Würde in unserer Gesellschaft

Kolumne von Efgani Dönmez, ehemaliger Bundesrat der Grünen, am 26.3.2016 in den OÖNachrichten

Was macht eine Gesellschaft aus, welche von Würde getragen wird?

Sie bewahrt die Menschen vor Erniedrigung. Die gesellschaftlichen Institutionen wie Behörden, Schulen, Polizei, Militär und die Politik als solche sollten die Selbstachtung der Menschen nicht verletzen. Denn die Erniedrigung des Menschen ist der Beginn aller Unmenschlichkeit. Wenn man etwas näher hinschaut, erkennt man, dass viele Menschen erniedrigt werden, selbst in einer entwickelten Gesellschaft wie Österreich.

Frauen verdienen noch immer weniger als Männer. In den Vorstandsetagen sind sie meist mehrheitlich in den Sekretariaten anzutreffen, aber nicht in den Entscheidungsgremien. Die Pflichtmitgliedschaft bei diversen Kammern - ohne dafür jemals eine sinnvolle Gegenleistung zu bekommen - in dem Wissen, dass dort auch manche Parteifunktionäre zwischenversorgt werden, schafft ein Gefühl der Demütigung bei Selbstständigen und Arbeitnehmern.

Die unterschiedlichen Höhen bei Pensionen, bei denen zwischen Arbeitern, Angestellten und Beamten unterschieden wird, sorgt für ein Gefühl der Erniedrigung. Migranten, insbesondere die meisten Muslime, haben es sich in ihrer Opferrolle gemütlich gemacht und suchen die Verantwortlichkeit bei der Gesellschaft, aber kaum bei sich selber. Warum der Beliebtheitsgrad der Muslime sich einem Schiefer im Hinterteil annähert, diese Frage stellen sich die Islamverbände kaum bis gar nicht.

Eine anständige Gesellschaft wäre eine, in der niemand herabgesetzt und gedemütigt wird. Gesellschaftliche Institutionen lassen sich meist in zwei Bereiche aufteilen. Der eine Bereich ist jener, welcher durch Regeln und Gesetze organisiert ist, der andere zeigt sich durch seine tatsächlich gelebten Verhaltensweisen.

Die Rahmenbedingungen, unter denen viele arbeiten müssen, seien es Pädagogen, Pflegepersonal, Rechtsanwaltsanwärter oder viele Akademiker, kann man als prekäre Beschäftigungsverhältnisse bezeichnen. Sie tragen gerade nicht zur Stärkung der Würde bei. Unter Demütigung versteht man alle Verhältnisse, die einer Person einen nachvollziehbaren Grund geben, sich in ihrer Selbstachtung verletzt zu sehen. Auch Bedingungen, unter denen Menschen leben müssen, können Gründe für das Gefühl der Demütigung sein: dauerhaft manifestierte Armut, Dauerstress und immer mehr Leistung für jene, die in Beschäftigung stehen.

Eine anständige Gesellschaft bekämpft Verhältnisse, durch die sich die Individuen zu Recht gedemütigt fühlen. Eine Gesellschaft ist dann anständig, wenn ihre Institutionen den Menschen, die ihrer Autorität unterstehen, keine berechtigten Gründe liefern, sich als gedemütigt zu betrachten.

Davon sind wir trotz Fortschritt noch weit entfernt!

Im Prinzip hat Dönmez wie meistens recht. Aber die Beispiele hat er nicht optimal erwählt. So ist etwa die Arbeiterkammer doch noch ein aus der untergegangenen Arbeiterbewegung verbliebenes Instrument mit Nutzen! Nicht nur die Konsumentenberatung und -vertretung, sondern auch die Funktion der AK als rechtliche Betreuung machen durchaus Sinn.

Aber das nur nebenbei. Es war der österreichische Psychologe Alfred Adler, der in seiner Lehre von der Individualpsychologie die Bedeutung der Demütigung darstellte. Der Mensch strebt danach, sich aus dem Gefühl von Minderwertigkeit zu befreien und in einen Zustand der Ausgeglichenheit, der Überlegenheit, der Sicherheit, der Vollkommenheit zu gelangen, Herabsetzungen sind schwere Kränkungen. Wenn heute die Fraktion der Gutmenschen ständig von allen fordert, so edel, hilfreich und gut sein müssen, wie sich wohlsituierte und weltfremde Gutmenschen selber sehen wollen, dann wird eben jemand, der etwa in einem Arbeitsalltag von Demütigungen lebt, die Daseinerfahrungen haben, ihm helfe niemand, aber er solle allen helfen. Und darüber können sich die Rechtspopulisten dann freuen, weil diese werden von den Gedemütigten zwar nicht unbedingt als Helfer wahrgenommen, aber die Proteststimmen für die FPÖ oder die Front National oder die AfD etc. bringen den Wählern mittelbar den Nutzen, dass sie sich über den Ärger der Gutmenschen freuen können, wenn Rechtspopulisten Stimmenzuwächse haben, wertet das die von den Gutmenschen überhaupt nicht wahrgenommenen Millionen Opfer der heutigen Verhältnisse auf und gibt auch ihnen auf diesem absonderlich erscheinenden Umweg wieder eine Würde, weil die Stimme für Rechtspopulisten ein sehr deutlicher Stinkefinger für die als schuldtragend für die Demütigungen wahrgenommenen Politiker und Ideologen ist!