Missbrauch: Wien ist anders

Leserkommentar für den Standard von Eytan Reif am 26. Juni 2013

Der kirchliche Missbrauchsskandal wird hierzulande,
anders als in Irland, nie aufgearbeitet werden

Promt nach der Veröffentlichung des Endberichts der Kommission Wilhelminenberg ("Helige-Kommission") reagierte, wie erwartet, die Wiener Opposition: ÖVP-Landesparteiobmann Manfred Juraczka zeigte sich "erschüttert" über das Ausmaß der Vorfälle, und FPÖ-Chef Strache empörte sich über nun angeblich nachgewiesene Vertuschung "von oben".

Das Dokument selbst zeugt von einem aufrichtigen Versuch, aufzuklären. Der Leser dieses 344 Seiten starken Berichts kann sich zweifelsohne von dem, was sich zwischen 1948 und 1977 im Wiener Kinderheim abspielte, ein lebendiges Bild machen, und zwar aus sachlichem, geschichtlichem, juristischem sowie medizinischem Blickwinkel. Insbesondere das einleitende Kapitel "Das Leben im Kinderheim" liefert einen Einblick in einen Alltag, den niemand heutzutage gutheißen würde.

Zahlreiche Exkurse runden das Bild ab und zeugen vom Bestreben, keine weiterführenden Fragen unbehandelt zu lassen. Kritisch zu sehen ist, dass die Helige-Kommission von der Stadt Wien, die ja für das Heim verantwortlich zeichnete, eingesetzt wurde; wünschenswerter wäre eine staatliche Untersuchungskommission, die ihr Dasein auf ein entsprechendes Gesetz zurückführen könnte. Aber immerhin: Aus rechtsstaatlicher Sicht qualifiziert die Gebietskörperschaft Wien als öffentliche und daher neutrale Auftraggeberin. Gerade noch. Und gut kommt Wien in diesem Bericht keineswegs davon.

Dublin zeigt den Weg

Nachdem sich im erzkatholischen Irland während der neunziger Jahre Gerüchte und zunehmend auch Berichte über weit verbreitete pädokriminelle Aktivität in überwiegend kirchlichen Jugendeinrichtungen häuften, wurde dort im Jahr 1999 die erste staatliche Untersuchungskommission ins Leben gerufen. Diese laborierte neun Jahre lang und lieferte ein wahres Monsterwerk, den sogenannten Ryan-Bericht, zum Thema "Kindesmissbrauch seit 1936".

Parallel zu dieser Kommission wurden auch weitere gegründet, um Licht in besonders dunkle Nischen der irischen Gesellschaft beziehungsweise Geschichte zu werfen. Begleitet wurde die Arbeit dieser stets öffentlichen Kommissionen von einem lebhaften gesellschaftlichen und politischen Diskurs, der sich auch mit der systematischen kirchlichen Vertuschung - in Irland sowie in Rom - auseinandersetzte und gar zu einem Köpferollen - in der Politik sowie in der Kirche - führte. In Irland kann nun die Aufarbeitung so gut wie abgeschlossen betrachtet werden.

The Austrian Way

Österreich ist aber anders.
Nicht in jeder Hinsicht natürlich: Österreich ist, sowie Irland, katholisch geprägt und auch hierzulande konnten "Würdenträger" mit pädophilen bzw. sadistischen Neigungen jahrzehntelang ihre Fantasien unbehelligt Realität werden lassen. Anders als in Irland hat aber der österreichische Staat, milde formuliert, noch lange nicht verinnerlicht, dass er jahrzehntelang als Erfüllungsgehilfe gedient hat.

Ganz im Gegenteil: Die Republik gibt sich sehr zufrieden, wenn sie sich hinter dem Feigenblatt einer kirchlich berufenen Arbeitsgruppe, der "Unabhängigen Opferschutzanwaltschaft", verstecken kann.
Jene kirchliche Arbeitsgruppe - im Volksmund auch "Klasnic-Kommission" genannt - die im Jahr 2010 errichtet wurde, begann ihr Dasein, so waren und sind viele Kommentatoren einig, als genialer Schachzug der katholischen Kirche Österreichs.

