Ratzinger und die Piusbrüder

Die durch das 2. Vatikanische Konzil in den 1960er-Jahren verursachten Veränderungen in der katholischen Kirche, waren halbherzige Versuche, aus dem Vormodernismus ein bisschen in den Modernismus zu gelangen. Also einen Schritt zu tun, der anfangs des 20. Jahrhundert von Papst Pius X. strikt allen Klerikern und Gläubigen untersagt woden war, die Kleriker mussten dazu sogar den "Antimodernisteneid" schwören. Die Welt kümmerte sich zunehmend weniger um die Bretter, mit denen die katholische Kirche die Welt vernagelt hatte und ein Papst, der sich manchmal vorsichtig durch die Astlöcher in diesen Brettern zu gucken traute, berief ein Konzil ein, dessen Aufgaben er noch zielsicher vorbereiten konnte, wenn er auch den Konzilsabschluss nicht mehr erlebte. Papst Johannes XXIII., so sein Künstlername, erlebte selber die Folgen seiner gefährlichen Initiative nimmer.

Aber die katholische Kirche hatte nach dem Konzil neue Probleme. Einem Teil der aktiven Gläubigen schien das Konzil so eine Art Aufbruch zu sein, ähnlich dem Aufbruch, der durch die 1968-Generation den Überbau der Gesellschaft dem geänderten Unterbau anzugleichen trachtete. Das darauf folgende kurze sozialdemokratische Zeitalter verbesserte die Welt, bis durch den Konkurs des sogenannten "Realsozialismus" der kapitalistische Endsieg feststand und in den Führungsetagen die sozialistischen Sozialdemokraten durch neoliberale Arschlöcher abgelöst wurden.

In der kath. Kirche entstand in den Sechziger- und Siebzigerjahren die Befreiungstheologie, die ihre Aufgabe nimmer darin sah, den Christen die ewige Seligkeit zu versprechen, sondern daran, auf Erden für ein menschenwürdiges Leben zu kämpfen. In der Dritten Welt hatte diese Interpretation des Christentums Erfolg, darum musste es von der römischen Zentrale intensiv bekämpft werden, weil die Mühseligen und Beladenen brauchte man nur zum Heucheln von Barmherzigkeit, aber ihre Interessen zu vertreten, war fast schon teuflisch.

Andererseits sah sich die vormodernistische katholische Fraktion vom Konzil als verraten an. Man wollte dem Antimodernismus weiterhin frönen und so spaltete sich sogar ein Teil dieser Antimodernisten ab: 1970 wurde vom französischen Erzbischof Lefebvre die "Priesterbruderschaft St. Pius X." gegründet, die sich den Veränderungen des 2. Vatikanums widersetzten, z.B. die Rückkehr zur alten lateinischen Messe forderte und die Anerkennung der Religionsfreiheit nicht akzeptierte. Lefebvre wurde wegen seines Ungehorsams 1976 suspendiert und 1988 wegen ungenehmigter Bischofsweihen exkommuniziert, er verstarb 1991 unversöhnt mit dem Vatikan.

Die Piusbrüder, wie sie kurz genannt werden, haben nicht den Status von Kirchenspaltern, sie gelten nicht als abgefallen vom Glauben. Da Papst Ratzinger in einer ähnlichen Geisteswelt des Vormodernismus lebt wie die Piusbrüder, versuchte er die Konflikte zu beenden. Er hob 2009 die Exkommunikation der von Lefebvre geweihten Bischöfe auf und gab die Verwendung des alten lateinischen Messritus allgemein wieder frei.

Die Piusbrüder sind trotzdem bisher nicht bereit gewesen, alle vom Vatikan gestellten Forderungen zu akzeptieren. Um als Personalprälatur (das ist der Status, den das besonderes reaktionäre "Opus Dei" hat) anerkannt zu werden, müssten die Piusbrüder nicht nur die Beschlüsse des 2. Vatikanums akzeptieren, sondern auch alle daraus folgenden katholischen Lehrsätze. Diese Kontinuität der katholischen Lehre wollten die Piusbrüder bisher nicht anerkennen. Zwar haben sie den wegen seiner Nazinähe besonders umstrittenen Pius-Bischof Williamson ausgeschlossen, aber alles was aktuell in Rom als katholisch gilt, wollten sie bisher nicht annehmen.

Da Papst Ratzinger den Piusbrüdern deutlich erkennbar nahe steht, dürfte es ihm leid tun, die von ihm angestrebte Versöhnung nicht zu erreichen. Ratzinger ist ab 1. März 2013 außer Dienst, ob sein Nachfolger ebenfalls so vernagelt ist wie er, ist auch für einen Papst nicht absehbar, wenn auch die Wahrscheinlichkeit hoch ist, dass der Hl. Geist die Kardinäle wieder erleuchten wird, antimodernistisch abzustimmen. Jedenfalls soll Ratzinger den Piusbrüdern ein Ultimatum bis zum 22.2.2013 gestellt haben. Wenn der aktuelle Anführer der Piusbrüder, der Generalobere Bernard Fellay, die Vorgaben unterschreibt, könnte sein Verein den Status der "Personalprälatur" sofort erhalten und wäre damit eine vatikanisch anerkannte selbstverwaltete katholische Einrichtung. Bei den Piusbrüdern gibt es angeblich heftige interne Auseinandersetzungen, andererseits soll das Ultimatum schon seit dem 8. Jänner vorliegen und ob der nächste Papst ein Interesse hat, die Piusbrüder heimzuholen, ist ja auch ungewiss.

Beide möglichen Varianten sichern jedenfalls für Interessierte anhaltenden Unterhaltungswert - die Heimholung der deklarierten Antimodernisten ebenso wie die Weiterführung der religiösen Meinungsverschiedenheiten.

PS vom 5.3.2013:
Das oben angeführte Ultimatum hat nichts bewirkt. In der aktuellen deutschen Ausgabe des Mitteilungsblattes der Piusbrüder wird über den Rücktritt Ratzingers berichtet, ihm dafür gedankt, die Exkommunikationen aufgehoben zu haben. Der Bericht schließt mit: "Sie (die Piusbruderschaft) bittet darum, dass die Kardinäle des nächsten Konklaves unter Eingebung des Heiligen Geistes den Papst wählen, der gemäß dem Willen Gottes daran arbeiten wird, alles in Christus zu erneuern". In einer Stellungnahme des Leiters der deutschen Zweigstelle heißt es "Entweder der konziliare Geist wird überwunden, oder der Niedergang der Kirche geht weiter." Es klingt also nicht danach, als wollten die Piusbrüder einlenken.