Qualitäts-Schlepper

Publiziert am 19. Mai 2015 von Wilfried Müller auf wissenbloggt.de

ZEIT ONLINE befasst sich besonders kompetent mit Flüchtlingen und Zuwanderern. Am 17.5. schreibt die Zeit über Flüchtlinge - Neues Leben, all-inclusive: Wie das Geschäft der Schlepperbanden mit den Flüchtlingen organisiert wird. Die Rede ist von der internationalen Reiseindustrie für Menschen, denen legale Wege versperrt sind (Bild: 99pixel, piabay).

Zu den Erkenntnissen über die Migration gehört seit längerem die Feststellung, de facto bestimmen die Schlepperbanden, wer reinkommt. Die Modalitäten der Migration werden weniger von der Politik festgesetzt, sondern von einer weltweiten Industrie. Die verkauft den Weg zum Sehnsuchtsort, und sie setzt Milliarden dabei um. Dabei hilft die ungewollte Unterstützung der Politik, denn wer z.B. EU-Boden erreicht, hat deutliche Vorteile gegenüber denen zuhause. Das ist ein ungerechtes System, weil die Bessergestellten in den Herkunftsländern sich für mehrere Jahreseinkommen Möglichkeiten erkaufen können, die den Ärmsten der Armen verwehrt bleiben.

Wie die Zeit berichtet, gibt es viele Seiten im Internet, auf denen alles angeboten wird, was der Emigrant braucht: Pässe, Geburtsurkunden, Führerscheine und Fluchtrouten. Es geht bis zum "All-inclusive-Paket" für Zehntausende von Dollars.

EU-Hilfe

Wer so viel Geld anlegen kann, wird inwischen auch von EU-Regierungen umworben, wie die Zeit am 15.5. berichtete. Schengen-Raum – Ungarn verkauft Eintrittstickets in die EU: Die Regierung in Budapest will Geld machen mit EU-Aufenthaltstiteln. Wer zahlungskräftig ist, bekommt ungarische Visa – und das Versprechen, Zugang in die EU zu haben.

Das richtet sich wohl mehr an Chinesen und Vietnamesen. Doch die ungarische Regierung reiht sich damit bei den Schleppern vom Hochpreissegment ein, und man fragt sich, wann andere Regierungen auf dieselbe Idee verfallen. Griechenland nutzt die Erpressungspotentiale besonders gut aus, also wann werden die Griechen mit Durchlassen oder Reinlassen drohen? Zwar heißt es, wenn ein Mitgliedstaat mit der Möglichkeit eines längeren Aufenthalts in einem anderen EU-Land werbe, sei das nicht mit dem EU-Recht vereinbar. Bittesehr, die Beständigkeit des EU-Rechts wurde schon so weit wegerodiert, dass sich kaum noch jemand darum schert.

Ruferhaltung vs. Schiffeversenken

Von derzeit 50 Millionen Fluchtwilligen ist die Rede, mit der Perspektive, dass es auch zigmal mehr werden können – ein absoluter Wachstumsmarkt. Die Anbieter haben das realisiert, und deshalb achten die Schlepper normalerweise auf ihren Ruf. Wer dauerhaft am Markt erfolgreich sein will, müsse ordentlich liefern, so die Zeit. Die Informationen über die schlepperische Dienstleistung verbreite sich ja schnell. Nur Milizen und Banden hätten oft kein Interesse an längerfristigen Geschäftsbeziehungen; denen sei das Schicksal der  Passagiere egal. Die ließen sich vorab bezahlen und schicken dann ihre Boote los. Zuweilen ohne Crew, so dass die Migranten auf die Steuerautomatik vertrauen müssen, wenn sie die Schiffe nicht selbst lenken können.

Wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung am 17.5. schreibt, soll nun militärisch vorgegangen werden. Mittelmeer – Deutsche Marine soll Flüchtlingsboote nach Rettung von Migranten versenken: Die deutschen Marineschiffe haben die Anweisung erhalten, die Boote von Migranten auf dem Mittelmeer nach deren Rettung zu zerstören. So wird im  Kampf gegen die Schleuser "eine enge Zusammenarbeit zwischen EU und Vereinten Nationen" angestrebt. Dazu müssten noch zahlreiche rechtliche und praktische Fragen abgeklärt werden. Am 19.5. berieten die Außen- und Verteidigungsminister der EU über die entsprechenden EU-Pläne für einen Militäreinsatz im Mittelmeer.

