Was bleibt von Papst Ratzinger?

Dr. Tassilo Wallentin ist Rechtsanwalt in Wien, beschäftigt sich mit Ethik und vertritt FPÖ-Politiker wie Martin Graf und HC Strache (wenn's nicht einen zweiten Anwalt gleichen Namens gibt).
Am 17.2.2013 schrieb er in der Sonntagsbeilage der Kronen Zeitung die folgenden rühmenden Zeilen über Papst Ratzinger:

Was bleibt von Papst Benedikt?

Mit Papst Benedikt XVI. geht nicht nur einer der brillantesten Theologen der katholischen Kirche, sondern auch eine ihrer herausragenden Einzelpersönlichkeiten. In seinen zahlreichen (auch für Nichtkatholiken äußerst lesenswerten) Reden, Büchern und Schriften trat dieser hochintellektuelle Papst und ehemalige Hochschullehrer für die Freiheit und Würde des Menschen in einer streng positivistischen Welt ein, in der nur noch das wissenschaftlich Beweisbare und die Evolutionstheorie zählen. Er stellte sich gegen den "Zeitgeist", den erschreckenden Werteverfall Europas und gegen die Gefahren nihilistischer Sozialutopien, die an die Stelle der Religion treten und die menschliche Sehnsucht nach Transzendenz befriedigen. Der Mythos von der "befreiten Gesellschaft", in der Nihilismus und soziale Idee das Gewissen unheilvoll ersetzen sollen. "Es ist", so der Papst, "nicht Aufgabe des Staates, neue Menschen zu erschaffen oder die Welt in ein Paradies zu verwandeln; der Staat kann es auch nicht, und wenn er es versucht, setzt er sich absolut und verlässt seine Grenzen. Er benimmt sich dann, als ob er Gott wäre ..." Dieser Papst zeigte auch den propagierten Materialismus auf: Gott existiert im öffentlichen Bewusstsein nicht mehr, der Mensch gilt als (sinnloses) Zufallsprodukt der Evolution, kann beliebig reproduziert und geklont werden und hat darüber hinaus auch keine Würde. Die Moral des Einzelnen wird nach dem Recht des Stärkeren überflüssig und damit Korruption zur Selbstverständlichkeit. Ein Staat als gut funktionierende Räuberbande, der über Macht und Konsum hinaus nichts zu sagen hat. Das Christentum hingegen lehrt Ehrfurcht und Demut vor der Schöpfung und lehnt es ab, Gottes Reich zum politischen Programm zu erheben. Der Messianismus, so Papst Benedikt, ist nicht im Politischen angesiedelt - im Christentum ist Aufklärung Religion geworden: "Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist", hat Jesus Christus gelehrt und der Versuchung widerstanden, Herrscher über Weltreiche zu werden. Im christlichen Glauben geht es nicht um die Errichtung eines Gottesstaates. Der Glaube soll das Gewissen des Einzelnen erwecken und Ethos und Grundwerte schaffen, die nicht dem politischen Spiel von Mehrheit und Minderheit unterworfen sind. "Den anderen seines Rechtes oder seiner Würde zu berauben kann niemals Inhalt des Rechtes werden und Inhalt der Freiheit sein." Allmacht des Staates oder das Mehrheitsprinzip sind keine Wahrheitsquelle, sondern allein die Lehre Jesu Christi der Gottes- und Nächstenliebe. Das Christentum begründet nach Papst Benedikt XVI. damit jenen Grundbestand an Menschlichkeit, den jede Demokratie braucht und den keine Demokratie der Welt selbst schaffen kann.

Was man da alles Gute über Ratzinger erfährt!

