Die Beschneidung männlicher Säuglinge wird von den Vertretern der Beschneidungsreligionen und ihren Lobbyisten ständig verharmlost und kleingeredet, auf Info Nr. 968 wurde daher ein Lehrfilm über den Ablauf so einer Beschneidung online gestellt.
Liebe Christine, als SPD-Mitglied, Medizinstudentin kurz vor dem Staatsexamen
und Lebensgefährtin eines Kinderarztes möchte ich Dir gerne ein paar Sachinformationen
geben, von denen ich den Eindruck habe, dass sie beim gestrigen Beschluss des
Bundestages zur Beschneidung von Jungen nicht vorlagen:
Ich habe
Deine Ausführungen zur weiblichen Genitalverstümmelungen im Bundestag gehört
und finde sie sehr richtig. Es ist jedoch eine medizinische Fehlinformation,
die in fast allen Fraktionen vorhanden ist, dass die Vorhaut des Penis anders
gebaut sei als beispielsweise die Labien (kleinen Schamlippen) einer Frau.
Dieser Irrtum entsteht wahrscheinlich dadurch, dass Beschneidungen an Jungen
häufiger und wegen überalterter medizinischer und traditoneller Vorstellungen
auch akzeptierter sind. Das bedeutet aber nicht, dass sie folgenärmer wären.
Sowohl Vorhaut als auch Labien haben eine sehr hohe Dichte verschiedener
Tast-Körperchen. Das sind spezialisierte Sinneszellen.
Dass beide
Gewebe gleich aufgebaut sind liegt daran, dass bei der Entwicklung eines Embryos
im Mutterleib lediglich das Vorhandensein des Y-Chromosoms bestimmt wie die
Form des äußeren Geschlechtsorganes aussieht. Aber eben nur die Form, nicht
zwingend die Funktion. Zur Ausbildung der Form wird das gleiche Gewebe benutzt
weswegen auch dessen Aufbau gleich ist. Ein Gewebe, das voll mit diesen Tast-Körperchen
ist, ist hochempfindlich und erogen. Egal ob es Labie oder Vorhaut heißt. Die
Empfindlichkeit beider übertrifft die von Lippen oder Fingerkuppen um ein Vielfaches
und bilden damit mit die wichtigsten erogenen Zonen von Mann und Frau. Es ist
also keinesfalls zynisch oder unsachlich, wenn die Gegner der Beschneidung darauf
hinweisen, sondern Stand der modernen Medizin, den jeder Medizinstudent in der
Vorklinik lernt.
Eine umfangreiche dänische (englischsprachige)
Studie
von Frisch, Lindholm, and Gronbaek (2011), die die sexuellen Auswirkungen der
Beschneidung untersuchte, stellte fest, dass die Beschneidung eine Vielzahl
sexueller Probleme sowohl für Männer als auch für deren Partnerinnen verursacht.
Die Studie, bei der über 5000 Männer und Frauen untersucht wurden, fand heraus,
dass die Beschneidung mit häufigen Orgasmus-Schwierigkeiten bei Männern und
einer Vielzahl sexueller Schwierigkeiten bei Frauen vergesellschaftet ist, insbesondere
Orgasmus-Schwierigkeiten, Schwierigkeiten mit der Penetration, schmerzhafter
Geschlechtsverkehr und ein Gefühl der unvollständigen Erfüllung der sexuellen
Bedürfnisse.
Die Studie stellte fest, dass während hinsichtlich gelegentlich
auftretender Orgasmusschwierigkeiten kein statistisch signifikanter Unterschied
zwischen intakten und beschnittenen Männern besteht, hinsichtlich häufiger Orgasmusschwierigkeiten
ein beträchtlicher statistischer Unterschied zwischen beiden Gruppen vorliegt.
Beschnittene Männer berichteten dreimal häufiger über häufig auftretende Orgasmusschwierigkeiten
als unbeschnittene Männer.
Wie Du in Deiner Rede betontest, habt ihr
Euch vorher auch nicht medizinisch mit dem Thema befasst - so habe ich das
zumindest verstanden. Das ist ungünstig, denn es ist nicht möglich per Gesetz
zu definieren, wann ein Arzt Körperverletzung begeht. Das ist nahezu immer der
Fall, wenn er sich außerhalb des medizinischen Wissenstandes bewegt und dieser
ändert sich ständig. Medizinischer Wissensstand ist derzeit, dass unnötige Beschneidungen,
egal aus welchem Grund, obsolete sind. Das macht nichts, solange nichts schief
geht, wird jedoch akut, wenn es zu Komplikationen kommt. Egal was ihr also beschließt:
Ein Arzt wird den Eingriff ablehnen müssen.
Prof. Dr. med. Maximilian
Stehr von der Universitätsklinik München beziffert die Komplikationsrate wie
folgt im Interview mit der Frankfurter Rundschau: "Wir reden hier nicht
über einen läppischen Eingriff! Untersuchungen zeigen, dass es bei jedem fünften
Säugling nach der Operation Probleme gibt. Sie sind zum Teil so schwerwiegend,
dass noch einmal operiert werden muss. Es gibt Nachblutungen, Narben, häufig
später eine Verengung der Harnröhrenöffnung, und sogar teilweise Amputationen
des Gliedes habe ich gesehen. Abgesehen davon dürfen wir mögliche Auswirkungen
auf die Sexualität nicht außer Acht lassen, über die immer wieder von Betroffenen
berichtet wird."
