für die kleineren Mitglieder genauso. Alles andere würde
despotisch und feige erscheinen. Das kann sich Schönborn nicht leisten. Der
Vatikan genauso wenig. Man hat andere Sorgen.
Auch die Pfarrer-Initiative
ist in ihrer Handlungsfähigkeit eingeschränkt. Will sie glaubwürdig bleiben,
muss sie unbedingt vermeiden, dass es zu einem Schisma kommt. Und sie muss ständig
als Underdog erscheinen. Das macht sympathisch. "Wir täten ja gern, aber
die wollen nicht." Dazu gehört auch, dass jede noch so kleine Sanktion
als gemeine Schikane dargestellt wird. Ob man sie selbst an die Medien trägt
oder nur auf Medienanfragen reagiert, ist zweitrangig.
Beide Konfliktparteien
haben sich in ein Patt manövriert, das die Aufmerksamkeit der Journalisten auf
innerkatholische Befindlichkeiten lenkt. Als ob die katholische Kirche jene
gesellschaftliche Bedeutung hätte, die sie vor 50 Jahren hatte. Das Getöse übertönt
die Fragen, die für die österreichische Gesellschaft heute von Bedeutung sind.
Etwa die nach der Aufarbeitung der jahrzehntelangen strukturellen sexuellen,
physischen und psychischen Gewalt an Kindern in Einrichtungen der katholischen
Kirche. Oder die, ob Staat und Kirche nicht doch langsam getrennte Wege gehen
sollten.
Solche Überlegungen sind sperriger als die Neuauflage von David
gegen Goliath und eignen sich weniger für die Schlagzeilen. Würde man es nicht
besser wissen, man könnte die Aufregung um die Pfarrer-Initiative für eine Inszenierung
halten, um von diesen Fragen abzulenken. Aber das dürfte aus Sicht beider Konfliktparteien
nur ein angenehmer Nebeneffekt einer Auseinandersetzung sein, die sie sehr,
sehr ernst nehmen. Allem Theaterdonner zum Trotz.
Quelle: hpd 13.644