Deutscher Kirchenaustritt vor Gericht

Jüngst hat die deutsche Bischofskonferenz den Kirchenaustritt neu zu regeln versucht. Abmeldung von der Kirchensteuer an die öffentlich-rechtliche Organisation "katholische Kirche" sei demnach "Abfall von Glauben" und kirchenrechtlich mit Exkommunikation zu bestrafen, siehe Info Nr. 1068.

Dieser Beschluss der Bischofskonferenz hing wohl mit einem aktuell laufenden Verfahren vor dem deutschen Bundesverwaltungsgericht zusammen, das nun am 26.9.2012 zugunsten des Klägers, den emeritierten Universitätsprofessor für katholisches Kirchenrecht, Hartmut Zapp entschieden wurde, nämlich dass der Austritt Zapps aus der Körperschaft Kirche wirksam war, obwohl sie darauf beschränkt wurde und nicht als "Glaubensabfall" beabsichtigt war. Das Gericht urteilte, die Motivation, also die kirchenrechtliche Begründung, sei nicht maßgeblich.

Das Urteil selber ist für Laien schwer verständlich, was auch dazu führte, dass einige Medien davon schrieben, die Klage Zapps sei gescheitert. Gegangen ist es jedoch um eine Klage des Erzbistums Freiburg gegen die Austrittsformulierung, Zapp trete aus der "Körperschaft des öffentlichen Rechts" aus, wie das auf der ausgestellten amtlichen Bescheinigung vermerkt wurde. Das Verwaltungsgerichtshof Mannheim hat der Klage des Bistums stattgegeben und die Bescheinigung aufgehoben. Beim Bundesverwaltungsgericht wurde nun die Aufhebung aufgehoben und der Bescheinigung des Standesamtes in der vorliegenden Form wieder Rechtskraft gegeben. Zapp hat also nun eine gültige Bestätigung, aus der Körperschaft öffentlichen Rechts namens "katholische Kirche" ausgetreten zu sein. Zapp besteht darauf, nicht vom katholischen Glauben abgefallen zu sein und dass daher eine Exkommunikation kirchenrechtlich nicht möglich wäre, weil er "eine innere Entscheidung, die katholische Kirche zu verlassen;" nicht getroffen hätte.

In der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes heißt es ausdrücklich, dass die Einfügung bezüglich der öffentlich-rechtlichen Körperschaft nicht notwendig, aber auch nicht untersagt sei. Dem Gericht gingen jedoch diesbezügliche kirchenrechtliche Unterscheidungen nichts an.

Wörtlich dazu: Die im Grundgesetz garantierte Glaubensfreiheit umfasst auch die Freiheit, keinen Glauben zu haben und einer Religionsgemeinschaft fernzubleiben. Deshalb darf der Staat mit solchen Rechtsfolgen nur an eine Mitgliedschaft in der Religionsgemeinschaft anknüpfen, die freiwillig begründet wurde und noch freiwillig fortbesteht. Staatliche Vorschriften über den Austritt aus einer Religionsgemeinschaft sichern diesen Aspekt der Glaubensfreiheit. Die Auslegung solcher Vorschriften muss einerseits gewährleisten, dass jemand durch Abgabe einer entsprechend eindeutigen Erklärung seine Mitgliedschaft in einer Religionsgemeinschaft aufgeben kann und dieser Austritt die Wirkungen beseitigt, die nach staatlichem Recht mit der Mitgliedschaft in der Religionsgemeinschaft verknüpft sind. Die Auslegung dieser Austrittsvorschriften muss andererseits sicherstellen, dass die ebenfalls verfassungsrechtlich verbürgten Körperschaftsrechte der Religionsgemeinschaft, die an die Mitgliedschaft in ihr anknüpfen, nicht stärker beschränkt werden, als es zur Gewährleistung der (negativen) Glaubensfreiheit des Einzelnen erforderlich ist.
Danach muss sich die Erklärung des Austrittswilligen auf seine Mitgliedschaft in der Religionsgemeinschaft beziehen und die Aufgabe der Zugehörigkeit zu ihr zum Gegenstand haben. Unzulässig ist eine Erklärung, die selbst oder durch Zusätze den Willen zum Ausdruck bringt, nur die mit der Mitgliedschaft verbundenen Wirkungen im staatlichen Bereich zu beseitigen, also aus der Religionsgemeinschaft in ihrer rechtlichen Gestalt einer Körperschaft des öffentlichen Rechts auszutreten, in der Glaubensgemeinschaft selbst aber zu verbleiben. Soll die Mitgliedschaft nach der abgegebenen Erklärung freiwillig fortdauern, wird von der negativen Glaubensfreiheit nicht Gebrauch gemacht. Deshalb kann dort der Schutz des Staates nicht eingreifen und das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaft nicht beschränken.

Das heißt also: Zapp ist aus der katholischen Kirche ausgetreten, Kirchensteuer braucht er keine mehr zu zahlen. Wie weit die katholische Kirche für die weitere kirchenrechtliche Behandlung, also für eine Exkommunikation des Ausgetretenen, andere kirchenrechtliche Belange berücksichtigt, geht den Staat nichts an.

