Lernen von Kirchenaustretern

Das will laut eines Berichtes auf der Site der Diözese Linz der Grazer Pastoraltheologe Rainer Maria Bucher.

Denn die Menschen hätten eine neue Freiheit bekommen, weil die Zeit, wo Religion biografische wie gesellschaftliche Kontexte bestimmt hat, radikal an ihr Ende gekommen sei. Das bedeute, die Teilhabe an Religion und Kirchen sei nicht mehr durch überlieferte Strukturen, Machtverhältnisse und gesellschaftliche Rollen bestimmt, sondern durch individuelle Bedürfnisse.

Was gut beobachtet ist, früher bedeutete Religion sowohl illusionäre Bedürfnisbefriedigung ("Opium des Volkes"), als auch gesellschaftlichen Zwang.
Der letztere fiel zuerst von der Staatsordnung her weg (in Österreich durch die Staatsgrundgesetze von 1867, die Religionsfreiheit auch durch das Recht auf Freiheit von Religion formal garantierten), blieb aber gesellschaftlich-strukturell aufrecht. Mit dem Verschwinden der religiösen herrschaftlichen Traditionen (das letzte Mal herrschte in Österreich die katholische Kirche in der klerikalfaschistischen Zeit in den 1930er-Jahren) wurde auch der gesellschaftliche religiöse Druck langsam weniger. Religionsfreie Personen erlangten im Lauf der Jahrzehnte nicht nur formal, sondern auch in der Lebenswirklichkeit Menschenrechte, wenn auch längst noch nicht überall und in allen Belangen. Aber ein Kirchenaustritt bedarf heutzutage nicht mehr eines besonderen Mutes, Kirchenaustritt ist kein Ausgrenzungsmerkmal mehr. Wir müssen nimmer so tun, als ob wir an Jesus oder an Kim Il Sung glaubten.

Was will der Theologe nun von Austretern lernen? Er meint, die Kirchen seien am Markt angekommen und Austreter träfen eine Entscheidung gegenüber "einem bestimmten Anbieter von Religion, (..) die Produktionsbedingungen von Pastoral entsprechen nicht mehr den Konsumbedingungen von Pastoral", dafür sei eine Neuformatierung von Kirche notwendig.

Woran sich zeigt, dass der Herr Pastoraltheologe die Situation trotzdem gründlich missversteht. Klarerweise kann ein Austreter nur aus einer Kirche austreten, es wird schließlich kaum vorgekommen sein, dass ein Baby mehrfach getauft wurde. Der Austritt richtet sich daher nicht gegen "einen Anbieter", sondern wohl häufig gegen die Religion an und für sich. Weil wenn es nur um einen Anbieter ginge, müssten die Leute ja bloß den Anbieter wechseln, also nicht aus-, sondern in eine andere Kirche übertreten, das wäre sozusagen marktkonform. Keiner Kirche anzugehören, bedeutet jedoch das Verlassen des Religionsmarktes (abgesehen von Austretern, die eine organisationslose individuelle Religiöstät pflegen). Ein Raucher kann von Memphis zu Marlboro wechseln und Raucher bleiben, wenn er aber Nichtraucher wird, dann ist er weg vom Rauchermarkt. Ein religionsfreier Kirchenaustreter ist religionsbezüglich ein Nichtraucher. Was will der Pastoraltheologe Bucher von Nichtrauchern über den Tabakhandel lernen?

Bucher träumt natürlich davon, dass seine religiösen Waren unentbehrliche Produkte wären.
Denn das 2. Vatikanum habe mit dem universalen Heilswillen Gottes, "ein völlig neues Verhältnis zu den Anderen angesprochen". Diese Anderen wären mögliche Bündnispartner im "rechten Aufbau der Gesellschaft und der Rettung der Person". Austreter würfen die Kirche auf die Frage zurück, wofür sie überhaupt da sei. Damit habe Kirche in 1500 Jahren Machtgeschichte keine Erfahrungen gemacht, müsse es aber nun unter geänderten Kontextbedingungen tun.

Er versteht also die Situation überhaupt nicht, er versteht nicht, dass ein Kirchenaustritt in der Mehrzahl der Fälle auf einen verschwunden oder gar nie vorhanden gewesenen Glauben zurückgeht und nicht auf schlechtes kirchliches Marketing. Er fragt: "Vertrauen wir auf die spirituelle und theologische Ressourcen? Setzen wir auf den Heiligen Geist?" Es sei offensichtlich, dass die Kirche den Ausgetretenen keine positiven Erfahrungen zur Verfügung stellen konnte. Er fragt weiter: "Warum haben wir Ausgetretenen keinen neuen Himmel und keine neue Erde eröffnet? Warum haben wir den Menschen nicht den Weg des Abenteuers mit Gott erschlossen?"

Die Möglichkeit, nicht an Götter, heilige Geister, Paradiese und Himmel zu glauben, billigt Bucher den Austretern gar nicht zu. Dass in der heutigen Zeit die christliche Lehre einfach immer mehr zu einem 2000 Jahre alten Anachronismus wird, der seine Macht eingebüßt hat und der zunehmend weniger Interesse hervorruft, weil sein Heilsangebot als skurrile Fantasterei erkannt wird, auf das kann ein Theologe schon von berufswegen nicht kommen. Weil sonst müsste er kündigen und sich eine richtige Arbeit suchen. Das könnte er von Kirchenaustretern wirklich lernen.