Die "Panama Papers" wurden in Leak, leaker, am leaksten
vorgestellt, mitsamt kritischem Kommentar. Die Frage ist, wieso wurden
die Daten nicht en bloc geleakt, wie man es bei Wikileaks tut? Warum
wurde editiert und zurückgehalten? (Bild: wobogre, pixabay)
Während die Süddeutsche Zeitung in opulenten Berichten und Kommentaren
schwelgt und das Thema ganz für sich einnimmt, um es überall zu
verbreiten, gibt es weiterhin kritische Stimmen. Die kommen vor allem
aus der US-Sicht, wo die Panama Papers weniger ein SZ-Produkt darstellen
als eins vom International Consortium of Investigative Journalists ICIJ, das die Daten zusammen mit der SZ prüfte. Ein paar Eckpunkte skizzieren die Informationslage:
Ein SZ-Interview mit dem Kritiker John Christensen vom 4.4. heißt Panama Papers – "Inseln werden romantisch verklärt" (online nur mit Geldsperre): Dieses ganze Listen-Ding von der OECD
ist demnach ein Witz. Um von der schwarzen Liste auf die graue zu
kommen, reicht ein Brief, in dem man die Bereitschaft zum
Steuerdatenaustausch mit anderen Ländern ausdrückt. Um auf die weiße
Liste zu kommen, muss man mit 12 anderen Ländern einen bilateralen
Datenaustausch vereinbaren, und das machen Steueroasen eben mit anderen
Steueroasen.
Nochmal die SZ vom 5.4. mit einem anderen Interview mit dem Soziologen Jean Ziegler in Panama Papers – "Diese Offshore-Länder gehören ausgetrocknet". Dort werden klare Urteile ausgesprochen und Forderungen aufgestellt: Diese Steuerhinterziehungs-, Fluchtgeld- und Blutgeldparadiese gehören trockengelegt, wie das die OECD verlangt.
Der Zahlungsverkehr mit den dort registrierten Gesellschaften müsse
eingestellt werden. Punkt (aber dass die OECD-Listen gemauschelt sind,
wird nicht erwähnt, Anmerkung wb).
Immerhin werden die Länder als Halunkenstaaten bezeichnet (fast die
gleiche Wortwahl wie wb: Steueroase = Schurkenstaat, wo sich
Steuerhinterzieher mit Großverbrechern treffen). Auch die Ableitungen
sind die gleichen: Es gibt wahrscheinlich wenige Vergehen – von der
massiven Steuerhinterziehung ganz zu schweigen – , die nicht irgendwie
im Zusammenhang stehen mit Offshore-Staaten stehen.
So viel kriminelle Energie pro Quadratmeter wie in Bahamas oder in
Panama gibt es laut Ziegler nirgendwo sonst auf der Welt, und so
ziemlich alle Transaktionen mit kriminellem Geld werden über Financial
Business Companies, Trusts, Anstalten und Stiftungen abgewickelt, die in
Offshore-Staaten registriert sind. Zu den die verheerenden Folgen
rechnet Ziegler Hunderttausende Tote jedes Jahr, denn die weltweiten
Kriege (derzeit 32 aktive) seien instrumentell nur möglich durch die
Existenz von Offshore-Zentren, über die zum Beispiel Waffen angekauft
oder Blutdiamanten verkauft werden.
Das Schlusswort beginnt mit dem Ausdruck von Unverständniss dafür, dass
Banker, Vermögensverwalter und Anwälte, die Tag für Tag Potentaten und
Kriminelle betreuen, weiterhin auf freiem Fuß sind. Whistleblower wie
Falciani und Elmer werden aber mit aller Härte verfolgt (und auch
Snowden und Manning, Anmerkung wb).
Bei wb werden solche Forderungen schon lange erhoben, siehe G20 heißt weiterschlafen: Die »Schurkenstaaten« waren doch seit jeher bekannt, und jedem war klar, dass Bankgeheimnis das Synonym für Verbrechenshilfe ist. Das Druckmittel dagegen gab’s auch schon immer: Entzug der Bankenlizenz für die Steuerfluchthelfer.
Warum wurden also keine Steuerfahnder eingestellt? Wohl wissend,
dass jeder das Vielfache von dem einbringt, was er kostet, wurde es
trotzdem unterlassen. Warum wurden keine passenden Gesetze gemacht?
