Ob der Alt-Kanzler Helmut Schmidt wohl verstorben ist? Diese Frage
wirft Wolfgang Bittner in seinem Buch "Die Eroberung Europas durch die
USA" implizit auf. Denn tatsächlich, nachdem Schmidt im Zusammenhang
mit der Ukrainekrise "vor der Gefahr eines dritten Weltkriegs gewarnt und
der EU Größenwahn vorgeworfen hat", ist der "Elder Statesman"
aus der Öffentlichkeit verschwunden. Er, der sonst jede dritte Talkshow
zierte und Zeitungen von BILD bis ZEIT als das Orakel von Langenhorn galt, ist
weg vom öffentlichen Fenster. Bittner nimmt diese und andere Erscheinungen
des öffentlichen Kniefalls vor den Zielen der USA in Europa als Beweise
dafür, dass "die Mehrheit der westlichen Medien ... zu Werbeträgern
insbesondere der US-Propaganda verkommen sind."
Doch neben dem
Ausfall der Medien als Vierte Gewalt notiert Bittner auch die Verluste im Wirtschaftskrieg
gegen Russland: Rund 19 Milliarden Euro Direktinvestitionen seien in Russland
gebunden, das bilaterale Handelsvolumen zwischen Russland und Deutschland sei,
im Gefolge der Sanktionen, im ersten Halbjahr 2014 um 6,3 Prozent zurückgegangen
und die deutschen Exporte nach Russland schrumpften um 15,5 Prozent. Mit solchen
Zahlen lässt der Autor den Leser selbst fragen, welchen Nutzen denn die
Sanktionen haben sollen und erinnert daran, dass "Russland Deutschlands
größter Energielieferant ist" und eine Verschärfung der
Konfrontation erhebliche Schäden anrichten könnte. So vermittelt das
Buch eine Fülle von Fakten, um nach dem Interesse am Ukrainekonflikt zu
fragen und kommt zu dem klaren Fazit: "Die USA sind kein Vorbild für
Frieden und Freiheit".
Als redlicher Intellektueller bezieht Bittner
auch die russische Position in seine Überlegungen ein und zitiert aus der
Rede Putins vor dem Deutschen Bundestag im September 2001, in der er für
eine weitgehende Kooperation mit Deutschland und der EU plädierte. Und
auch in der Rede des russischen Präsidenten im Kreml aus dem März
2014, entdeckt der Autor Verhandlungsbereitschaft der russischen Seite und die
Werbung "um einen fairen Umgang miteinander". Fast resignierend stellt
Bittner fest, dass Putins Überlegungen immer wieder als "Propaganda"
abgetan werden, statt wenigstens deren Gehalt auszutesten. Und er kommt zu einer
galligen Frage: "Aber was ist von einer Regierung zu halten (gemeint
ist die deutsche), die ständig die eigene Verfassung bricht, um die
hochbrisante Kriegstreiberei der USA mitzumachen?"
Von einer
eindringlichen Skizze des ukrainischen Ministerpräsidenten Arsenji Jazenjuk,
die ihn als Stellvertreter Washingtons in Kiew ausweist, über den Verfall
des "Hoffnungsträgers" Obama bis hin zum offenen Brief von acht
ehemaligen US-Geheimdienstlern an Angela Merkel, enthält Bittners Buch
ein Ensemble von Beweisen und Gedanken, die den ziemlich gelungenen Versuch
der USA zur Eroberung der EU belegen. Einmal allerdings sind Zweifel an
Bittners Text angesagt. So, wenn er annimmt, dass nach Obamas Verkündung,
"die USA würden in der Ukraine nicht militärisch eingreifen",
die akute Kriegsgefahr in Europa gebannt sei.
Während Bittners Buch
gerade die Leser erreicht verkündete der Nato-Oberkommandeur, der US-General
Philip Breedlove: "Wir haben Kolonnen russischer Ausrüstung gesehen,
vor allem russische Panzer, russische Artillerie, russische Luftabwehrsysteme
und russische Kampftruppen, die in die Ukraine gebracht werden." Breedloves
Behauptung wird ohne jeden Beweis von den deutschen Medien einfach weitergereicht.
Die Kriegsgefahr ist nicht gebannt. Und genau deshalb ist Wolfgang Bittners
Buch ein richtiger und wichtiger Beitrag zu jener antikolonialen Debatte, die
in Europa geführt werden muss, wenn die Völker der alten Welt ihre
Selbstständigkeit zurück gewinnen und den Frieden bewahren wollen.