Neue Verfassung für Ägypten

Als in Ägypten 2011 der Autokrat Mubarak gestürzt wurde und ein demokratisches System eingeführt werden sollte, lief dieser Vorgang so ab, wie ihn sich die Rebellen gegen das Mubarak-System es sich mehrheitlich nicht vorgestellt hatten.

Die Islamisten hatten sich am Aufstand zwar nicht beteiligt, konnten aber nachher die Früchte fast alleine einsammeln: Denn die Muslimbrüder und andere islamistische Fanatikergruppen wie Salafisten waren die einzigen, die bereits Organisationsstrukturen hatten, die neuen demokratischen Gruppierungen waren in zahlreiche Parteien gespalten und als solche wenig bekannt: Die Islamisten gewannen die Wahlen, weil sie alles mögliche versprachen und speziell bei der religiösen Landbevölkerung ihr Wählerpotential voll ausschöpfen konnten. Bei den Wahlen von Dezember 2011 / Jänner 2012 erhielten die Islamparteien 309 Sitze und die säkularen Parteien nur 118.

Alsbald folgten in Ägypten Bemühungen die Scharia zur Grundlage des Staates zu machen, was im Volke nicht auf große Zustimmung stieß, speziell viele Aktivsten des Umsturzes sahen die Entwicklung als Gefahr. Bei den Präsidentenwahlen stellten die Muslimbrüder Muhamed Mursi als Kandidaten auf, bei der ersten Wahlrunde erreichte er nur knapp 25 %, die Ägypter hatten schon genug Gelegenheit gehabt, um wahrzunehmen, dass die nun regierenden Islamisten die Lage der Menschen eher verschlechtert als verbessert hatten.

Dummerweise hatte diese Wahlrunde als zweiten Kandidaten für den Enddurchgang Amhed Shafiq, den letzter Premier Mubaraks, ergeben, weil die Umstürzler von 2011 sich nicht auf einen gemeinsamen Kandidaten hatten einigen können. Als Mann des alten Regimes verlor Shafiq gegen Mursi, die zweite Runde am 24. Juni 2012 brachte Mursi 51,7 % und Schafiq 48,3 %, die Wahlbeteiligung lag nur bei 51 %. Kurz vor dieser Wahl hatte der Verfassungsgerichtshof die Parlamentswahl aufgehoben, weil die Wahlbestimmungen vorgesehen hatten, dass ein Drittel der Mandate an unabhängige Kandidaten zu vergeben sei, diese aber meistens an organisierte Islamisten gegangen wären, die ihre Unabhängigkeit nur vorgetäuscht hätten.

Der nächste Schritt im geplanten Ablauf der Neugestaltung Ägyptens war die Einrichtung einer neuen Verfassung. Dazu waren aus allen politischen Gruppierungen Vertreter in einen Verfassungsrat entsandt worden. Dort sollte nun eine Verfassung ausgearbeitet werden, in diesem aus 100 Personen bestehenden Gremium in Anwesenheit von mindestens 75 der 100 mit einer Zustimmung von 67 zu jeden Verfassungsartikel die Vorlage für eine Volksabstimmung beschlossen werden. Die 26 Vertreter der säkularen Organisationen verweigerten jedoch die weitere Mitarbeit, weil sie den von den Islamisten ausgearbeitete islamistischen Entwurf ablehnten.

Daraufhin verfügte Präsident und Muslimbruder Mohammed Mursi am 22.11.2012: "Alle Verfassungszusätze, Entscheidungen und Gesetze des Präsidenten sind endgültig, gegen sie kann kein Rechtsmittel mehr eingelegt werden". Er hatte sich damit eine Art Selbstermächtigung erstellt, warf die säkularen Mitglieder aus dem Verfassungsgremium und ließ seine Islamisten den islamitischen Verfassungsentwurf alleine beschließen.

Bei der Verfassungsabstimmung im Dezember 2012 stimmten knapp 64 % für die neue Verfassung, allerdings nahmen nur 32,9 % der Wahlberechtigten an der Abstimmung teil, die säkularen Gruppen hatten nämlich nicht zum Neinstimmen, sondern zur Wahlenthaltung aufgerufen. Offenbar hatten sie den Stimmungsschwenk - weg von den Islamisten - unterschätzt.

Die Säkularen mussten nun alles noch mal von vorne beginnen. Nun galt es nach Mubarak auch Mursi zu stürzen. Bis Ende Juni 2013 sammelten die Mursi-Gegner 22 Millionen Unterstützungsunterschriften für den Rücktritt Mursis und machten auf den Straßen wieder mobil. Sie setzten Mursi ein Ultimatum, bis 3.7. zurückzutreten, das traditionell säkular eingestellte ägyptische Militär schloss sich diesem Ultimatum an. Als der Präsident den Rücktritt verweigerte, nahm das Militär Mursi und führende Muslimbrüder fest.

Millionen feierten die Absetzung von Mursi

In der Folge versuchten die Muslimbrüder eine Zeitlang ebenfalls Massendemonstrationen zu organisieren, was ihnen allerdings regelmäßig misslang. Während die Mursi-Gegner Millionen auf die Straße gebracht hatten, bestanden die angekündigten Millionenaufmärsche der Islamisten maximal aus einigen Zehntausend.


In der weiteren Entwicklung folgte das Verbot der Muslimbrüder und schließlich deren Einstufung als terroristische Organisation.

Schließlich wurde am 14./15. Jänner 2014 über eine neue Verfassung für Ägypten abgestimmt. Am 16.1. lagen die Ergebnisse vor, 37 % Teilnahme und 98 % Zustimmung.

Säkulare freuen sich über das Abstimmungsergebnis

Wenn man die Zustimmung von der Zahl der Wahlberechtigten aus berechnet, hatte die islamistische Verfassung von 2012 eine Zustimmung von 21 Prozent, die neue Verfassung eine von 36 %. In westlichen Medien wurde dazu wieder herumgenörgelt, es sind offenbar manche Journalisten dafür, dass islamfaschistische Regimes durch demokratische Wahlen unangreifbar legitimiert seien, den politischen Extremismus ihrer Ideologie ungehindert durchziehen zu können. In Ägypten wurde das durch vernünftige säkulare Maßnahmen unterbunden. Und das ist gut und nicht schlecht.

2014 sollen in Ägypten ein neues Parlament und ein neuer Präsident gewählt werden.
Es ist anzunehmen, dass die ägyptischen Wahlberechtigten diesmal keine Islamisten zu Siegern küren werden, der Sieg der Muslimbrüder von 2012 hat dem Land und den Menschen dort ausreichend geschadet, um sie daraus entsprechende Schlüsse ziehen zu lassen.