Wenn man sich die Ergüsse durchschaut und durchliest, die anlässlich der
päpstlichen Frühpensionierung durch die Medien rauschten, könnte man annehmen,
Ratzinger sei nicht zurückgetreten, sondern verblichen. Mit Liebe und Hingabe
wurde allerseits gewürdigt und gerühmt und bedauert, dass sich die traditionellen
katholischen Missbräuche gerade in seiner Amtszeit nicht mehr vertuschen ließen.
Darum zur sachlichen Erinnerung:
Joseph Ratzinger ist nicht gestorben, der Satz de mortuis nihil nisi bene
(über Tote nichts, wenn nicht Gutes) gilt für ihn derweilen noch gar nicht und
auch wenn er gestorben wäre, müsste man ihn nicht unbedingt nur berühmen.
Dazu
fällt mir ein alter jüdischer Witz ein: Im Stetl ist einer gestorben, der
mit seiner ganzen Verwandtschaft, den Nachbarn und den meisten anderen verkracht
war, der als geiziger Streithansl und überhaupt als unguter Zeitgenosse galt.
Nach jüdischem Brauch soll jedoch über jeden Verstorbenen vor der Beisetzung
was Gutes gesagt werden. Der Verstorbene liegt und fängt an zu riechen, keiner
sagt was. Dann rafft sich doch einer auf, tritt hin vor den aufgebahrten Leichnam
und sagt: "Mohnnudeln hat er so gern mögen".
Ob Ratzinger
Mohnnudeln mag, weiß ich nicht. Aber als Atheist kann man ihm nicht nur
Schlechtes nachsagen. Weil er hat als Papst sehr gekonnt polarisiert. Selbst
gestandene Katholiken haben schmerzerfüllt gerufen "hör mir mit dem Papst
auf!", wenn man in einer Diskussion eine päpstliche Äußerung eingeworfen
hatte.
Fest gemauert in der Erde stand Papst Ratzinger wie aus Lehm
gebrannt, unerschütterlich ließ er die Wirklichkeit rund um sich abbröckeln,
weil er war ja der Stellvertreter vom Jesus und der ist der Weg, die Wahrheit
und das Leben! Und da gibt's nix mehr zu debattieren! Mit 85 ist man aber trotzdem
körperlich meist schon ziemlich am Semmerl (ich bin 20 Jahre jünger und weiß,
wovon ich red!). Aber Ratzinger hatte wohl seinen Vorgänger als abschreckendes
Vorbild vor sich und zog die päpstliche Frühpension einem Weiterwerken wie auf
der hier folgenden Woityla-Karikatur vor.
Ratzinger
hat alle zurechtgewiesen, die Reformer, die Frauen, die Liberalen, die Linken,
die sexuell anders Orientierten, die Muslime, die Juden, die Protestanten, die
Relativisten, die Ungläubigen sowieso, aber auch christliche Politiker, die
sich nicht komplett nach ihm richteten. Das hat mitgeholfen, die
traditionelle feste Fügung im katholischen Bereich doch deutlich aufzulockern.
Bei den Protestanten ist ein Kirchenaustritt ein Klacks, weil der liberale evangelische
Jesus fordert nix und seine Kirche auch nicht, drum hat man auch kein schlechtes Gewissen, wenn man sich
über die Häuser haut. Aber bei den Katholiken wurde bis vor wenigen Jahrzehnten
noch die Gottesfurcht furchtbar propagiert.
Ich
komm sicher in das ewige Höllenfeuer und muss dort heulen und zähneknirschen,
in Ewigkeit, amen. Ich hab das noch so gelernt! Geglaubt allerdings nicht und
darum bin ich vor Erreichung der Kirchenbeitragspflicht aus der Kirche entwichen.
Aber damals war das noch ein ungewöhnliches Verhalten! In den Zeiten des Ratzinger
war es nimmer so. Die Leute haben heute weniger schlechtes Gewissen, weil die
Gottesfurcht nimmer so scharf verkündet wird und weil man dann doch leichter
Bauchweh bekommt, wenn man für einen Verein, dessen Vorsitzender Ratzinger heißt,
Mitgliedsbeitrag zahlen soll. Und man hört damit auf.
