Promt nach der Veröffentlichung des Endberichts der Kommission Wilhelminenberg
("Helige-Kommission") reagierte, wie erwartet, die Wiener Opposition:
ÖVP-Landesparteiobmann Manfred Juraczka zeigte sich "erschüttert"
über das Ausmaß der Vorfälle, und FPÖ-Chef Strache empörte sich über nun angeblich
nachgewiesene Vertuschung "von oben".
Das Dokument selbst zeugt
von einem aufrichtigen Versuch, aufzuklären. Der Leser dieses 344 Seiten starken
Berichts kann sich zweifelsohne von dem, was sich zwischen 1948 und 1977 im
Wiener Kinderheim abspielte, ein lebendiges Bild machen, und zwar aus sachlichem,
geschichtlichem, juristischem sowie medizinischem Blickwinkel. Insbesondere
das einleitende Kapitel "Das Leben im Kinderheim" liefert einen Einblick
in einen Alltag, den niemand heutzutage gutheißen würde.
Zahlreiche Exkurse
runden das Bild ab und zeugen vom Bestreben, keine weiterführenden Fragen unbehandelt
zu lassen. Kritisch zu sehen ist, dass die Helige-Kommission von der Stadt Wien,
die ja für das Heim verantwortlich zeichnete, eingesetzt wurde; wünschenswerter
wäre eine staatliche Untersuchungskommission, die ihr Dasein auf ein entsprechendes
Gesetz zurückführen könnte. Aber immerhin: Aus rechtsstaatlicher Sicht qualifiziert
die Gebietskörperschaft Wien als öffentliche und daher neutrale Auftraggeberin.
Gerade noch. Und gut kommt Wien in diesem Bericht keineswegs davon.
Dublin
zeigt den Weg
Nachdem sich im erzkatholischen Irland während der
neunziger Jahre Gerüchte und zunehmend auch Berichte über weit verbreitete pädokriminelle
Aktivität in überwiegend kirchlichen Jugendeinrichtungen häuften, wurde dort
im Jahr 1999 die erste staatliche Untersuchungskommission ins Leben gerufen.
Diese laborierte neun Jahre lang und lieferte ein wahres Monsterwerk, den sogenannten
Ryan-Bericht, zum Thema "Kindesmissbrauch seit 1936".
Parallel
zu dieser Kommission wurden auch weitere gegründet, um Licht in besonders dunkle
Nischen der irischen Gesellschaft beziehungsweise Geschichte zu werfen. Begleitet
wurde die Arbeit dieser stets öffentlichen Kommissionen von einem lebhaften
gesellschaftlichen und politischen Diskurs, der sich auch mit der systematischen
kirchlichen Vertuschung - in Irland sowie in Rom - auseinandersetzte und gar
zu einem Köpferollen - in der Politik sowie in der Kirche - führte. In Irland
kann nun die Aufarbeitung so gut wie abgeschlossen betrachtet werden.
The
Austrian Way
Österreich ist aber anders. Nicht in jeder Hinsicht
natürlich: Österreich ist, sowie Irland, katholisch geprägt und auch hierzulande
konnten "Würdenträger" mit pädophilen bzw. sadistischen Neigungen
jahrzehntelang ihre Fantasien unbehelligt Realität werden lassen. Anders
als in Irland hat aber der österreichische Staat, milde formuliert, noch lange
nicht verinnerlicht, dass er jahrzehntelang als Erfüllungsgehilfe gedient hat.
Ganz
im Gegenteil: Die Republik gibt sich sehr zufrieden, wenn sie sich hinter dem
Feigenblatt einer kirchlich berufenen Arbeitsgruppe, der "Unabhängigen
Opferschutzanwaltschaft", verstecken kann. Jene kirchliche Arbeitsgruppe
- im Volksmund auch "Klasnic-Kommission" genannt - die im Jahr 2010
errichtet wurde, begann ihr Dasein, so waren und sind viele Kommentatoren einig,
als genialer Schachzug der katholischen Kirche Österreichs.
