Demokratische Kultur in Gefahr?

Diese Gefahr sieht die Führung der OÖNachrichten, weil Strache den Faymann einen "Staatsfeind" genannt hat, ein Gastwirt die ÖVP-Spitze nicht in seinem Lokal einkehren ließ und Felix Baumgarten auf Facebook verkündete:


"Wo bleibt der Anstand?", fragt Chefredakteur in seinem Leitartikel und meint:
"Selbst mit einer namentlichen Registrierung und dem damit verbundenen Wegfall einer Anonymisierung ist den Hassorgien und Rüpeleien in den Sozialen Medien nicht beizukommen. Die OÖN haben daher ihren Anwalt beauftragt, eine schärfere Vorgehensweise gegen beleidigende Postings vorzubereiten."

Dabei ist bezüglich Politiker die Lage seit 1997 an sich klar: Politiker haben sich damit abzufinden, wenn sie von Stimmen aus dem Volke als "Trottel" oder "Idioten" bezeichnet werden:
Denn dazu gibt es ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte.
In den Neunzigern hat jemand den damaligen FPÖ-Chef Jörg Haider einen "Trottel" genannt und war deswegen verurteilt worden, der Verurteilte ging bis zum EGMR und dieser ließ die Beschimpfung von Politikern zu:
Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte vom 1.7.1997, Geschäftszahl Bsw20834/92 in der Trottel-Sache Jörg Haider! Aus dem Urteil: Der Schutz des Art. 10 EMRK gelte auch gegenüber solchen Meinungen, "die den Staat oder einen Teil der Bevölkerung verletzen, schockieren oder beunruhigen." Der Artikel 10 - Freiheit der Meinungsäußerung - der Europäischen Menschenrechtskonvention wäre daher durch die Äußerung "Trottel" nicht überschritten worden, denn im Zusammenhang zu Äußerungen von Haider "erschien dieses Wort aber verhältnismäßig im Vergleich zu der von diesem zu erwartenden Entrüstung über diese Wortwahl".

Das heißt also praktisch, wenn ein Politiker Äußerungen oder Handlungen setzt, die einen Teil der Bevölkerung verletzen, schockieren oder beunruhigen, dann hat der Politiker auch Schimpfworte zu ertragen. Felix Baumgarten kann sich sicherlich auch darauf berufen, dass wegen der von ihm angeführten Umstände Teile der Bevölkerung schockiert und beunruhigt wären. Die Regierung hätte nicht viel Aussichten, ihn bezüglich der Titulierung der Regierung als "Idioten" wegen Ehrenbeleidigung zu verklagen, weil diese Äußerung gehört zur Meinungsfreiheit.

Und spätestens seit der seinerzeitigen Schüssel-Haider-Regierung von 2000 ist ja auch die personelle Zusammensetzung von österreichischen Regierungen geradezu anregend für Kraftausdrücke. Es ist zwar nach der Schüssel-Abwahl etwas besser geworden, aber eine gute Regierung hat es in Österreich seit der Kreisky-Zeit leider keine mehr gegeben. Damals wurden wir vergleichsweise ja geradezu verwöhnt! Jetzt sind Wörter wie Trottel oder Idioten eher kein Missbrauch des Wortschatzes, sondern irgendwie treffsicher. Was hat den der Wahlberechtigte sonst noch? Die Medien sind selbstzensierend politisch korrekt und Politiker werden durch ihre Handlungen von immer mehr Menschen als Feinde empfunden, die Nichtwähler sind aktuell die stärkste Partei in Österreich!

Als Abschluss ein Leserbrief aus den OÖN vom 30.1.2016, der sich auf höfliche Weise über Politik und Medien lustig macht:
Alles klar?
Seminar zu mehrheitsfähigen Meinungen:
1. Merkel erst Mutti, jetzt Zauberlehrling
2. Putin böse, weil nicht verheimlicht, dass Russe
3. Ostukraine kriegerisch, weil Russland wollen
4. Westukraine friedliebend, weil EU (anzapfen) wollen
5. USA wie Kind, erst bumm, aber dann?
6. Griechen faul und trotzig, sowieso
7. Flüchtlinge gut, weil wir so ungebremst menschlich
8. Reden über woher und wohin von Flüchtlingen schlecht, weil realistisch
9. Poxrucker Sisters Künstlerinnen, aber hallo!
Alles klar? Brav! Setzen!
Herbert Vorbach, per E-Mail

Die sonst sehr zensurfreudige Leserbriefredaktion der OÖN hat die Pointen in der Mail von Herbert Vorbach wohl nicht so ganz verstanden...