In der öffentlichen politischen Debatte wie in den Medien hat sich seit geraumer
Zeit die sprachliche Verwilderung eingebürgert, jede Form von Kritik an Personen mit jüdischem Herkunftshintergrund oder
an der jüdischen Religion unter den Begriff "Antisemitismus"
zu subsumieren. Einen erneuten Höhepunkt erlebte diese undifferenzierte Vermischung
und Transformation des Antisemitismusbegriffs in eine Diffamierungskeule soeben
im Rahmen der Auseinandersetzung über die religiös motivierte Genitalbeschneidung
unmündiger Knaben.
Tatsächlich handelt es sich beim Antisemitismus um eine rassistische Form
der Judenfeindschaft. Sein Kernmerkmal ist die irrationale bzw. ideologisch-manipulative
(semantische) Umwandlung von Menschen, die von religiös-jüdischen Vorfahren
abstammen, in einen unveränderbar bösartigen, rassischen "Blutjuden"
- ganz egal, wie er sich zur jüdischen Religion verhält. So kann man Marx, Freud,
den deutsch-nationalen Mitbürger, den "raffenden" Kapitalisten und
den ultraorthodoxen Rabbi in einen Topf werfen und als wesensgleiche "Erzverderber"
verteufeln. Reale Sachverhalte, empirisch-konkrete Wirklichkeitsaspekte spielen
in diesem eliminationssüchtigen Wahnsystem keine Rolle. Egal, wie sich der als
"blutjüdisch" identifizierte Mensch auch verhalten mag, er/sie ist
als a priori Unreine/r zu beseitigen.
Vom rassistisch konstruierten Antisemitismus grundsätzlich zu unterscheiden
sind der christliche sowie der heute besonders ausgeprägte und virulente islamische
Antijudaismus. Sein Kernmerkmal sind konkurrenzreligiöse Antriebskräfte und
Feindseligkeiten, die sich bis zum eliminatorischen Hass aufschaukeln können
und sich realgeschichtlich wie auch in der Gegenwart immer wieder ausgelebt
haben und ausleben. Tatsächlich fungiert die gesamte islamische Überlieferung
als reichhaltige Quelle vielfältiger und aggressiv gepflegter Feindbilder gegen
Un- und Andersgläubige, darunter insbesondere auch Juden. In dem Maße, wie sich
die Juden im islamischen Herrschaftsgebiet von Dhimmis ("Schutzbefohlene",
die sich den islamischen Herrschern unterordnen) zu durchsetzungs- und
behauptungsfähigen Gründern eines eigenen Staates entwickelten, wurde der islamische
Antijudaismus noch einmal "aufgeladen" und verstärkt. Heute und zukünftig
ist davon auszugehen, dass primär die islamischspezifische Form des Antijudaismus
auf dem Vormarsch ist. Das gilt auch für Deutschland und Europa.
Vom rassistischen Antisemitismus und konkurrenzreligiösen Antijudaismus strikt
abzugrenzen ist die rationale Ideologiekritik des orthodoxen und ultraorthodoxen
Judentums. Hierbei geht es um die grundsätzliche kritisch-humanistische Zurückweisung
der auch im Judentum anzutreffenden Anmaßung, aus der unbewiesenen und unbeweisbaren
Behauptung der Existenz Gottes einen strikten Regelkanon abzuleiten, diesen
als Richtschnur zu verabsolutieren und den universell gültigen menschenrechtlichen
Regelungen überzuordnen.
Diese Kritik als "Antisemitismus" zu verleumden ist ebenso absurd
wie kontraproduktiv und kann auch nicht mit dem Verweis auf die Verbrechen Hitlerdeutschland
gerechtfertigt werden. Denn es sind ja gerade die Vertreter der kritisch-humanistischen
Gesellschafts- und Ideologiekritik, die alle Formen zwischenmenschlicher Herrschafts-
und Unterdrückungsverhältnisse, darunter sowohl faschistische, aber eben auch
religiös-fundamentalistische verurteilen und bekämpfen.