Mehr als ein Zipfel Haut

Gastkommentar von Georg Korfmacher (München)  - Publiziert von Frank Berghaus am 31.8.2012 auf wissen-bloggt

Bei der derzeit heftig diskutierten Beschneidung unmündiger Knaben geht es um mehr als um einen Zipfel Vorhaut. Unsere Gesellschaft hat sich stark geändert und ändert sich immer schneller. Diesen Veränderungen müssen wir uns stellen, offen und ehrlich, ohne Scham, Vorurteile und Schuldgefühle.

Wer durch Geburt oder freiwillige Entscheidung Mitglied unserer Staatsgemeinschaft ist, unterliegt nolens volens unserem Grundgesetz. Dort sind alle Grundrechte festgeschrieben die in keinem Falle in ihrem Wesensgehalt angetastet werden dürfen. (GG Art. 19 (2))

In der derzeit tobenden Diskussion um religiös bedingte Beschneidung von Unmündigen sind folgende grundsätzlichen Regeln unserer Verfassung zwingend:
1.Niemand darf zu einer kirchlichen Handlung oder Feierlichkeit oder zur Teilnahme an religiösen Übungen oder zur Benutzung einer religiösen Eidesform gezwungen werden. Art.140 GG (§ 136 WRV);
2.Jede Religionsgesellschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes. Art.140 GG (§ 137 WRV);
3.Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Art.2 (2) GG;
4.Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft. Art. 6 (2) GG;

All diese Grundrechte sind Menschenrechte. Diese zu vertreten und zu verteidigen muss ein fundamentales Anliegen aller aufrechten Demokraten sein. Beim Beschneidungsurteil von Köln handelt es sich zwar um eine jener allzu voreilig und leichtfertig abgetanen Einzelfallentscheidungen, aber es ist vor allem eine Chance, die aufgeworfene Problematik grundsätzlich und offen zu diskutieren. Da braucht man sich nicht schamhaft hinter angetanem Unrecht zu verstecken. Unsere Geschichte ist voll davon, jeder gegen jeden und allen voran die Catholica. Auch die Meinung des Ethik-Rates ist nur eine unter vielen und eher fragwürdig, wenn 50% seiner Mitglieder durch religiöse Funktionen befangen sind.

Der rechtliche Rahmen ist haarklein und messerscharf im GG vorgegeben. Sonderregelungen sind daher nicht nötig und höchstwahrscheinlich verfassungswidrig. Hier sind vor allem die betroffenen Religionsgemeinschaften gefordert, auch die christlichen. Sie müssen sich klar werden und festlegen, wie sie ihre religiösen Rituale im Rahmen der für uns alle geltenden Gesetze regeln wollen. Uns steht eine interessante Diskussion bevor. Es geht wirklich um mehr als um einen Zipfel Vorhaut. Es geht um die Würde des Menschen, insbesondere des wehrlosen.