Auf
Regensburgs ehemaligen Friedhof des Peterskircherls ist Johannes Kepler mit
seiner Frau Susanne begraben. An der Wand dieser kleinen Kirche hängt eine
von der Johannes Kepler Universität Linz im Jahr 1994 gestifteten Gedenktafel.
Darauf steht zu lesen, Kepler sei der Begründer der "christlichen
Ökumene".
Wie nämlich die Biographie Keplers zeigt,
wurde er als Anhänger der Reformation durch den Streit mit den Katholiken
durch halb Europa gejagt und hatte wegen der Ausgaben für den Hexenprozess,
der seine Mutter auf den Scheiterhaufen zu bringen drohte, kaum die Mittel für
das damals teure Papier und den Druck seiner astronomischen Werke. Ihn als Begründer
der christlichen Ökumene zu bezeichnen, ist eine ungeheure Anmaßung
und Vereinnahmung.
Von
dieser christlichen Umarmung (eigentlich Vergewaltigung), die einem geradezu
die Luft zum Atmen raubt, gibt es aktuell aber noch ein Beispiel eines Zeitgenossen
Keplers aus der Astronomiegeschichte: Im christlichen Jahr 2009 fand in Venedig
die Astro-Konferenz INSAP VI
statt. Anlass war das 400-jährige Gedenken an Galileio Galileis Entdeckung
der Jupitermonde mit der daraus folgenden Bestätigung des heliozentrischen
Weltbildes. Das brachte dauerhaft den Gegensatz zum christlich-biblischen geozentrischen
Weltbild, dem Galileio auf Druck der Kirche abschwören musste um dem Schicksal
eines Giordano Bruno zu entgehen.
Melchor Sánchez de Toca y Alameda,
Sekretär des päpstlichen Rates für die Kultur des Vatikan hielt
bei INSAP VI einen Vortrag über die Galileio Affäre und stellte fest:
In der damaligen Zeit sei Galileios Erkenntnis nur eine Vermutung oder These
gewesen und ein Beweis für die Richtigkeit hätte nicht vorgelegen.
Heute habe aber die katholische Kirche mit dem heliozentrischen Weltbild keine
Probleme mehr und Galileio sei rehabilitiert. In der anschließenden Diskussion
des Auditoriums könnte ich mir die provokante Frage "is Galileio now
already in danger to be canonized" nicht verkneifen, was allgemeines Schmunzeln
bei den Zuhörern und peinliches Schweigen des Vortragenden zur Folge hatte.
In einer Presseaussendung vom 31. Oktober 1999 ist wörtlich zu lesen:
"Fast 500 Jahre nach der Reformation haben die katholische und die evangelische
Kirche heute die Hauptursache ihrer Spaltung überwunden. Bei einem Festgottesdienst
in Augsburg unterzeichneten Spitzenvertreter des Vatikans und des Lutherischen
Weltbunds (LWB) die Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre. Damit
hoben sie die gegenseitigen Lehrverurteilungen in der zentralen theologischen
Frage der Erlösung des Menschen durch Gott auf."
Bei seiner
Angelus-Ansprache in Rom würdigte der Papst die Einigung als "Meilenstein
auf dem nicht leichten Weg der Wiederherstellung der vollen Einheit unter den
Christen". Die Überwindung aller konfessionellen Spaltungen des zweiten
Jahrtausends sei damit "sehr nahe" gerückt.
In
dem ökumenischen Dokument einigen sich die Kirchen darauf, dass der Mensch
allein auf Grund des Glaubens und der Barmherzigkeit Gottes erlöst ("gerechtfertigt")
werde. Die guten Taten des Menschen seien nicht Bedingung, sondern "Früchte"
der Erlösung. Dem göttlichen Zuspruch der Gnade folge der ethische
Anspruch, auf diese Gnade mit guten Taten und einem christliches Leben zu antworten.
In der gemeinsamen Erklärung
heißt es: "Wenn der Mensch an Christus im Glauben teilhat, rechnet
ihm Gott seine Sünde nicht an und wirkt in ihm tätige Liebe durch
den Heiligen Geist. … Wir bekennen gemeinsam, daß der Sünder durch
den Glauben an das Heilshandeln Gottes in Christus gerechtfertigt wird…"
Wenn
der Inhalt dieser gemeinsamen Erklärung der Kirchen richtig interpretiert
ist, so spielt es für beide Kirchen keine Rolle, welche Verbrechen ein
Mensch je vollbringt. Es reicht, dass der Mensch an Jesus glaubt und damit sind
seine Handlungen gerechtfertigt. (Die Katholiken müssen allerdings
zusätzlich auch beichten).
Das theologische Geschwurbel dieser
Erklärung ist ein herrlicher Freibrief für Verbrechen aller Art, die
von diesen Kirchen im Laufe der Jahrtausende begangen wurden. Ein Freibrief,
den die beiden Kirchen in schändlicher Weise sich gegenseitig ausstellen,
gleichsam, um einander das von ihnen vergossene Blut gegenseitig abzuwaschen
und in Zukunft sauber dazustehen: "Wir können nichts dafür. Wir
haben ja geglaubt. Deshalb sind wir jetzt von aller Schuld erlöst und gerechtfertigt."
Stelle
sich jemand vor, was geschieht, wenn solche Richtlinien in der staatlichen Gesetzgebung
zur Maxime werden. Wenn Sie also das nächste Mal unbewusst und in falschem
Glauben eine Gesetzesübertretung begehen, so sagen Sie dem Richter "Ich
habe geglaubt, ich sei im Recht. Deshalb ist meine Tat gerechtfertigt."
Die beiden christliche Konfessionen erklären sich aber gegenseitig genau
so ihre Verbrechen als gerechtfertigt.
Als Konfessionsfreier erkläre
ich aber hier und jetzt ernsthaft: Für mich und vermutlich viele andere
Nichtmitglieder dieser beiden Kirchen sind deren Verbrechen nicht gerechtfertigt.