Warum hat man zugesehen, wie sich die Steuerfluchtindustrie
generalstabsmäßig aufbaute, ohne entsprechende Gegenmaßnahmen zu
treffen? Was soll das Kapitulationsargument, da »verliert sich die
Spur«? Ist denn nicht Computerzeitalter, wo alles digitale Spuren
hinterlässt? Und was soll das Legalitätsargument, »was legal ist, ist
auch legitim«? Es ist doch genau umgekehrt, was nicht legitim ist, darf
nicht legal sein!
Und passiert nicht wieder dasselbe, dass nichts unternommen wird? Bevor
die Süddeutsche Zeitung die Daten bekam, hat laut SZ das deutsche
Finanzministerium Anfang 2015 einen Teil davon gekauft. Angeblich wurden
dadurch Untersuchungen in Deutschland ausgelöst – nur dass man nichts
davon erfuhr. Diese Daten wurden nach informierten Quellen auch
Großbritannien und den USA und anderen angeboten, und auch da herrscht
Stillschweigen – mit anderen Worten, es wird nichts unternommen, siehe
auch Angebliche EU-Aktion gegen Steueroasen.
Die andere Stoßrichtung der aktuellen Panama-Papers-Bearbeitung liefern
unsere Freunde von Zero Hedge, die den Finger auf die Ungereimtheiten
legen. Die SZ hat versichert, man habe ein Jahr lang recherchiert und
keine Widersprüche gefunden. Aber was ist dann mit dem Argument, wo bleiben die US-Täter?
Einmal ist es natürlich eine deutsche Firma, die aufgeflogen ist, und
in Panama ist die Lage für US-Kunden besonders schwierig. Darüber
schreibt Zero Hedge am 5.4. in Mossack Fonseca Has 441 U.S. Clients: Who Are They? Demnach gab es 2010 das United States – Panama Trade Promotion Agreement mit einer eingeschlossenen Steuerklausel, die Panama für die Reichen als Steueroase ausschloss.
Schärfer schießt ZH am selben 5.4. in Shots Fired: Wikileaks Accuses Panama Papers' Leaker Of Being "Soros-Funded, Soft-Power Tax Dodge": "one
can't help but wonder: why not do a Wikileaks type data dump, one which
reveals if not all the 2.6 terabytes of data due to security concerns,
then at least the identities of these 441 US-based clients. After all,
with the rest of the world has already been extensively shamed, it's
only fair to open US books as well."
Man muss aich also wundern, warum nicht alle Daten freigegeben werden,
auch die Identitäten der 441 erfassten US-Klienten. Angeblich gibt es
keinen Plan der Medienorganisationen (das ICIJ ist gemeint), den ganzen
Datensatz zu veröffentlichen. Die Rede ist von "sensitiven
Informationen" über private Personen, die nicht mit den Geschäfts-Zahlen
zusammen publiziert werden sollen. Nur letzteren gelte die Aktion, so
der ICIJ-Sprecher, das ICIJ sei nicht Wikileaks, man wolle zeigen, dass
Journalismus verantwortungsvoll betrieben werden kann.
Frage nebenbei, wer entscheidet über "unschuldige Privatpersonen", die in Ruhe gelassen werden müssen?
Und Wikileaks gefällt es nicht, wie es vom ICIJ charakterisiert wird,
als Organisation, die unverantwortlichen Journalismus betreibe. Vielmehr
erhebe sich jetzt die Forderung nach einer neuen, massiven Anstrengung,
um bis zum Boden der zweieinhalb Terabyte vorzudringen. Die Handvoll
Journalisten von der ICIJ sei wohl kaum dazu imstande. Weil sie aber auf
ihren Daten sitzen, werden sie aktuell von Wikileaks mit Schmutz
beworfen: Sie seien eine "Washington DC based Ford, Soros funded
soft-power tax-dodge" which "has a WikiLeaks problem."
Also eine weichgespülte Washingtoner Steuervermeidungsorganisation, die
von Ford und Soros gesponsert wird und ein Wikileaks-Problem hat. Von
der SZ wird man das nicht behaupten wollen. Aber die Frage nach voller
Aufklärung stellt sich schon, wenn auch nicht so, wie es die kritische
RATIONALGALERIE am 5.4. unternimmt: Der Putin-Hass – Deutscher Journalismus ist blind und blöd. Zwischen den blindwütigen Vorwürfen gibt es Wahrheit zu schürfen. Die Sache ist es wert.
Links dazu:
Leak, leaker, am leaksten
EU-Bastelei an neuen (Schatten-)Bankenprivilegien
Pakt gegen Steuerflucht wirkungslos
Wikileaks und die TISA-, TTIP-, TTP-Proteste
Wikileaks berichtet aus saudischen Archiven
"Faschistische Staaten von Amerika"
Whistleblower vs. NSA