Geschichte

Diese gewaltsame Lösung ist natürlich keine echte Lösung. Sie wird  schon als Scheinaktionismus abgestempelt, als Kampf gegen Symptome. Wer sich an die Geschichte der Armutsflucht hält, dürfte auch Bedenken kriegen. Vom Europa der Jahre 1824-1924 ging eine starke Emigration aus, insgesamt 52 Millionen Menschen verließen den Kontinent (zumeist in Richtung Amerika).

Damals herrschte Bevölkerungsexplosion in Europa, und der Druck baute sich so ab. Jetzt ist die Bevölkerungsexplosion immer noch da (die Bevölkerungsdichte Europas ist dicht am Allzeit-Hoch dran). Deshalb sind die Bedingungen heute anders. Im Rest der Welt hat die Bevölkerung  auch stark zugenommen hat, und wenn nun ausgewandert wird, geht es überall von einem übervölkerten Land in ein anderes übervölkertes Land.

EU-Politik

Letztlich geht es um eine Neuverteilung der Übervölkerung. Das ist ein Unterfangen, das eigentlich nicht den Schleppern überlassen werden sollte – auch nicht, wenn es ungarische Hochpreis-Qualitäts-Schlepper sind. Die EU-Politik ist anscheinend kaum imstande, das Problem zu lösen, zumal sie viele Elemente des Problems selber schafft.

Sie unterstützt die von den USA angezettelten Kriege in Libyen, Irak, Afghanistan militärisch oder mit Waffenhandel. Über die Handelsdominanz unterstützt sie die Ausbeutung, die spekulative Landnahme, die Überfischung. Mit den hiesigen Agrarüberschüssen (eher Abfällen) werden die Märkte kaputtgemacht. Mit geduldeter Kapitalflucht in die Steueroasen werden die kleptokratischen Eliten gefördert.

Statt militärischer Eingriffe sollte auf der Brüsseler Agenda stehen, erst mal diese Ungerechtigkeiten aus der Welt zu schaffen. Solche Vernunftreaktion ist aber nicht zu erwarten. Ehe es dazu kommt, müssen anscheinend alle anderen Optionen durchgenommen werden. Wenn es nicht die militärische Lösung ist, dann stehen wohl die Freiheiten zur Disposition, die der Schengen-Raum bietet.

Neue Grenzkontrollen und sonstige Überwachung werden angedacht, um Migrationshindernisse im Inneren von Schengenland aufzubauen. Weil die Kontrolle nach außen nicht funktioniert (zumal wenn Staaten wie Ungarn sie unterlaufen), werden bald wieder Kontrollen im Inneren fällig.

Grenzen

Sicher ist, dass die All-inclusive-Emigration ins neue Leben nur begrenzt funktionieren kann. Mit militärischen Mitteln dagegen anzugehen, sollte aber die letzte Option sein. Erst sollten die anderen Möglichkeiten ausgeschöpft werden. Beseitigung der Ungerechtigkeit, Hilfe zur Selbsthilfe vor Ort. Gerechte Aufnahme von Flüchtlingen nach politisch definierten Schlüsseln statt nach Schleuserwillkür.

Zur Erinnerung: es gibt einen einen Staat in Europa, der auf seinen staatlichen Status stolz ist, der besonders reich ist und trotzdem keine Flüchtlinge aufnehmen mag: das ist der Vatikanstaat. Da gibts kein Asylrecht, keine Anlaufstelle für Asylanten, kein Flüchtlingsheim, keine finanzielle Hilfe. Nur schöne Worte vom Papst, Liebe deinen Nächsten wie dich selbst. Bei soviel Liebe wär's wohl übertrieben, auch noch schnöden Mammon rauszurücken, oder?

Links: Streit um Flüchtlinge und Islamisierung III