Der Landtag von Baden-Württemberg hat über eine Petition abgestimmt,
die die "Humanistische Alternative Bodensee" (HABO) mit weiteren Unterstützern
eingereicht hatte. Darin forderten die Petenten ein Verbot religiöser
Werbung in öffentlichen Einrichtungen. Ausschlag gebend für diese
Eingabe waren Vorfälle in Dienststellen der Polizei und in staatlichen
Kindertagesstätten, bei denen christliche Vereinigungen Bibeln und andere
religiöse Schriften an Mitarbeiter, Schüler und Besucher verteilt
hatten – und die von Betroffenen an die HABO zugetragen wurden. In seiner abschließenden
Beurteilung entschied sich der Landtag schlussendlich für die Ablehnung
der Petition, wenngleich bereits einige Schritte unternommen wurden, um dem
Anliegen der Petenten Rechnung zu tragen.
So geht aus der Begründung
des Parlamentsentscheides nochmals hervor, dass die Vorgängerregierung
von Grün-Rot, die damalige Koalition aus CDU und FDP, im Jahr 2007 die
Anfrage des Repräsentanten einer christlichen Vereinigung zur Verteilung
des "Neuen Testamentes" in den Dienststellen der Polizei des Landes
Baden-Württemberg positiv beschied. So teilte das Innenministerium
am 2. März 2007 mit, dass gegen dieses Vorhaben "keinerlei Bedenken"
bestünden. Daraufhin wurden in den Folgejahren in "wenigen" Polizeidienststellen
des Landes diese Exemplare der Schrift verteilt. Beispielsweise wurde im Intranet
eines Polizeireviers in Reutlingen zu Weihnachten 2014 ein "Angebot zum
kostenlosen Bezug des Neuen Testaments" veröffentlicht. Im Sommer
des selbigen Jahres wurden im Besucherraum am Polizeirevier Filderstadt Bibeln
ausgelegt. Im Freiburger Präsidium wurde die Auslage von Schriften zwischen
2007 und 2013 mehrfach gestattet, im September 2014 wurde im dortigen Mitteilungsorgan
für die 4. Auflage des "Neuen Testaments für Polizeibedienstete"
geworben. Innerhalb des Polizeipräsidiums von Stuttgart wurde die Bibel
bei verschiedenen seelsorgerlichen Gesprächen ausgehändigt, aber auch
in diversen Dienststellen ausgelegt. Im Polizeirevier der Autobahnpolizei des
Polizeipräsidiums in Ulm wurden von 2007 bis 2009 etwa 20 bis 30 Bibeln
entgegengenommen und zur Mitnahme angeboten. Auf dem Campus Villingen-Schwenningen
wurden den Studierenden der Hochschule der Polizei über zwei Jahre hinweg
Schriften ausgehändigt, am Standort in Göppingen gab es Gespräche
mit Vertretern christlicher Vereinigungen. In Unterkunftszimmern in Wertheim
wurden Bibeln gefunden und entfernt.
Und auch aus den anderen Ministerien
gab es Rückmeldungen über religiöse Werbung: In der Pädagogischen
Hochschule in Weingarten wurde 2014 einem Vertreter einer christlichen Vereinigung
gestattet, Bibeln im Vorraum der Mensa auszulegen. An der Hochschule von Heilbronn
waren zwischen 2005 und 2007 mehrfach Schriften verteilt worden. Im Sozialministerium
konnten keine konkreten Angaben gemacht werden, allerdings wurde festgehalten,
dass Mitarbeiter von öffentlichen Pflegeeinrichtungen u.a. nicht gezwungen
werden könnten, an religiösen Handlungen teilzunehmen (Gebetskreise
etc.). Auch dürften in Patientenzimmern keine Kruzifixe gegen den Willen
der Bewohnerinnen und Bewohner aufgehängt werden. Aus dem Kultusministerium
wurden dagegen keine Beschwerden gemeldet, wonach beispielsweise verpflichtende
religiöse Andachten stattfänden. Zu den Vorgängen im Einzugsbereich
des Polizeipräsidiums Konstanz, die die Petition befeuerten, wird festgehalten,
dass eine Anfrage einer christlichen Vereinigung um Genehmigung für die
Verteilung von Bibeln im Foyer der Kriminalpolizeidirektion Friedrichshafen
positiv beschieden wurde. Nach Protest gegen die Aktion bat das Präsidium
das Innenministerium um eine grundsätzliche Einschätzung. Nachdem
diese bis zum Datum der Verteilung nicht vorlag, wurde das Projekt abgesagt.