Dank ihrer
Besetzung durch Laien und insbesondere vor dem Hintergrund der staatlichen Verantwortungslosigkeit,
konnte sie sich mit der Zeit von einer kirchlichen Entschädigungseinrichtung
zu einer "Opferschutzanwaltschaft" - feierlicher Empfang beim Bundespräsidenten
inklusive - weiterentwickeln.
Am 14. Dezember 2012 begann das Bild
sich einzutrüben. Per Bescheid hielt die Datenschutzkommission amtlich fest,
dass die Klasnic-Kommission eine "Einrichtung der Erzdiözese Wien"
und somit der katholischen Kirche sei. Und die nächste Hiobsbotschaft ließ
nicht lange auf sich warten: Eine für den 26. Februar 2013 anberaumte parlamentarische
(Nicht-)Enquete unter der Regie der Klasnic-Kommission wurde von Hausherrin
Prammer kurzfristig und ersatzlos abgesagt.
Seilschaften im Dienste
der Kirche
Und die Nationalratspräsidentin hatte recht, als sie im letzten
Moment den Missbrauch des Hohen Hauses am Ring für eine kirchliche PR-Aktion
verhinderte. Der nun veröffentlichte Bericht der Helige-Kommission und das
Bekanntwerden der unheiligen Machenschaften um den Stadterweiterungsfonds bestätigen
ihre Vorgehensweise auch im Nachhinein. Eines gleich vorweg: Jeder Versuch der
katholischen Kirche, Opfer kirchlicher Gewalt freiwillig und unbürokratisch
zumindest teilweise zu entschädigen, ist zu begrüßen.
Vor dem Hintergrund
der manifesten Vernetzung zwischen Politik und Kirche dürfen jedoch gewisse
Vorkommnisse um den kirchlichen Missbrauchsskandal und seine Nichtaufklärung
hierzulande kritisch hinterfragt werden. Nur in Österreich kann nämlich
der Vorsitzende der Bischofskonferenz eine fromme Trägerin des päpstlichen "Gregorius-Orden
für besonderen Eifer in der Verteidigung der katholischen Religion" beauftragen,
eine "unabhängige Opferschutzanwaltschaft" zu errichten, ohne dafür
Hohn und Spott zu ernten.
Nur in Österreich findet sich in Windeseile
auch eine prominente Mannschaft, die willig die Hauptrollen in dieser Farce
besetzt. Während sich in Irland -und wie sich jüngst gezeigt hat, auch in Wien
-RichterInnen im Rahmen von öffentlich beauftragten Untersuchungskommissionen
erfolgreich auf Wahrheitssuche begeben haben, lassen sich andere österreichische
RichterInnen für kirchliche PR-Aktionen einspannen.
Wer glaubt, dass
die Klasnic-Kommission nach dem Vorbild der Helige-Kommission je unter Einbeziehung
aller wissenschaftlichen Mittel die Geschehnisse im kirchlichen Sektor aufklären,
die Schicksale der Betroffen anerkennen und darüber hinaus die Ausforschung
der Verantwortlichen (!) sowie die Gewinnung von Erkenntnissen über die Dynamik
von Gewalt in kirchlichen Einrichtungen vorantreiben wird, der irrt.
Wer
glaubt, dass eine tatsächlich unabhängige Untersuchungskommission in Österreich
dies je tun wird, wird sogar selig. Hier sind nämlich sehr potente Seilschaften
am Werk und, natürlich, Geld. Sehr viel Geld. In Irland haben nämlich Staat
und Kirche über zwei Milliarden Euro für Entschädigungszahlungen bereitgestellt.
In Österreich schlug die Entschädigung, so die stolze Darstellung der Klasnic-Kommission,
mit gerade zwölf Millionen Euro zu Buche.
Eytan Reif, Jahrgang 1971,
Vorstandsmitglied
der Initiative Religion ist Privatsache