Deregulierter Kapitalismus siegt

Publiziert am 27. Februar 2014 von Wilfried Müller auf www.wissenbloggt.de

Warum sollte man mit Gini-Koeffizienten und Ungleichverteilungen jonglieren, um zu beweisen, dass es in die falsche Richtung läuft? Kann man nicht einfach die Freuden von Freiheit, Demokratie und Kapitalismus genießen, und den neidischen Sozialisten die Kritik überlassen? (Bild: Gini Coefficient World CIA Report 2009, Hysohan, Narfsort, Wikimedia Commons.)


Diese Heile-Welt-Denke müssen immer mehr Menschen aufgeben, weil sie selber betroffen sind. Das Armmachen ist Realität. Die zunehmende Belastung der Allgemeinheit und die finanzielle Auszehrung des Staates sind Tatsachen, konterkariert vom zunehmenden Reichtum einer speziellen Elite.

Die Rede ist vom unverdienten Reichtum, der aus den Geldströmen entsteht, mit denen die entfesselten Finanzmärkte sich vom realwirtschaftlichen Nutzen entfernt haben. Dort kassieren immer mehr Privilegierte ab, für Leistungen, die nur ihnen selbst nutzen, und die der Allgemeinheit im Zweifelsfall beliebig viel Schaden zufügen. Selbst die großen Profiteure an den aufstrebenden Märkten ziehen ihren Gewinn aus der Wertschöpfung von anderen, deren Ertrag  sie in ihre eigenen Taschen umleiten.

Welchen Maßstab das angenommen hat, zeigt ein Artikel im STERN, Milliardäre werden mehr -und noch reicher (26.2.2014): Die Zahl der Dollar-Milliardäre und ihr Reichtum sind weltweit weiter stark gestiegen. Nach der Reichenliste des Shanghaier "Hurun"-Magazins wuchs die Zahl der Dollar-Milliardäre um 414 auf einen Rekord von 1867.

Wie die Allgemeinheit dabei abgehängt wird, zeigt eine Reihe von anderen Berichten, die sich beliebig ergänzen ließe. Dass die Entwicklung nicht neu ist, sieht man am ersten Bericht der Süddeutschen Zeitung. Dass Deutschland besonders betroffen ist, machen die weiteren Artikel klar:
Schieflage der Einkommensverteilung -Reiche werden immer reicher (SZ 21.5.2010): In den 90-er Jahren müssen sich die Reichen in Deutschland wie an der Gelddruckmaschine gefühlt haben: Einer aktuellen Studie zufolge wurden sie im vergangenen Jahrzehnt immer reicher, während das Einkommen von Otto-Normalverdiener stagnierte.
Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Wochenbericht 9/2014): Das durchschnittliche Vermögen ist 83.000 je Erwachsenen, aber der Median ist nur 17.000, d.h. die Hälfte hat 17.000 Euro oder weniger, z.T. sogar Schulden, und die andere Hälfte hat mehr, und zwar nach oben hin viel mehr. Auf diesen Bericht beziehen sich die anderen Artikel.
DIW Wochenbericht 9 / 2014 -Anhaltend hohe Vermögensungleichheit in Deutschland: Knapp 28 Prozent der erwachsenen Bevölkerung verfügten über kein oder sogar ein negatives Vermögen. Im Durchschnitt lag das individuelle Nettovermögen 2012 bei gut 83 000 Euro, es war damit nur wenig höher als zehn Jahre zuvor. Auch die Vermögensungleichheit besteht weiter fort, wie Deutschlands Gini-Koeffizient von 0,78 besagt (0: gleich, 1: ungleich).
Neue Verteilungsbilanz des WSI -Reallöhne 0,7 Prozent niedriger als im Jahr 2000 (WSI-Tarifarchiv 25.2.): In der langfristigen Perspektive sind die durchschnittlichen Bruttolöhne je Beschäftigtem real gesunken: zwischen 2000 und 2013 um 0,7 Prozent. Die Zahlen für den Bereich von 2000-2013: Vermögenseinkommen +62%, Lohneinkommen +28%, inflationsbereinigt  Vermögenseinkommen +26% und Lohneinkommen -0,7%.
Vermögensschere in Deutschland -Arme bleiben arm, Reiche werden reicher (SZ 26.2.): Nirgendwo in der EU ist das Vermögen so ungleich verteilt wie hier: Forscher des Wirtschaftsinstituts DIW zeigen, dass die Kluft in Deutschland zwischen Arm und Reich besonders groß ist. 
Vermögensunterschiede in Deutschland -Wo höhere Steuern sinnvoll sind (SZ 28.2.): In keinem Land der Euro-Zone sind die Vermögensunterschiede so groß wie in Deutschland.

Muss das so sein, damit die Wirtschaft brummt? Die klare Antwort lautet: Nein.

Alles in Allem spiegelt sich darin der triumphale Erfolg einer neuen Plutokratie, die sich das globale Wirtschafts- und Finanzsystem zunutze gemacht hat, um es exklusiv für sich und damit gegen die Allgemeinheit einzusetzen. Es sind ja erst 20 Jahre seit dem Verfall des Konkurrenzmodells Kommunismus. Gewiss war das ein Terrorsystem mit Korruption auf allen Ebenen, und fast alle sind froh, dass es das nicht mehr gibt.

Aber es hat den Kapitalismus allein durch seine Gegenwart gebremst, und so ein Korrektiv fehlt jetzt. Dabei kommt auf uns die Umwälzung der Robotertechnolgie zu, die sich erstmal in steigender Produktivität äußert. Das bedeutet, immer mehr Arbeit wird von Maschinen erledigt. Die große Frage ist, arbeiten die Maschinen für die Besitzenden? Dann werden immer mehr Menschen arbeitslos. Oder arbeiten die Maschinen für die Allgemeinheit? Dann können die Arbeitszeiten runtergesetzt werden, umd allen Menschen bleibt ein Teil vom Wohlstand.

Aber wenn die Privilegierten jetzt schon den Reichtum an sich reißen, den sie überhaupt nicht verdienen, wie wird es dann erst sein, wenn es legitime Ansprüche auch auf ihrer Seite gibt? Die Verteilung zwischen Besitzenden und Arbeitenden ist ja eine Verhandlungs- und Machtfrage. Wird die "Elite" sich durchsetzen und das Ungleichgewicht weiter verschärfen, weil die reale Abzockmacht auf Seiten der Plutokraten liegt?

Genau das steht zu befürchten. Die Oberschicht hat ja auch die Deutungshoheit, so dass die zunehmende Arbeitslosigkeit (im Euro-Raum bis zu 30%, bei Jugendlichen bis 60%) als Wachstumsproblem verniedlicht wird. Falsch, da zeigen sich schon die Grundprobleme des Systems, und trotzdem wagt kaum jemand von allgemeiner Arbeitszeitverkürzung zu reden.

Nebenbei bemerkt, mit der neuen Computer- und Kommunikationstechnologie ließe sich eine perfekte Planwirtschaft denken.

Bei wissenbloggt wurde das Thema ausführhlich abgehandelt:
Der unverdiente Reichtum
Sozialreport 2013
Einkommensungleichheit wächst
Globaler Reichtum, allgemeine Auszehrung