Ergänzungen zur Info Nr. 1201.
Der deutsche Bundestag ist den Wünschen zweier Religionsgemeinschaften und deren Unterstützung durch die christlichen Religionen gefolgt und hat ein Gesetz beschlossen, dass Körperverletzungen mit bleibenden Folgen an unmündigen Knaben ausdrücklich gestattet. Es wurden weder Betroffene gehört, noch die Meinungen von Kinderschutzeinrichtungen oder medizinischen Institutionen oder von Juristen und Menschenrechtlern. Ebenfalls egal ist es, dass auch unter Juden die Beschneidung zunehmend kontrovers diskutiert wird und sich auch in Israel Beschneidungsgegner organisieren. Hier das Motto auf der Homepage "Jews Against Cirumcision" (Juden gegen Beschneidung): "Wir sind eine Gruppe gebildeter und aufgeklärter Juden, die erkannt haben, dass die barbarische, primitive, qualvolle und verstümmelnde Praxis der Beschneidung keinen Platz im modernen Judentum hat."
Wie inzwischen eine engagierte Gegnerin des Gesetzes im Internet entdeckt
hat, gibt es die sogenannte "Radbruchsche
Formel".
Der hochbedeutende und hochberühmte deutsche Rechtswissenschaftler, Sozialdemokrat
und zeitweilige Justizminister Gustav Radbruch (1878-1949) formulierte
1946 in Anbetracht der von den Nazis erlassenen menschenrechtsfeindlichen Gesetzesflut
seine These, ein Richter habe im Konflikt zwischen dem gesetzten Recht und
der Gerechtigkeit immer dann und nur dann gegen das Gesetz und für die materielle
Gerechtigkeit zu entscheiden, wenn das fragliche Gesetz entweder als unerträglich
ungerecht anzusehen ist oder das Gesetz die Gleichheit aller Menschen bewusst
verleugnet. Der Aufsatz, in dem Radbruch diese Ansicht formulierte, hieß "Gesetzliches
Unrecht und übergesetzliches Recht".
Zum konkreten Umgang mit
solchen Widersprüchen schrieb Radbruch: "Der Konflikt zwischen der
Gerechtigkeit und der Rechtssicherheit dürfte dahin zu lösen sein, dass das
positive, durch Satzung und Macht gesicherte Recht auch dann den Vorrang hat,
wenn es inhaltlich ungerecht und unzweckmäßig ist, es sei denn, dass der
Widerspruch des positiven Gesetzes zur Gerechtigkeit ein so unerträgliches Maß
erreicht, dass das Gesetz als ‚unrichtiges Recht' der Gerechtigkeit zu weichen
hat. Es ist unmöglich, eine schärfere Linie zu ziehen zwischen den Fällen
des gesetzlichen Unrechts und den trotz unrichtigen Inhalts dennoch geltenden
Gesetzen; eine andere Grenzziehung aber kann mit aller Schärfe vorgenommen werden:
wo Gerechtigkeit nicht einmal erstrebt wird, wo die Gleichheit, die den Kern
der Gerechtigkeit ausmacht, bei der Setzung positiven Rechts bewusst verleugnet
wurde, da ist das Gesetz nicht etwa nur ‚unrichtiges' Recht, vielmehr entbehrt
es überhaupt der Rechtsnatur. Denn man kann Recht, auch positives Recht, gar
nicht anders definieren als eine Ordnung und Satzung, die ihrem Sinne nach bestimmt
ist, der Gerechtigkeit zu dienen. (..) Wo also Gerechtigkeit nicht einmal erstrebt
wird, können die so geschaffenen Anordnungen nur Machtsprüche sein, niemals
Rechtssätze (..), so ist das Gesetz, das gewissen Menschen die Menschenrechte
verweigert, kein Rechtssatz. Hier ist also eine scharfe Grenze zwischen
Recht und Nicht-Recht gegeben, während wie oben gezeigt wurde, die Grenze zwischen
gesetzlichem Unrecht und geltendem Recht nur eine Maßgrenze ist (..)."
Somit
ließe sich schlussfolgern: mit einem Gesetz, dass ohne Wenn und Aber, ohne
jedes Eingehen auf Einwände die körperliche Verstümmelung von männlichen Babys
und Kleinkindern erlaubt, wird gegenüber den betroffenen Kindern Gerechtigkeit
in keiner Weise angestrebt, das Menschenrecht auf körperliche Unversehrtheit
wird ignoriert,
das beschlossene Gesetz entbehrt daher der Rechtsnatur, es ist kein Rechtssatz.
Da
diese Thesen von Gustav Radbruch in der deutschen Rechtssprechung vom Verfassungsgerichtshof
und vom Obersten Gericht mehrfach bei ihren Entscheidungen als Maßstab genommen
wurden, würde es sinnvoll sein, auch dieses hanebüchene Knabenverstümmelungsgesetz
entsprechend zu prüfen und zu Fall zu bringen. Was jedoch vermutlich eher eine
Mutfrage als eine Rechtsfrage sein dürfte.