Ägypten hat noch eine Chance

Die zweite Runde der Abstimmung über die neue ägyptische Verfassung erreichte die Islamqualität der Parlamentswahlen, nach vorläufigen Informationen stimmten 71 % dem islamitischen Entwurf zu, im ersten Durchgang waren es 56,5 % gewesen, insgesamt sollen es 63.8 % sein.

Präsident Mursi hat es also mittels seines Tricks mit der von ihm selbst erlassenen untastbaren Allmacht für seine Entscheidungen geschafft, den islamistischen Entwurf durchzupeitschen, der vorher im dafür zuständigen Gremium nicht die notwendige Zustimmung bekommen hatte. Die Auswechslung einiger Mitglieder in diesem Gremium sicherte den Entwurfbeschluss und bei der Abstimmung schaffte es die säkulare und nichtmuslimische Opposition wieder nicht, rechtzeitig und wirkungsvoll mit einer klaren Botschaft aufzutreten. Man rief vorerst zum Boykott der Abstimmung auf, dann doch zum Neinstimmen. "Erfolg": nur 32% der Wahlberechtigten gaben ihre Stimme ab. Unter den 68 % Nichtabstimmern wären sicherlich auch Massen zu finden gewesen, die mit "nein" gestimmt hätten.

Unzukömmlichkeiten bei der Durchführung der Abstimmung waren wohl eher nicht entscheidend, auch skurrile Propagandaaktionen der Islamisten, wie für das Ja-Stimmen das Paradies zu versprechen, waren nicht wesentlich. Denn wer auf sowas hereinfällt, hätte sowieso islamistisch abgestimmt.

Jetzt muss innerhalb von zwei Monaten das ägyptische Parlament neu gewählt werden. Unabdingbar wird es nun sein, dass sich die nichtislamistische Opposition möglichst eng zusammenschließt, möglichst nur mit einer gemeinsamen Liste antritt und im Wahlkampf klar darlegt, worum es geht, sich vor allem um die Riesenmenge der Nichtwähler konkret bemüht. Das ist die letzte Chance für die Säkularen und die Nichtmuslime. Denn wenn Muslimbrüder und Salafisten ihren Wahlsieg von 2011/12 mit 70% wiederholen können, dann steht dem islamistischen ägyptischen Winter nichts mehr im Weg.