Landtagswahlen Steiermark 2015

Über das Fressen und über die Moral

Aus der "Dreigroschenoper" von Bert Brecht stammt dieser Text:
Ihr, die euren Wanst und unsre Bravheit liebt
Das eine wisset ein für allemal:
Wie ihr es immer dreht und wie ihr's immer schiebt
Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral.
Erst muss es möglich sein auch armen Leuten
Vom großen Brotlaib sich ihr Teil zu schneiden.

Daraus können wir aktuell politisch wieder einmal was lernen.

Weil zurzeit steht die Moral wieder einmal vor dem Fressen.
Was sich speziell auch bei der Landtagswahl in der Steiermark am 31.5.2015 prächtig zeigte. Denn das "Fressen", also materielle und psychische menschliche Grundbedürfnisse wurden wieder einmal sehr konsequent ignoriert.

Hier das vorläufige steirische Resultat:


Und in Zahlen:

Hier auch mit einer Prozentspalte, die die Nichtwähler mit einbezieht. Die Nichtwähler sind die stärkste Partei, es gibt deutlich mehr Nichtwähler als SPÖ- und ÖVP-Wähler zusammen, die Nichtwähler haben gegenüber 2010 immerhin auch 7,25 % dazugewonnen, das ist der zweithöchste Zugewinn nach der FPÖ, die ein Plus von 9,4 % der Wahlberechtigten und von 16,46 % der gültigen Stimmen erreichte.
FPÖ plus Nichtwähler hätten eine absolute Mehrheit von 54,42 %, während die Regierungskoalition nur 35,56 % Zustimmung der Wahlberechtigten erhielt.

Warum liegt die Nichtzustimmung zur Landesregierung in der Steiermark so hoch?

Sicherlich hatten die von oben verordneten Gemeindezusammenlegungen eine wichtige Rolle gespielt. Denn auch die örtliche Identität der Menschen gehört zum "Fressen". Und wenn diese Identität ungefragt aus ökonomischen Gründen gestrichen wird und sowieso für die breite Masse der Bevölkerung Jahr für Jahr irgendwas gestrichen, irgendwas schlechter wird, damit es den Superreichen noch besser geht, dann gibt es eben bei den Wahlen ein entsprechendes Echo.
In der Steiermark haben 61 % der Arbeiter die FPÖ gewählt. Die SPÖ hatte sich im 19. Jahrhundert als Interessenvertretung der Arbeiter gebildet, sie ist heute als solche nicht mehr wahrnehmbar, weil sie sich nahezu widerstandslos ins neoliberale System einordnet, also sich ums "Fressen" ihres Klientels gar nimmer kümmert, der ÖGB "erkämpft" Jahr für Jahr Nettoreallohnverluste.

Aber bei der Moral ist man da. Zwar nicht ganz so göttlich wie die Grünen, die als Produkt des gehobenen liberalen Bildungsbürgertums keinen Funken von einer Ahnung haben, wie die heutige Arbeitswelt ausschaut, aber im Verkünden von Moral Weltklasse sind.
Und die Menschen, die sich ohnehin ständig und ständig zunehmend in ihrem elementaren Lebensbereichen - also beim "Fressen" - bedrängt sehen, werden mit moralischen Forderungen belegt, es wird ihnen genommen, sie bekommen selber nichts, aber sie sollen geben, hilfreich und gut sein müssen. Da scheißen sie drauf, gehen gar nicht zur Wahl oder wählen FPÖ.

Die knapp 18 % der Wahlberechtigten, die in der Steiermark noch die SPÖ gewählt haben, machten das nicht wegen der Moral, sondern doch wohl überwiegend aus der Hoffnung, dass die Sozialdemokratie ein bisschen was für ihre Interessen tun könnte.

Das Thema "Zuwanderung" ist das alleinige Thema der FPÖ. Wenn in Österreich mehr als Zweidrittel der Leute dem Islam und seinen etablierten Parallelwelten mit Sorge, mit Ablehnung, mit Angst gegenüberstehen, sich von der Zuwanderung bedroht sehen und der Herr Faymann als SPÖ-Chef verkündet, man müsse der Bevölkerung die Flüchtlings- und Asylpolitik künftig besser erklären, dann arbeitet er bereits daran, dass in Wien die FPÖ ihr Ziel - bei den heurigen Gemeinderatswahlen über 30 % der gültigen Stimmen zu kommen - sicher erreichen wird.

Ein bisschen weniger dumm
als der sowieso ständig überforderte Bundeskanzler reagierte der wahlmäßig abgewatschte SPÖ-Landeshauptmann der Steiermark, Franz Voves, er räumte immerhin im Morgenjournal am 1.6. ein:

(zum Abspielen der mp3 wird Quick-Time-Plug-In o.ä. benötigt, wenn sowas nicht installiert ist, dann ist hier oberhalb statt einer Abspielvorrichtung nur eine leere Zeile zu sehen - beim Browser "Google Chrome" kann der Ton automatisch starten)
Für Pluginlose: Direktstart in neuem Fenster: VovesORF01062015.mp3

Es würde eigentlich den im ständigen Schrumpfen befindlichen Regierungsparteien nichts anderes übrig bleiben als statt der "Moral" das "Fressen" in ihre Programme zu nehmen.
Was aber im Zeitalter des Neoliberalismus allein schon daran scheitern wird, dass die christliche ÖVP den Neoliberalismus als das System sieht, das endlich die biblische Lehre vollständig verwirklichen kann - so wie es in Matthäus 25, Vers 29 geschrieben steht: "Denn wer da hat, dem wird gegeben, dass er die Fülle habe; wer aber nicht hat, dem wird auch das genommen, was er hat". Und die SPÖ wird wohl weiterhin danebenstehen und höchstens manchmal ein zaghaftes "Ja, aber..." von sich geben.

Die FPÖ ist zwar alles andere als eine Interessensvertretung der arbeitenden Menschen, aber was sollen die ausgebeuteten, drangsalierten Werktätigen machen? Sich Moralpredigten darüber anhören, dass die Republik Österreich vorübergehend Asylanten in Zeltlagern unterbringt? Wo doch jeder weiß, bei Regenwetter ist Camping unmenschlich!

Die Proteststimmenpartei FPÖ wird weiter wachsen, sie lebt ja davon, dagegen zu sein und kann darum Runde um Runde gewinnen, weil immer mehr Leute das Gefühl haben, die regierenden Parteien regieren gegen sie, ignorieren ihre Lage, ihre Befindlichkeiten, ihre Ängste und stellen ständig neue Forderungen an sie: weitere Belastungen auf sich zu nehmen, ihre eigenen Befürchtungen gefälligst als unmoralisch wahrzunehmen und sich in ein als immer schlechter wahrgenommenes Schicksal geduldig einzufügen und den Mund zu halten.

Dadurch wird sogar ein Schmalspurpolitiker wie der Strache zu einem Volkstribunen.

Aber man wird es den Menschen ja sagen: Angefressen dürft ihr nicht sein! Wir erklären Euch wie Ihr sein müsst! Wir bestimmen das Volk, nicht das Volk die Politik! Weil wir lieben unseren Wanst und Eure Bravheit! Verstanden!

Strache kann sich die Hände reiben.