Antisemitismus und Religionskritik

Hartmut Krauss
Antisemitismus, islamische Judenfeindschaft und Kritik an der jüdisch-orthodoxen Weltanschauung darf man nicht in einen Topf werfen.

Ein Aufruf zur angemessenen Differenzierung

In der öffentlichen politischen Debatte wie in den Medien hat sich seit geraumer Zeit die sprachliche Verwilderung eingebürgert, jede Form von Kritik an Personen mit jüdischem Herkunftshintergrund oder an der jüdischen Religion unter den Begriff "Antisemitismus" zu subsumieren. Einen erneuten Höhepunkt erlebte diese undifferenzierte Vermischung und Transformation des Antisemitismusbegriffs in eine Diffamierungskeule soeben im Rahmen der Auseinandersetzung über die religiös motivierte Genitalbeschneidung unmündiger Knaben.

Tatsächlich handelt es sich beim Antisemitismus um eine rassistische Form der Judenfeindschaft. Sein Kernmerkmal ist die irrationale bzw. ideologisch-manipulative (semantische) Umwandlung von Menschen, die von religiös-jüdischen Vorfahren abstammen, in einen unveränderbar bösartigen, rassischen "Blutjuden" - ganz egal, wie er sich zur jüdischen Religion verhält. So kann man Marx, Freud, den deutsch-nationalen Mitbürger, den "raffenden" Kapitalisten und den ultraorthodoxen Rabbi in einen Topf werfen und als wesensgleiche "Erzverderber" verteufeln. Reale Sachverhalte, empirisch-konkrete Wirklichkeitsaspekte spielen in diesem eliminationssüchtigen Wahnsystem keine Rolle. Egal, wie sich der als "blutjüdisch" identifizierte Mensch auch verhalten mag, er/sie ist als a priori Unreine/r zu beseitigen.

Vom rassistisch konstruierten Antisemitismus grundsätzlich zu unterscheiden sind der christliche sowie der heute besonders ausgeprägte und virulente islamische Antijudaismus. Sein Kernmerkmal sind konkurrenzreligiöse Antriebskräfte und Feindseligkeiten, die sich bis zum eliminatorischen Hass aufschaukeln können und sich realgeschichtlich wie auch in der Gegenwart immer wieder ausgelebt haben und ausleben. Tatsächlich fungiert die gesamte islamische Überlieferung als reichhaltige Quelle vielfältiger und aggressiv gepflegter Feindbilder gegen Un- und Andersgläubige, darunter insbesondere auch Juden. In dem Maße, wie sich die Juden im islamischen Herrschaftsgebiet von Dhimmis ("Schutzbefohlene", die sich den islamischen Herrschern unterordnen) zu durchsetzungs- und behauptungsfähigen Gründern eines eigenen Staates entwickelten, wurde der islamische Antijudaismus noch einmal "aufgeladen" und verstärkt. Heute und zukünftig ist davon auszugehen, dass primär die islamischspezifische Form des Antijudaismus auf dem Vormarsch ist. Das gilt auch für Deutschland und Europa.

Vom rassistischen Antisemitismus und konkurrenzreligiösen Antijudaismus strikt abzugrenzen ist die rationale Ideologiekritik des orthodoxen und ultraorthodoxen Judentums. Hierbei geht es um die grundsätzliche kritisch-humanistische Zurückweisung der auch im Judentum anzutreffenden Anmaßung, aus der unbewiesenen und unbeweisbaren Behauptung der Existenz Gottes einen strikten Regelkanon abzuleiten, diesen als Richtschnur zu verabsolutieren und den universell gültigen menschenrechtlichen Regelungen überzuordnen.

Diese Kritik als "Antisemitismus" zu verleumden ist ebenso absurd wie kontraproduktiv und kann auch nicht mit dem Verweis auf die Verbrechen Hitlerdeutschland gerechtfertigt werden. Denn es sind ja gerade die Vertreter der kritisch-humanistischen Gesellschafts- und Ideologiekritik, die alle Formen zwischenmenschlicher Herrschafts- und Unterdrückungsverhältnisse, darunter sowohl faschistische, aber eben auch religiös-fundamentalistische verurteilen und bekämpfen.