Da Universitäten den aktuellen Stand der Wissenschaft
abbilden, wirkt diese Aussage automatisch wie eine Leitlinie. Mal ganz abgesehen
davon, dass solche Komplikationsraten für einen religiösen Eingriff inakzeptabel
sind. Er liegt damit auch nicht neben anderen medizinischen Meinungen, sondern
bildet den aktuellen Stand der Forschung ab, der durch neuere Studien gestützt
wird. Auch der Verband der Kinder- und Jugendärzte hat Maßstäbe für Ärzte gesetzt
und sich klar gegen eine religiöse Beschneidung ausgesprochen. Genauso wie der
Verband der Kinderchirurgen. Einem Arzt sind also ab jetzt sowieso die Hände
gebunden. Eine Rechtssicherheit ist bereits hergestellt: Man darf es, aber wenn
Komplikationen auftreten befindet man sich außerhalb der allgemeinen medizinischen
Meinung und ist voll haftbar. Nicht nur strafrechtlich, sondern vor allem zivilrechtlich,
was meist noch viel schlimmer ist, weil es ruinös teuer werden kann. Zumal dann
unter Umständen die Arzthaftpflicht nicht einspringt, wenn man groben medizinischen
Unsinn macht.
Ob etwas erlaubt oder verboten ist in der Medizin kann
nicht durch den Bundestag geregelt werden. Eine Medizin per Dekret von oben
gab es nur einmal in der Geschichte Deutschlands und die nannte sich "Neue
Deutsche Heilkunde". Gesetze des Bundestages, die bestimmte medizinische
Handlungen erlauben oder verbieten behindern die Weiterentwicklung von Medizinern
und der Medizin. Das kann doch wohl nicht gewünscht sein.
Du erwähntest
auch die Beschneidungen durch Nichtmediziner. Du solltest Dir darüber klar sein,
was das bedeutet: 8 Tage alten Neugeborenen wird ohne Betäubung und per Skalpell
die Vorhaut beschnitten. Nicht in einer Klinik oder einer sterilen Umgebung,
sondern in der Synagoge oder zu Hause. Die Blutung wird nicht gestoppt. Eine
neuere Studie aus den USA beziffert die jährlich dadurch zu Tode kommenden Neugeborenen
mit über 100. Besonders bedrohlich sind dabei Herzstillstand und große Blutverluste.
So ein Neugeborenes hat höchstens 400 ml Blut. Wenn Du Dir ein Glas mit 400
ml Wasser füllst kannst Du Dir vorstellen, wie wenig das ist. Viel zu wenig
um eine Arterie ohne Klemme und Naht zu durchschneiden. Zudem drohen schwere
Infektionen, wenn nicht steril gearbeitet wird. Z, B. HIV, Herpes uns Hepatitis
B, Bakterien aller Art sowieso.
Eine angemessene Betäubung wird es bei
derartigen Beschneidern nicht geben, weil alle Medikamente, die man dazu braucht,
entweder nur der ärztlichen Verwendung vorbehalten sind oder sogar unter das
Betäubungsmittelgesetz fallen. Goldstandard ist eine Narkose plus Penisblock
und alles andere unmenschlich.
Nach Rechtsauffassung verstößt eine derartige
Operationstätigkeit sowieso gegen das Heilpraktikergesetz und auch das UWG (siehe
OVG NRW Az: 13 A 2495/03). Hier wird man der jüdischen Beschneidungstradition
also kaum Zugeständnisse machen können. Orthodoxe Juden werden auch nach einem
Gesetz unbefriedigt bleiben.
Auch eine Beschneidung durch Mediziner ist
in diesem Alter nicht realistisch, weil Anästhesisten, die Neugeborene narkotisieren
können, sehr rar sind. Die Wenigen die es gibt, kümmern sich um wirklich kranke
Kinder, bei denen eine Operation unvermeidbar ist. Es kann ja wohl kein ernsthaftes
Anliegen sein, für einen unnötigen Eingriff rare Fachkräfte zu binden, die anderweitig
viel dringender gebraucht werden. Zudem wird sich kaum einer finden, der das
Risiko einer Neugeborenen-Narkose für eine Schönheitsoperation eingeht. Wer
soll also für eine "angemessene Betäubung" und eine medizinisch "fachgerechte"
Versorgung sorgen?
Über eine fundierte und nicht angstgetriebene Stellungnahme
würde ich mich freuen. Außerdem wäre es sinnvoll sich vor irgendwelchen Beschlüssen
mit den leitenden Kinderärzten und -chirurgen von Universitätskliniken zu unterhalten.
Diese geben sicher gerne Auskunft und erläutern ihren Standpunkt fachlich fundiert.
Mit sozialdemokratischen Grüßen,
Tanja Hindemith - In der Reute 15 - 71566 Althütte / Mitglied der SPD im Rems-Murr-Kreis