Auch eine Werbung im Intranet wurde nach Kritik entfernt. Am 2. Februar 2015
hat das Innenministerium die Polizeipräsidenten in Baden-Württemberg
gebeten, der Verteilung von Bibeln in ihren Dienststellen nicht mehr zuzustimmen.
Abschließend hält der Landtag in seinem Beschluss fest, dass
der "moderne, freiheitliche Staat" zur "weltanschaulichen Neutralität"
verpflichtet ist. Die "friedliche Koexistenz verschiedener weltanschaulicher
und religiöser Überzeugungen" könne jedoch "nur gelingen,
wenn auch der Staat selbst in Glaubens- und Weltanschauungsfragen Neutralität"
bewahre.
Allerdings sei das laizistische Modell der strikten Trennung
von Staat und Religion nicht das, welches das Grundgesetz vorsehe. "Das
Recht, keine Religion ausüben zu müssen, ist daher in Konkordanz zu
bringen mit dem Bedarf vieler Angehöriger des öffentlichen Landesdienstes,
im ihrem jeweiligen Glauben oder ihrer Weltanschauung Halt zu finden und ihren
Dienst gegenüber der Bevölkerung fürsorglich versehen zu können",
so das Parlament. Es wird dabei unter anderem auch auf die Seelsorge im Polizeidienst
verwiesen, gleichsam wie auf die seelsorgerliche Begleitung von Gewaltopfern.
Nach Auffassung des Landtages ist es "je nach Einzelfall möglich,
religiöse Bekundungen in Behörden zu gestatten". Allerdings sei
in solchen Fällen eine "differenzierte, organisatorische Ermessensentscheidung"
notwendig, in der die Interessen abgewogen werden. Kriterien für einen
Beschluss müssten dabei "u.a. die Art und Weise der religiösen
Bekundung, die betroffene öffentliche Stelle, die Frage, ob das Begehren
von außen kommt oder ob es sich um eine Glaubensbekundung eines Grundrechtsträgers
innerhalb der Verwaltung handelt" sein. Auch misst das Innenministerium
dem "Zeitpunkt" und ausdrücklich der "in diesem Kontext
zunehmenden" Pluralität der Überzeugungen sowie der wachsenden
Sensibilität der Bürger gegenüber den weltanschaulichen Bekenntnissen
einen entsprechenden Stellenwert zu.
Der Sprecher der HABO, Dennis
Riehle (Konstanz), zeigt sich insgesamt zufrieden mit dem Ergebnis: "Die
neue Landesregierung hat sich in der letzten Phase ihrer derzeitigen Legislaturperiode
in der Frage des gleichwertigen Umgangs mit den verschiedenen Weltanschauungen
deutlich von der schwarz-gelben Koalition abgehoben. Das zeigt nicht nur das
zügige Reagieren des Ministeriums auf die Petition, sondern ist beispielsweise
auch beim Lockern des Tanzverbots klar geworden. Natürlich hätte man
sich mehr erhoffen können, insbesondere wäre die Würdigung der
gestiegenen Zahl an konfessionsfreien Menschen wesentlich gewesen – beispielsweise
auch in der Beantwortung unserer Forderung nach mehr Gleichberechtigung im Sinne
einer Religionsfreiheit, die eben gleichsam atheistischen oder humanistischen
Überzeugungen im öffentlichen Raum mehr Platz zuzugestehen versucht.
Auch hätte es einer Verdeutlichung bedurft, wonach das weltanschauliche
Bekenntnis für die Ausübung eines Berufes lediglich eine nachrangige
Bedeutung haben kann und in erster Linie eine private Angelegenheit ist
– religiös, aber ebenso auch politisch. Und dass es nach Meinung des Parlaments
wohl eine religiöse Überzeugung benötigt, um seinen Dienst 'fürsorglich'
zu gestalten, ist wohl wiederum ein Zeichen, dass die Diskriminierung gegenüber
Konfessionsfreien auch in Baden-Württemberg künftig aufrecht und unsere
Aufklärungsarbeit deshalb wichtig bleibt. Entsprechend laden wir unsere
Kollegen in anderen Bundesländern ein, gegenüber ihren Parlamenten
um Stellungnahme zu bitten und gleichlautende Prämissen zu formulieren".
PS: Die Petition und der Beschluss des Landtages können downgeloaden werden!