Dank ihrer Besetzung durch Laien und insbesondere vor dem Hintergrund der staatlichen Verantwortungslosigkeit, konnte sie sich mit der Zeit von einer kirchlichen Entschädigungseinrichtung zu einer "Opferschutzanwaltschaft" - feierlicher Empfang beim Bundespräsidenten inklusive - weiterentwickeln.

Am 14. Dezember 2012 begann das Bild sich einzutrüben. Per Bescheid hielt die Datenschutzkommission amtlich fest, dass die Klasnic-Kommission eine "Einrichtung der Erzdiözese Wien" und somit der katholischen Kirche sei. Und die nächste Hiobsbotschaft ließ nicht lange auf sich warten: Eine für den 26. Februar 2013 anberaumte parlamentarische (Nicht-)Enquete unter der Regie der Klasnic-Kommission wurde von Hausherrin Prammer kurzfristig und ersatzlos abgesagt.

Seilschaften im Dienste der Kirche

Und die Nationalratspräsidentin hatte recht, als sie im letzten Moment den Missbrauch des Hohen Hauses am Ring für eine kirchliche PR-Aktion verhinderte.
Der nun veröffentlichte Bericht der Helige-Kommission und das Bekanntwerden der unheiligen Machenschaften um den Stadterweiterungsfonds bestätigen ihre Vorgehensweise auch im Nachhinein. Eines gleich vorweg: Jeder Versuch der katholischen Kirche, Opfer kirchlicher Gewalt freiwillig und unbürokratisch zumindest teilweise zu entschädigen, ist zu begrüßen.

Vor dem Hintergrund der manifesten Vernetzung zwischen Politik und Kirche dürfen jedoch gewisse Vorkommnisse um den kirchlichen Missbrauchsskandal und seine Nichtaufklärung hierzulande kritisch hinterfragt werden. Nur in Österreich kann nämlich der Vorsitzende der Bischofskonferenz eine fromme Trägerin des päpstlichen "Gregorius-Orden für besonderen Eifer in der Verteidigung der katholischen Religion" beauftragen, eine "unabhängige Opferschutzanwaltschaft" zu errichten, ohne dafür Hohn und Spott zu ernten.

Nur in Österreich findet sich in Windeseile auch eine prominente Mannschaft, die willig die Hauptrollen in dieser Farce besetzt. Während sich in Irland -und wie sich jüngst gezeigt hat, auch in Wien -RichterInnen im Rahmen von öffentlich beauftragten Untersuchungskommissionen erfolgreich auf Wahrheitssuche begeben haben, lassen sich andere österreichische RichterInnen für kirchliche PR-Aktionen einspannen.

Wer glaubt, dass die Klasnic-Kommission nach dem Vorbild der Helige-Kommission je unter Einbeziehung aller wissenschaftlichen Mittel die Geschehnisse im kirchlichen Sektor aufklären, die Schicksale der Betroffen anerkennen und darüber hinaus die Ausforschung der Verantwortlichen (!) sowie die Gewinnung von Erkenntnissen über die Dynamik von Gewalt in kirchlichen Einrichtungen vorantreiben wird, der irrt.

Wer glaubt, dass eine tatsächlich unabhängige Untersuchungskommission in Österreich dies je tun wird, wird sogar selig.
Hier sind nämlich sehr potente Seilschaften am Werk und, natürlich, Geld. Sehr viel Geld. In Irland haben nämlich Staat und Kirche über zwei Milliarden Euro für Entschädigungszahlungen bereitgestellt. In Österreich schlug die Entschädigung, so die stolze Darstellung der Klasnic-Kommission, mit gerade zwölf Millionen Euro zu Buche.

Eytan Reif, Jahrgang 1971,
Vorstandsmitglied der Initiative Religion ist Privatsache