Es ist immer wieder bewundernswert wie in Kreisen, die daran glauben,
zuerst wäre das Wort gewesen und dann die Welt auch in ihrem sonstigen
Verhalten Ursache und Wirkung verwechseln. Wie aktuell der deutsche Religionssoziologe
Detlef Pollack in seinem Bericht zur Lage der evangelischen Kirche in Deutschland,
die Ende März und Anfang April 2014 in verschiedenen Medien ihre Darstellung
fand.
Die Hauptthese von Pollack lautet: "Ohne Kirchenbindung verkümmert
Glaube an Gott". Und damit liegt er schon völlig neben der Wirklichkeit,
weil genau das Gegenteil der Fall ist: "Ohne Glauben an Gott verkümmert
die Kirchenbindung", diese Erkenntnis wäre die richtige gewesen.
Das
ist so klar und so selbstverständlich, dass man nur verblüfft sein
kann, wie ein Soziologe so neben der Wirklichkeit stehen kann Aber das wird
religiöse Ursachen haben, sozusagen: zuerst war die Religion. Aber dabei
sagte er selber aus: "Von den Mitgliedern der evangelischen Kirche,
die nie einen Gottesdienst besuchen, glaubt weniger als die Hälfte an Gott.
Von denen, die mindestens einmal im Monat zur Kirche gehen und sich auch in
der Gemeinde engagieren, bekennen sich hingegen so gut wie alle zum Glauben
an Gott".
Pollack weiter in seinen spiegelverkehrten Erkenntnissen: "Der Glaube verkümmert, wenn der Austausch mit dem Pfarrer und anderen Gleichgesinnte sowie gemeinsame Riten im Gottesdienst fehlen. Die Kirche fungiert für jene Protestanten, die regelmäßig den Gottesdienst besuchen, als Stütze des Glaubens". Wem die Religion eher oder völlig egal ist, dem sind auch Pfarrer und gläubige Protestanten egal.
Und: "Heute wird zwar häufig von einem Trend zur frei flottierenden
Religiosität oder zu einer Religiosität ohne Kirche gesprochen, unter
dem Stichwort ‚believing without belonging‘ (Glaube ohne Mitgliedschaft). Doch
christliche Religiosität ist nach wie vor selten ein rein individueller
Akt. Zwar glauben von denen, die nie den Gottesdienst besuchen, etwa ein Viertel
an Gott oder ein Höheres Wesen, ganz gleich ob es sich dabei um Kirchenmitglieder
oder Konfessionslose handelt. Doch die Bekundung eines Gottesglaubens ist
weitaus wahrscheinlicher, wenn die Menschen wenigstens manchmal in die Kirche
gehen, und sie ist für diejenigen, die eine intensive Mitgliedschaftspraxis
aufweisen, nahezu selbstverständlich".
Die Bekundung eines
Gottesglaubens ist wahrscheinlicher, wenn Leute in die Kirche gehen! Wer hätte
das gedacht!
Worüber sich der Soziologe wundern hätte
können und wo er Nachforschungen anstellen müsste: warum sind Menschen,
die nicht an Gott glauben, Mitglieder der Kirche? Damit sich die Oma nicht
kränkt? Damit die Kinder in der Schule keine Schwierigkeiten haben? Weil
sonst im Dorf die Leute über einen reden? Weil die Kirchensteuer von der
Steuer abgesetzt wird? Weil es die "Pascalsche Wette" doch noch gibt?
Manche Menschen also leise Befürchtungen haben, es gäbe den bösen
Christengott und die ewige Verdammnis vielleicht doch und sich mittels Kirchensteuer
dagegen absichern möchten? Das zu durchleuchten, wäre eine interessante
religionssoziologische Aufgabe!
Zusammenfassend: Der verschwundene
Glaube spiegelt sich im verschwundenen Kirchenbesuch wieder. In Deutschland
gehen nach einer Meinungsumfrage von 2012 noch 5.4 Prozent der Protestanten
sonntags in die Kirche, nach einer eigenen Erhebung der Evangelischen Kirche
waren es 2011 nur 3.7 %. Auf der Tagung, auf der Detlef Pollack seine
obigen Erkenntnisse vorlegte, war aber von einer Erhebung die Rede gewesen,
dass 22.4 % der protestantischen Kirchenmitglieder zur Kirche gingen. Da ist
wohl den Erhebern dieser schönen Zahl der Kommapunkt um eine Stelle nach
rechts verrutscht
(aber vermutlich wollten kirchlich Befragte bloß höflichkeitshalber
eine kirchenfreundliche Antwort geben).
Aber wenn man so eine schöne
Zahl hat, dann versucht man es anscheinend wie die katholische Kirche
und veröffentlicht über den Kirchenbesuch Traumzahlen aus dem Wunschtraumbüchel.
Die
Wahrheit entwickelte sich wie es der Wiener Erzbischof und Kardinal Schönborn
im September 2012 in einem Zeitungsinterview beschrieben hat: "Es ist ein
tiefer gesellschaftlicher Umbruch, den ich in meiner eigenen Lebensspanne intensiv
miterleben konnte. Von einer Kinderzeit im Dorf, wo am Sonntag mit ganz wenigen
Ausnahmen alle in der Kirche waren, zu einer Situation, wo in demselben Dorf
mit wenigen Ausnahmen am Sonntag alle nicht in der Kirche sind."
Und
diese Entwicklung ist eben nicht die Ursache des Glaubensverlustes, sondern
seine praktische Auswirkung. Herr Pollack sollte lieber die Erkenntnisse
seiner Kollegen lesen, die von der "Welt" am 6.3.2014 verkündet
worden waren:
"Weder Protestanten noch Katholiken werden Areligiöse
in ihre Reihen holen. Die Folge daraus ist: Keiner muss den Menschen hinterherlaufen.
(..) Zwar ist es für gläubige und religiös interessierte Menschen
erst einmal deprimierend, was die neue Mitgliedschaftsuntersuchung der Evangelischen
Kirche in Deutschland (EKD) ergeben hat: Nicht an Gott zu glauben wird in
Deutschland selbstverständlich. Areligiosität ist nicht mehr begründungspflichtig,
hat nichts mit unerfüllter Gottsuche oder Zweifeln zu tun, sondern ist
festes Bekenntnis, weltanschauliche Grundausstattung von mindestens einem Drittel
der Bevölkerung. Tendenz steigend, Missionierung zwecklos. (..) Behauptet
wird ja immer noch, es gäbe Ausgetretene und Konfessionslose nur deshalb,
weil die evangelische Kirche zu weit links und die katholische zu weit rechts
stehe. Dem ist nun zu entgegnen: Die Leute stehen fern, weil ihnen Religion
egal ist. (..)"
Und eine Pollaksche Methode, Kirchenmitglieder zwecks
Glaubensbewahrung regelmäßig in die Kirche zu treiben, wird sich
heutzutage nicht einmal mehr theoretisch erörtern lassen.