Die "Woas-brauch-i-dees"-Fraktion
wird stärker, nach verschiedenen Untersuchungen überlegt jeder dritte oder
vierte Katholik in Österreich den Austritt, das sind etwa 1,3 bis 1,8 Millionen
Mitglieder. Aber um den Schnitt der Austritte während der Ratzinger-Zeit zu
halten (51.277 im Jahr) braucht man diese Leute auch! Wenn die katholische Kirche
den Ratzinger-Schnitt hält, tritt in Österreich im Jahre 2118 das letzte Mitglied aus. Dafür
soll man Papst Ratzinger durchaus loben! Das bringt nicht jeder Kirchenführer
zusammen!
Noch lebt Ratzinger. In Rom haben inzwischen die diversen
Seilschaften mit ihren Fraktionskämpfen begonnen, lauthals werden - wohl zur
Ablenkung - vorerst Kleriker
aus der Dritten Welt favorisiert. Die Zusammensetzung der Kardinalsherde lässt
ja ohnehin nicht viel Spielraum, das sind lauter von Wojtyla und Ratzinger Auserwählte,
also Leute mit dicken Brettern vorm Kopf oder schlaue Karrieristen. Hoffnungsfroh
äußern sich manche kircheninterne Oppositionelle, die einen neuen
Johannes XXIII für nicht unmöglich halten. Aber so einen Fehlgriff werden die Kardinäle sicherlich zu vermeiden
wissen.
"Wir sind Kirche" lobt jedenfalls Ratzingers
Rücktritt, aber nicht den Papst: "Wir sind Kirche begrüßt den für 28.
Februar 2013 angekündigten Rücktritt des Papstes. Sein Mut, damit gewohnte Strukturen
aufzubrechen, ist großartig und zu bewundern. Joseph Ratzinger hat offensichtlich
zur Kenntnis genommen, dass die Welt komplexer geworden ist und seine Lebenskräfte
für diesen Dienst nicht ausreichen. Es ist zu begrüßen, wenn damit eine zeitliche
aber auch eine kapazitive Begrenzung von Amts- bzw. Dienstzeiten in der Kirche
- auf allen möglichen Ebenen - in den Blick kommt. Ein weiser und mutiger Schritt!"
Man
weiß dort auch, was für einen Papst man möchte: "Die römisch-katholische
Kirche braucht einen Papst, der nicht alles selbst und alleine entscheidet,
sondern Verantwortung delegiert. Er sollte den Prinzipien der Gewaltentrennung
und der Subsidiarität breiten Raum geben und der Ortskirche mit ihren Bischöfen
mehr Eigenverantwortung zugestehen. Die volle Integration geschiedener und wieder
verheirateter Frauen und Männer, die volle Anerkennung von gleichgeschlechtlich
lebenden Paaren, die Öffnung aller Dienste und Ämter für Frauen und Männer in
gleicher Weise oder die Öffnung des Pflichtzölibats sind Beispiele für die anstehenden
Fragen."
Man träumt also vom Weihnachtsmann und vom Schlaraffenland. Und dabei
brächte sowas gar nix. Weil Liberalität und nette Unverbindlichkeit bindet und
aktiviert nicht, sondern weicht auf. "Wir sind Kirche" will einen
protestantischen Katholizismus, doch die Protestanten liegen in den aufgeklärten
Breiten aktivitätsmäßig und bezüglich der Mitgliederbindung wesentlich schlechter
als die Katholiken. Das katholische Höllenrauschen ist noch nicht verklungen.
Da gibt's noch die andere Seite der katholischen Medaille: Man weiß ja nicht. Vielleicht gibt's den bösen katholischen Jesus doch? Besonders
dieser Ratzinger ist noch nicht tot.
PS: Die beliebte
PDF "Papst Ratzingers Werke" wurde letztmalig am 4.1.2013
ergänzt, eine aktuelle Weiterführung folgt allerletzmalig bis 1.3.