Was bedeutet, dass das Verfahren vermutlich kirchenrechtlich weitergehen wird: ist der Austritt am staatliche Standesamt ein Glaubensabfall oder nicht? Aus der katholischen Kirche kann man nämlich kirchenrechtlich gar nicht austreten, auch ausgeschlossen kann man nicht werden, sondern nur exkommuniziert: D. h. Verlust der religiösen Gemeinschaft und Ausschluss von den Sakramenten und von Kirchenämtern. In der DDR gab es in der SED längere Zeit eine ähnlich, nicht ganz so strenge Regelung. Laut Parteistatut konnte bis in die 1970er-Jahre die SED-Mitgliedschaft nur durch Tod oder Ausschluss enden. Wer die Absicht äußerte, auszutreten, wurde ausgeschlossen.

Es wird vielleicht weiter zu unserer Unterhaltung beitragen, wie die katholische Kirche in Deutschland mit der vom Vatikan am 13.3. 2006 mittels Actus Formalis Defectionis Ab Ecclesia Catholica, Geschäftszahl N. 10279/2006 angeordneten Notwendigkeiten fertig wird:
1. Der Abfall von der katholischen Kirche muss, damit er sich gültig als wirklicher actus formalis defectionis ab Ecclesia darstellen kann, auch hinsichtlich der in den zitierten Canones vorgesehenen Ausnahmen, konkretisiert werden in:
a) einer inneren Entscheidung, die katholische Kirche zu verlassen;
b) der Ausführung und äußeren Bekundung dieser Entscheidung;
c) der Annahme dieser Entscheidung von seiten der kirchlichen Autorität.
2. Der Inhalt des Willensaktes muss bestehen im Zerbrechen jener Bande der Gemeinschaft - Glaube, Sakramente, pastorale Leitung -, die es den Gläubigen ermöglichen, in der Kirche das Leben der Gnade zu empfangen. Das bedeutet, dass ein derartiger formaler Akt des Abfalls nicht nur rechtlich-administrativen Charakter hat (das Verlassen der Kirche im meldeamtlichen Sinn mit den entsprechenden zivilrechtlichen Konsequenzen), sondern dass er sich als wirkliche Trennung von den konstitutiven Elementen des Lebens der Kirche darstellt: Er setzt also einen Akt der Apostasie, Häresie oder des Schisma voraus.

Weil man in Deutschland, Österreich und der Schweiz aus der r.k. Kirche bei staatlichen und nicht bei kirchlichen Dienststellen austritt, fällt der obige Punkt 1 b) unter staatliches Recht und der Punkt 1 c) muss - wenn der Punkt b) ordnungsgemäß ausgeführt wurde, von der Kirche widerspruchslos zur Kenntnis genommen werden. In Österreich hat die r.k. Kirche schon 2007 eine dreimonatige Frist eingeführt, während derer man versucht, die Austreter zum Nichtaustritt zu bewegen. Was jedoch rechtlich nichts ändert, der Kirchenbeitrag kann nur bis zum staatlichen Austrittsdatum eingehoben werden. Punkt 1 a) geht wiederum den Staat nichts an.

Diese dreimonatige Frist in Österreich soll den Punkt 1 c) sozusagen in die kirchliche Verantwortung überleiten und wenn Austreter auf die diesbezüglichen kirchlichen Zuschriften nicht reagieren, kirchenrechtlich als Verstößer gegen Punkt 1 a) und Punkt 2 eingestuft, also wegen Glaubensabfall (Apostasie) exkommuniziert werden können. Wobei nun jedoch Austreter dem zuständigen Bischof - unter dessen Namen die Austreter angeschrieben werden - antworten könnten und darauf bestehen, dass die Verweigerung der Beitragszahlungen nicht wegen Glaubensabfall erfolge, sondern aus irgendwelchen anderen, weltlichen Gründen. Dann müsste sich der ganze kirchenrechtliche Zirkus wieder zugunsten des Austreters wenden.

Denn wenn ein Austreter sich staatlich abmeldet, aber darauf besteht Punkt 1 a) und Punkt 2 des kirchlich vorgeschriebenen formalen Austrittsaktes nicht gefolgt zu sein, müsste er von einer Exkommunikation wegen Glaubensabfall verschont bleiben, aber die deutschen Finanzämter könnten keine Kirchensteuer mehr einheben und in Österreich könnte die Kirche säumige Beitragszahler nicht mehr verklagen.

Die einfachste Lösung für die Kirche wäre es vermutlich, die Einschaltung des Staates beim Kirchenbeitrag und beim Kirchenaustritt abzuschaffen und klare Regelungen zu treffen: etwa dass die Nichtzahlung von Mitgliedsbeiträgen nur möglich wird, wenn man vom Glauben abfällt.

So bin ich, ein guter Mensch und für gute Ratschläge immer zu haben, kostenlos und das sogar für die katholische Kirche!
Weil es gäbe für die Kirche - wenn sie meinem Rat folgt - noch einen weiteren Vorteil: ohne staatliche Mitwirkung beim Austritt könnte man bei den Austrittszahlen nach Belieben lügen.

PS: Weiter geht's in Info Nr. 1083 - Presseaussendung der Anwälte von Prof. Zapp zum Urteil, weil die leitenden katholischen Funktionäre (und eine Reihe von Journalisten) das Urteil nicht verstanden haben und glaubten, die Kirche hätte gewonnen. Wie das Urteil von Katholiken, die ähnlich wie Prof. Zapp gesinnt sind, die kirchenrechtliche Situation nutzen könnten, ist in Info Nr. 1086 zu lesen.