ARD: Nicht souverän, nur abhängig

Uli Gellermann am 7.3.2016 auf www.rationalgalerie.de

Journalismus als Opfer der eigenen Propaganda

Ein braver ARD-Konsument (ARD steht hier nur synonym, das Kürzel ist gegen ZDF, FAZ oder BILD undsoweiter austauschbar) weiß was er von Assad zu halten hat. Nach Jahren der Wiederholung immer gleichen Propaganda-Hülsen (Regime, Diktator, Giftgas) ist der Norm-Zuschauer, der Norm-Leser deutscher Medien konditioniert: Assad ist böse. Diese Dämonisierung verstellt einen nüchternen Blick auf die Vorhänge in Syrien erheblich. Nun hatte die ARD die Möglichkeit eines Interviews mit Baschar al-Assad und geht mit der eigenen vorgefassten Meinung an die Auswertung des Gesprächs. Also hätte gehabt haben können.

Statt nach langem, mörderischen Krieg die Motive der Assad-Fraktion in Syrien auch nur zu prüfen, wird das Interview ideologisch interpretiert. Die Chance zum Ende des Krieges beizutragen – der im Westen ja auch davon lebt, dass die Mär von der lupenreinen Opposition verbreitet wird - bleibt die ARD abhängig von der im Kanzleramt vorformulierten Haltung. Bereits manche Fragen sind von Meinungen geprägt, nicht von echtem Interesse. Die Behauptung des Interviewers "Ich nehme also an, dass der Frieden in Ihren Händen liegt." ist keine Frage sondern ein Statement, das die Kräfte rund um die USA ausblendet. Auch der Satz "Ist die Verfassung und die Stabilität in Syrien wichtiger als das Leben von Hunderttausenden?" Ist keine Frage sondern eine Unterstellung: Assad sollte gefälligst mit JA drauf antworten. Die ARD hätte die Chance gehabt sich von ihrer bisherigen Rolle als Kriegspartei in Syrien zu lösen. Aber sie bleibt Opfer der eigenen Propaganda.

Eingabe: Assad-Interview:
Falschbehauptungen in der "Tagesschau" vom 1. 3. 2016, 14:00 und 20:00

Sehr geehrte Frau Vorsitzende,
die ARD hat in einem ausführlichen Interview dem syrischen Präsidenten Baschar al-Assad die Gelegenheit gegeben, sich zur Lage in seinem Land zu äußern. Bemerkenswert, dass die ARD in dem Interview zu feige war, Assad als "Machthaber" anzusprechen, obwohl Herr Dr. Gniffke uns – die wir in einer Programmbeschwerde für die Bezeichnung "Präsident" eintraten - noch kürzlich davon zu überzeugen versuchte, dass der Begriff "Machthaber" korrekt sei, u.a. weil eine regierungsnahe Stiftung und konformistischer Thinktank sich ebenfalls auf "Machthaber" festgelegt hatte.
Wie so häufig mochten die ARD-Programm-Macher im Zusammenhang mit dem an sich informativen Interview auf Manipulation und Falschbehauptungen auch diesmal nicht verzichten.

Frage des Interviewers Thomas Aders
: "Herr Präsident, können Sie sagen, dass Syrien nach wie vor ein souveräner Staat ist, oder wird Ihre Politik bereits in Teheran bzw. im Kreml gemacht?"

Antwort Präsident Assad (lt. Übersetzungstext): "Der Begriff Souveränität ist relativ und verhältnismäßig. Vor der Krise hielt Israel unser Land besetzt, und wir betrachteten unsere Souveränität so lange nicht als vollständig, wie wir unser Land nicht zurückhatten. Und jetzt überschreiten während der Krise zahlreiche Terroristen unsere Grenze, und viele Flugzeuge der Amerikaner und ihrer Alliierten (was man dort als Allianz bezeichnet) verletzen unseren Luftraum. Auch hier kann man nicht von vollständiger Souveränität sprechen. Gleichzeitig ist man allerdings nach wie vor souverän, wenngleich nicht im vollen Umfang des Begriffs, wenn man eine Verfassung hat, wenn die Institutionen funktionieren und wenn der Staat mit seiner Arbeit ein Minimum für das syrische Volk leistet und wenn schließlich das syrische Volk sich keiner anderen Macht zu unterwerfen hat, was sicher das Wichtigste von allem ist."

In einem kurzen Videobeitrag am Anfang des Artikels der Tagesschau (um 14:00) befragt ein ARD-Moderator den Reporter nach seinem Eindruck von dem Interview. Darin schildert Thomas Aders Assad als schüchtern und zurückhaltend. Schließlich arbeitet der Reporter eine "News" heraus, die das Interview seiner Meinung nach gebracht hat:
"Ihm geht es darum, dass das System überlebt, das System seines Regimes. Und er wird alles dafür tun, dass das so weitergeht. Er wird jeden Terroristen bekämpfen, das hat er ganz klipp und klar gesagt. Und trotzdem hat er, und das fand ich sehr interessant, zugegeben, dass die Souveränität Syriens, mittlerweile nicht mehr vollständig sei, eben durch die Hilfe, durch die Waffenhilfe von Russland, vom Iran und von der libanesischen Hisbollah."

Assad hat in dem Interview an keiner Stelle gesagt, dass er wolle, dass "das System seines Regimes" überlebt. Er hat klipp und klar gesagt, dass er sich dem Willen des Volkes beugen werde: "Wenn das syrische Volk will, dass ich diesen Platz räume, dann habe ich das sofort und ohne Zögern zu tun."

Doch noch viel gravierender ist die von Assads Aussage zur Souveränität abweichende Interpretation des Interviewers (in beiden TS-Ausgaben): Assad hat nie gesagt, dass die Souveränität Syriens wegen der "Waffenhilfe von Russland, dem Iran und der Hisbollah" nicht mehr vollständig sei, sondern dass "viele Flugzeuge der Amerikaner und ihrer Alliierten (was man dort als Allianz bezeichnet)" den syrischen Luftraum verletzen und Terroristen die Grenze überschreiten, und man deshalb "nicht von vollständiger Souveränität sprechen" könne.

Das ARD-Team hat sich nach eigenen Angaben vier Jahre lang um das Interview bemüht. Es ist schon deshalb unverzeihlich unprofessionell, dass mit diesen Falschdarstellungen der publizistische Erfolg entwertet wird. Der Interviewer und seine Redaktion machen sich hier selbst zum Opfer ihrer jahrelangen Propaganda. Das wäre, bliebe es auf diesen Kreis beschränkt, noch kein Problem. Doch mit der unwahren Interpretation wird der Zuschauer in die Irre geführt und manipuliert. Besonders peinlich: Die Falsch-Meldung wurde kurze Zeit später in der deutschen Mainstream-Presse (z.B. FAZ) als Meldung der Tagesschau zitiert.

Wir fordern Sie auf festzustellen, dass die genannten falschen Behauptungen wegen der Pflicht zur Wahrheit die NDR-Programm-Richtlinien verletzen. (Die Begründung dieser Eingabe haben wir weitgehend den "Deutsche Wirtschafts Nachrichten" vom 2.3.2016 entnommen).

Mit höflichen Grüßen - F. Klinkhammer, V. Bräutigam

Obwohl wir Dr. Gniffke gebeten haben unseren Lügner-Vorwurf gegen ihn mit einer Klage klären zu lassen, lesen wir nichts vom ihm.
Redaktion, RATIONALGALERIE