Mit stetig wachsender Sorge betrachten wir den Verfall der demokratischen
Debattenkultur, wenn brisante Themen wie Integration, Parallelgesellschaften
und Frauenrechte in bestimmten Migrantencommunitys zur Sprache gebracht werden.
Heinz
Buschkowskys Buch "Neukölln ist überall" hat erwartungsgemäß die üblichen
Verharmlosungs- und Diffamierungsreflexe hervorgerufen. Große Teile der
Kritik, die nun dem Autor entgegenschlägt, zeichnet sich durch Unwilligkeit
und Unfähigkeit aus, einem nachdenklichen und problemorientierten Text angemessen
zu begegnen, der Befunde in konkrete Lösungsvorschläge überführt.
Durchaus
gibt es kritische Stimmen, die sich sachlich mit dem Buch von Heinz Buschkowsky
auseinandersetzen. Das ist legitim und sollte im Sinne einer gesellschaftspolitischen
Debatte auch selbstverständlich sein. Auch wir als VerfasserInnen und UnterzeichernInnen
dieses Aufrufs stimmen nicht mit jeder einzelnen Aussage von Heinz Buschkowsky
überein. Wir wenden uns daher folgerichtig auch nicht gegen die wenigen ernstzunehmenden
Buschkowsky-Kritiker, sondern gegen die Mehrheit der Polemisierer und Diffamierer,
die mit Rassismus- und Rechtspopulismusvorwürfen, Breivik-Vergleichen und sprachlichen
Entgleisungen zeigen, dass sie an keiner sachlichen Auseinandersetzung interessiert
sind. Aus diesem Umfeld, das sich in den letzten Wochen lautstarkmarktschreierisch
in der Öffentlichkeit artikuliert hat, werden wir ständig mit Falschaussagen
und Halbwahrheiten versorgt, wie sie haarsträubender kaum sein könnten.
Wenn
nun etwa die Rede davon ist, dass Buschkowsky weder Lösungen noch Positivbeispiele
aufzeige, dann muss man davon ausgehen, dass bestimmte Kritiker sich an einer
Buchkritik ohne vorhergehende Lektüre versuchen. Buschkowskys Lösungsversuche,
denen man selbstverständlich zustimmend oder ablehnend gegenüberstehen darf,
sind mannigfaltig und umfassen: altersgerechte Sachleistungen statt Kindergeld;
Kindergartenpflicht; Ausbau von Ganztagsschulen; gezielte Sprachförderung; stärkere
Konzentration auf Unterschichtenkinder im Bildungssystem; eine andere Debattenkultur;
konsequente Sanktionierung von Fehlverhalten usw. Beispiele für gelungene Integration
werden, entgegen der Behauptungen seitens der Kritiker, in dem Buch mehrfach
genannt, so auf den Seiten 59-60, 79-81, 112-113, 286-290, 301-302, 311-312
und 322-324. Der Schwerpunkt des Buches liegt freilich auf der Betrachtung der
Beispiele für misslungene Integration, was aber bei einem Text, der sich als
problemorientierte Fehleranalyse versteht, auch gar nicht anders sein könnte.
Der
Vorwurf, dass Buschkowsky die Namen seiner Gewährsleute nicht nennt und immer
nur von "einer Lehrerin" oder "einem Polizisten" schreibt,
verwundert: Denn gerade der Umgang der Kritiker mit Buschkowsky macht es doch
mehr als verständlich, dass der Autor des Buches seine Helfer durch Anonymisierung
davor bewahren will, zur Zielscheibe von Diffamierungen und Schikanen zu werden.
Die
in einem Leitartikel der Frankfurter Rundschau zu Ausdruck gebrachte Mahnung,
"Es wäre viel gewonnen, wenn jetzt keine Debatte über den Lokalpolitiker
Buschkowsky entsteht", blieb leider ungehört. Ein Diffamierungskartell,
das fürchtet, die Meinungshoheit über ein ihm ohnehin entgleitendes Problem
zu verlieren, zwingt der Öffentlichkeit und somit auch uns diese Debatte auf,
da Schmähkritik nicht unwidersprochen bleiben darf. Wir fordern eine Rückkehr
zu den Sachthemen der Integration. "Neukölln ist überall" bietet dafür
gute Ansatzpunkte.
Nicht wenige der Kritiker zeigen selbst eine fragwürdige
paternalistiche Haltung gegenüber Menschen mit Migrationshintergrund und sind
bislang bei der Bekämpfung gravierender Probleme und Gefahren in der Einwanderungsgesellschaft
("Ehrenmord", Zwangsheirat usw.) kaum bemerkbar in Erscheinung getreten.