Seine Schriften sind auch für Nichtkatholiken äußert lesenswert? Vielleicht wegen des unfreiwilligen Spaßgehaltes? Aber so hoch ist der nicht, um eine äußerste Lesewertigkeit zu erreichen. Hochintellektuell erscheinen die Schriften auch nicht direkt, sondern viel eher hochweltfremd. Dass Ratzinger für "die Freiheit und Würde des Menschen" eingetreten wäre, ist ebenfalls nicht aufgefallen, eher scheint er sich um die Durchsetzung der alleinigen katholischen Wahrheit und um die menschliche Unterwerfung unter diese bemüht zu haben. Was unabdingbar gegen die menschliche Freiheit und Würde gerichtet ist. Der erschreckende Werteverfall in Europa hängt irgendwie mit den Endsieg des Kapitalismus zusammen, der es nun nicht mehr notwendig hat, aus Angst vor dem Kommunismus und seinen Sozialutopien, eine soziale Marktwirtschaft zu betreiben, jetzt betreibt man eine antisoziale Spekulationswirtschaft, die vor allem von den Christenparteien freudig unterstützt wird. Katholisch gesehen ist nicht der Staat dafür zuständig, dass es den Menschen besser ginge, das macht Gott im Paradies. Aber erst nach dem Tod. Der Profitwirtschaft hilft das beim Ausbau der irdischen Paradiese für Milliardäre.

Wenn Gott im öffentlichen Bewusstsein nimmer existiert, dann können die Kirchen und ihre Götter nix dafür, daran ist die Evolution schuld. Was sogar stimmt: auch Religion ist ein Produkt der Evolution, es half die Welt (falsch) zu erklären und vermittelte scheinbar Hilfe in schwierigen oder gar hoffnungslosen Situationen. Ein funktionierender Sozialstaat hilft wirklich, die Gottesillusion wird damit entbehrlicher und Leute, die überirdische Hilfsmittel zu brauchen vermeinen, können auf dem Esoterikmarkt aus einer Vielzahl anderer Illusionen auswählen.

Dass die Aufklärung christliche Religion geworden wäre, ist außer dem Wallentin bisher noch niemand aufgefallen, es war die Aufklärung, die Religionen dazu zwang, menschliche Freiheiten zu respektieren. Die Religion hat die Menschen ihrer Würde beraubt und den Menschen keine Rechte zugebilligt, der Vatikan hat bis heute die Menschenrechtscharta nicht unterzeichnet. Das katholische Christentum begründete den Zwang für alle, den katholischen Gott lieben zu müssen, die christliche Nächstenliebe bestand durch die Jahrhunderte aus der Gnade, auf Almosen hoffen zu dürfen.

In Österreich erlebten die Menschen den christlichen "Grundbestand an Menschlichkeit" letztmalig in der klerikalfaschistischen Diktatur ab 1933/34. In der Folge dieses "Grundbestands an Menschlichkeit" hielt ein großer Teil der Menschen in Österreich aus Not und Verzweiflung Adolf Hitler für den Erlöser. In der klerikalfaschistischen Zeit gab es auch all diese demokratischen Missstände des politischen Spiels von Mehrheit und Minderheit nicht, die Herrn Wallentin so unangenehm erscheinen, da gab's nur das Christentum und höchstes Lob des Vatikans für die Diktatoren. Dass es nicht mehr um einen christlichen Gottesstaat geht, haben die Menschen durch Jahrhunderte erkämpfen müssen und sie sind froh, dass ihnen egal sein kann, was Papst und Kirche ihnen an Werten aufzwingen möchten. So schaut's aus!

Was bleibt von Papst Ratzinger?

Etwas mehr Säkularismus, etwas weniger Religion, etwas mehr Freiheit, etwas weniger Reaktion. Denn mit Ratzinger ging's für die katholische Kirche zumindest in den aufgeklärten Gebieten weiter bergab und bleiben tut vom Ratzinger maximal, dass seine Amtszeit, die Amtszeit war, in der das Vertuschen von klerikalen Sexualverbrechen nimmer funktionierte. Und innerkirchlich bleibt vom Ratzinger, dass alles beim Alten blieb. Amen.