Keine Chancengleichheit, kein Wohlstand für alle

Publiziert am 17. März 2014 von Wilfried Müller auf wissenbloggt.de

dreigaengemenueDie Opinion Pages der New York Times zeigten am 9.3. den interessanten Artikel Liberty, Equality, Efficiency. Paul Krugman schreibt darin über sein Lieblingsthema, die Ungleichheit. Aus dem Inhalt:
Gemeinhin wird allzu große Ungleichheit bei den Einkommen als schlecht angesehen, aber das Thema wird von den konservativen Kräften nach Möglichkeit aus der öffentlichen Diskussion rausgehalten. Die Argumente dazu: schon der Begriff Mittelklasse sei neidische Linkspropaganda. Außerdem kann man eh nix gegen die ungerechte Verteilung der Einkommen machen (Bild: dieser Versuch bringt's auch nicht).

So jedenfalls die amerikanische Sicht. Die hält sich nämlich an das Dogma von der schädlichen Umverteilung von reich zu arm, weil vor 40 Jahren jemand (Arthur Okun, der Finanzberater von Präsident Johnson) geschrieben hat, das wäre eine Wachstumsbremse. Seither beherrscht diese Ansicht die Diskussion. Die Demokraten glaubten, die Umverteilungskosten wären nicht so gravierend, die Republikaner glaubten, sie wären's doch, aber alle glaubten an die Schädlichkeit fürs Bruttosozialprodukt.

Nur sieht es danach aus, als sei der allgemeine Glaube daran falsch. Das Gegenteil dürfte wahr sein, eine gerechtere Einkommensverteilung sollte Wachstum bringen und keinen Abwärtstrend. Und nun legt Krugman mit seinen Belegen los.

Er betrachtet die unterschiedlichen Einkommensrelationen in verschiedenen Ländern. Die USA und z.B. Großbritannien haben viel mehr Ungleichheit als Skandinavien, Frankreich und Deutschland (bei letzterem irrt Krugman, weil Deutschland auf der ungleichen Seite liegt). Jedenfalls ist die Ungleichheit eine Folge der Regierungspolitik, was laut Krugman wenig bekannt sei.

Und wenn die Ungleichheit durch Umverteilung über Steuern und Abgaben reduziert wird, wird dann das Wachtum geschädigt? Nein, sagen Studien des Weltwährungsfonds, “redistribution appears generally benign in terms of its impact on growth”,  die Umverteilung hat anscheinend einen positiven Effekt aufs Wachstum. Konsequenz: das Credo von der schädlichen Umverteilung von reich zu arm ist falsch.

Krugman legt Wert darauf, nicht als kommunistischer Umverteiler zu gelten, er will kein neues Kuba. Aber er will eine Entwicklung in Richtung der sozialeren europäischen Staaten. Nur, zeigt nicht die Euro-Krise die destruktiven Wirkung des Sozialstaats? Nein, meint Krugman, das Euroland zahlt nur den hohen Preis für eine Währungsunion ohne politische Union. Und innerhalb der Euro-Staaten stünden die mit besserer Gleichverteilung besser da.

Aber wie können die Gleichverteilungswirkungen positiv sein? Demotiviert Sozialhilfe nicht die Armen beim Arbeitsfleiß? Drücken Steuern nicht die Motivation der Reichen, noch reicher zu werden? Ja und ja, meint Krugman, aber Motivation ist nicht alles, es zählen auch die Ressourcen. Und die fehlen vielen Leuten in einer allzu ungleichen Gesellschaft.

Und der Spruch, es geht um Chancengleichheit, nicht um Einkommensgleichheit ist ein grausamer Witz auf Kosten von denen, die in Armut leben. Das sind zig Millionen in Amerika, die eben nicht den Zugang zu Bildung haben, der ihnen vergleichbare Chancen gewähren würde. In den USA vererbt sich der Bildungszugang, die "Klassenzugehörigkeit" genauso wie in Deutschland, und die Schere öffnet sich immer weiter. Der Aufstieg aus eigener Kraft funktioniert nicht mehr, wer arm geboren wird, bleibt arm " eine Verschwendung von menschlichen Ressourcen, die sich in fehlendem Wachstum niederschlägt. (Das komplementäre Argument, dass eine Plutokratie eine schlechte Elite " weil keine Leistungselite " ist, fehlt hier). Krugman argumentiert aber richtig, dass eine gerechtere Verteilung nicht alle begünstigen würde. Die Superrechen würden durch höhere Steuern mehr verlieren, als sie durch besseres Wachstum gewinnen könnten. Aber für die Armen und die Mittelschicht wäre es gut.

Kurz gesagt, was für die oberen 1% gut ist, ist nicht für das Land gut. Es muss kein goldenes Zeitalter für die Superreichen geben, wenn's die Mehrheit nicht will.

Soweit die NYT über die amerikanische Sicht. Dass es in Deutschland nicht viel anders ist, kann man einem ZEIT-ONLINE-Artikel vom 15.3. entnehmen. Es geht auch um "Chancengerechtigkeit" in Kein Wohlstand für alle: Die Ungleichheit der Vermögen in Deutschland ist erschreckend. Nötig sind Bildungsinvestitionen und mehr private Vorsorge.

Das muss hier nicht noch ausgebreitet werden, dazu gibt es bereits eine Auswahl von wb-Artikeln:
Multimilliardärsparade
Deregulierter Kapitalismus siegt
Neuer Wallraff bei den Wall-Street-Raffern
Der unverdiente Reichtum
Vernichtendes Urteil über die Bankenbeglückung
Reale Lohnsenkungen und reale Lastenerhöhungen
Sozialreport 2013
Schattenfinanzzentrum Deutschland
Globaler Reichtum, allgemeine Auszehrung