Da sie eine aufrichtige Debatte um Integrationsdefizite behindern, sind sie
Teil des Problems und nicht Teil der Lösung. Verräterdebatten wie die gerade
stattfindende, in der der gute Ruf Neuköllns höher gewichtet wird als die Überwindung
der Probleme Neuköllns, sind nicht zielführend. Einen Bürgermeister, der "seinen
Bezirk schlechtredet", in die Rolle des Nestbeschmutzers zu drängen, zeugt
von einem Mangel an Kritikfähigkeit und demokratischer Debattenkultur.
Sieben
der Neuköllner Initiativen, die sich gemeinsam öffentlich gegen Heinz Buschkowsky
positioniert haben, wurden von uns mit der Bitte angeschrieben, die Anstoß erregenden
Passagen des Buches exakt zu benennen. Vier davon haben nicht geantwortet. Eine
hat uns in einem kurzen Schreiben auf später vertröstet, eine andere hat lediglich
eine einzelne Textstelle angegeben, die bereits mehrfach in der Presse zitiert
worden war. Die siebente hat drei Textstellen präsentiert, in denen auch bei
näherer Betrachtung nichts Anstößiges zu finden ist. Mit anderen Worten: Bis
jetzt ist nicht der Eindruck entstanden, dass bei den als Kritikern auftretenden
Initiativen eine tiefer gehende Auseinandersetzung mit dem Text stattgefunden
hat. Die Behauptung, Buschkowskys Buch würde die Arbeit dieser Initiativen erschweren
oder bei Betroffenen gar "psychologische Belastungen" hervorrufen,
halten wir für wenig überzeugend. Durchaus denkbar ist aber, dass bei manchen
Initiativen auch der Gedanke eine Rolle spielt, dass Buschkowskys Buch die Forderung
nach mehr Erfolgskontrollen bei der Integrationsarbeit zur Folge haben könnte
- und dass solche Kontrollen letztendlich dazu führen könnten, den Fluss weiterer
staatlicher Gelder für die nachprüfbar erfolglosen Initiativen infrage zu stellen.
Wir
treten Rassismus und Fremdenfeindlichkeit genauso entschieden entgegen wie allen
gegen die Menschenrechte, Rechtsstaat, Demokratie und Pluralismus gerichteten
Ideologien und Bewegungen, gleichviel ob sie religiös oder weltanschaulich begründet
werden. Unbegründete Rassismusvorwürfe sind aber dem Kampf gegen wirklichen
Rassismus abträglich. Eine an humanistischen Leitideen orientierte Integrationsdebatte
zeichnet sich dadurch aus, dass sie den Menschen unabhängig von seiner Herkunft
als mündiges Wesen ernst nimmt und auf eine pauschalisierende Viktimisierung
verzichtet. Ein von Paternalismus geprägter Opferdiskurs, wie er in den Kreisen
der Problemverharmloser gepflegt wird, ist nicht das Gegenteil des rechtsextremen
Täterdiskurses, sondern seine spiegelbildliche Entsprechung. In einem Land die
Einhaltung der hiesigen Gesetze einzufordern, ist mitnichten, wie Buschkowsky
von der Gegenseite unterstellt wird, ein rechtspopulistisches Argumentationsmuster,
sondern ein legitimer Aufruf zur Anerkennung einer auf Menschenrechten und demokratischer
Entscheidungsfindung beruhenden säkularen Rechtsordnung.
Wir fordern
daher eine aufrichtige, offene, sachliche und problemorientierte Integrationsdebatte,
die Verunglimpfungen kritischer Stimmen vermeidet und keine Tabus aufbaut.
Mina
Ahadi, Vorsitzende des Zentralrats der Ex-Muslime e. V.
Thomas Baader, Pressesprecher
von peri e. V. Verein für Menschenrechte und Integration
Dr. Frank Berghaus,
Hrsg. von www.wissenbloggt.de und Gründer der Initiative Humanismus
Dr. Ronald
Bilik, Freidenkerbund Österreich
Serap Cileli, peri e. V. Verein für Menschenrechte
und Integration
Free Minds (betroffene Musliminnen und Muslime, aus Sicherheitsgründen
anonymisiert)
Sabatina James, Sabatina e. V.
Dr. Johannes Kandel, Publizist
und Politikwissenschaftler, Berlin
Hartmut Krauss, Gesellschaft für wissenschaftliche
Aufklärung und Menschenrechte (GAM)
Thomas Müller, Verein für Aufklärung
und Freiheit (VAF e. V.)
Paul Nellen, Politologe und Journalist, Mitglied
der Grünen Hamburg
Dr. Michael Schmidt-Salomon, Giordano-Bruno-Stiftung
Karin
Vogelpohl, HINTERGRUND-Verlag