Und als Gründe dafür führt Prof. Pollack genau dasselbe an, das hier dauernd
zu lesen ist: steigende Bildung und der Sozialstaat machen Religionen überflüssig.
Das "Opium des Volkes" wird weniger benötigt, weil die Religion als
"Geist geistloser Zustände" stark sinkende Nachfrage hat und weil
Religion als "Seufzer der bedrängten Kreatur" und als "Gemüt
einer herzlosen Welt" durch den Sozialstaat entbehrlich gemacht wurde.
Prof.
Pollack verwendet natürlich nicht diese Zitate von Karl Marx, er formulierte
das in einem Vortrag am 31.10.2013 so: "Der Mitgliederschwund ist nahezu
unaufhaltsam. Auch Reformsignale von Papst Franziskus und Neuerungen in den
evangelischen Landeskirchen halten den Trend nicht auf." Schwerer als der
Einfluss aller kirchlichen Bemühungen wiege die Entwicklung im gesellschaftlichen
Kontext der Kirchen. "Das Wohlstands- und Bildungsniveau ist so hoch
und die soziale Absicherung so gut, dass immer weniger Menschen die seelsorglichen
und sozialen Angebote der Kirchen nachfragen."
Seit 1990 seien im
Jahresschnitt 0,7% der protestantischen und 0,5 % der katholischen Kirchenmitglieder
ausgetreten. Nicht mitgerechnet hat Dr. Pollack die Verluste durch Sterbeüberschüsse
infolge der Bevölkerungsalterung und den Rückgang der Tauftraditionen. Wenn
man diese miteingerechnet, ist der nachprüfbare jährliche Verlust bis 2010 (von
diesem Jahr liegen vollständige Mitgliederzahlen der beiden großen deutschen
Kirchen vor) bei der katholischen Kirche 0,9 % und bei den Protestanten
1,05 %. 2050 würden beide Kirchen zusammen nur noch 32,2 Millionen
Mitglieder haben, gegenüber 47,8 Millionen im Jahre 2010. Der Bevölkerungsanteil
der Christen würde von 58 % in Jahre 2010 auf rund 37 % anno 2050 zurückgehen.
Und das ist sehr niedrig gerechnet, weil die Abwendung von den großen Religionsgemeinschaften sicherlich nicht statisch bleiben, sondern eskalieren
wird!
Über einen interessanten DDR-Effekt berichtet der DDR-stämmige Pollack auch:
"Außerdem ist es durch die Wiedervereinigung 1990 und durch den hohen Anteil
an Konfessionslosen im Osten kein Minderheitenphänomen mehr, keiner Kirche anzugehören.
Das hat viele Menschen auch im Westen zum Nachdenken gebracht, wo die Kirchenaustritte
seitdem stark anstiegen."
Für die Kirchen und ihre Zukunftsbemühungen
schaut es nicht gut aus: "Solche gesellschaftlichen Prozesse, wie auch
der Zuwachs an Wohlstand und individueller Freiheit, wiegen als Gründe für den
Mitgliederschwund wesentlich schwerer als alle Versuche der Kirchen, mehr auf
die Menschen einzugehen". Und: "Tatsächlich zeigen sich die Kirchen
-von den Gemeinden bis zu den Bischöfen -längst viel offener für die moderne
Gesellschaft als früher, sie gehen auf die individuellen Bedürfnisse der Menschen
ein, auf ihr Bestreben nach Autonomie, Transparenz und Mitbestimmung. Der neue
Papst vollzieht da etwas nach, was auf Gemeindeebene häufig schon geschieht."
Aber das binde nur bereits engagierte Kirchenmitglieder stärker: "Doch
zugleich lassen sich weitere Austritte damit nicht verhindern. Die Kirchen
beweisen also großen Realitätssinn, wenn sie für die Zukunft vorsorgen und ihre
Gemeinden zusammenlegen, Gebäude aufgeben und Einsparungen vornehmen."
In
Wien bemüht sich Bischof Schönborn ja bereits in seiner Diözese ums Gesundschrumpfen
der Pfarrstrukturen, derweilen funktioniert das aber noch nicht so wie geplant
(siehe Info Nr. 1640). In Rom redet Papst Franz
von den Armen, denen geholfen werden muss, ohne zu überreißen, dass es in den
aufgeklärten Staaten längst nicht mehr um pures Elend geht, sondern um ein besseres
Leben und nicht um Almosen auf Erden und ein Paradies für Tote.
Zusammenfassend:
nicht antiklerikale Agitation und atheistische Propaganda sind die heutigen
Feinde der Religionen, sondern Sozialstaat, Wohlstand und Bildung, die früher
als "selig" deklarierten "Armen im Geiste" sind weggeschrumpft
(siehe Info Nr. 1658), die bedrängte Kreatur seufzt
nicht mehr zu Gott, sondern nimmt die gesellschaftlichen Angebote in Anspruch.
Krankenkasse, Arbeitslosenversicherung, Unfallversicherung, Familienbeihilfe,
Pensionsversicherung, Sozialhilfe haben sinnlose Bemühungen um göttliche
Hilfe überflüssig gemacht und ein Mensch, der als Kind nicht religiös gehirngewaschen
wurde, hat als Erwachsener keine religiösen Bedürfnisse. Und wenn manchmal doch,
dann liegt der Esoterikmarkt mit seinen Angeboten vor dem lieben Jesus.
Amen.