Ein Werwolf eines Nachts entwich
von Weib und Kind und sich begab
an eines Dorfschullehrers Grab
und bat ihn: Bitte, beuge mich!
Der Dorfschulmeister stieg hinauf
auf seines Blechschilds Messingknauf
und sprach zum Wolf, der seine Pfoten
geduldig kreuzte vor dem Toten:
"Der Werwolf" - sprach der gute Mann,
"des Weswolfs, Genitiv sodann,
dem Wemwolf, Dativ, wie man's nennt,
den Wenwolf, - damit hat's ein End."
Dem Werwolf schmeichelten die Fälle,
er rollte seine Augenbälle.
Indessen, bat er, füge doch
zur Einzahl auch die Mehrzahl noch!
Der Dorfschulmeister aber mußte
gestehn, daß er von ihr nichts wußte.
Zwar Wölfe gäb's in großer Schar,
doch "Wer" gäb's nur im Singular.
Der Wolf erhob sich tränenblind -
er hatte ja doch Weib und Kind!!
Doch da er kein Gelehrter eben,
so schied er dankend und ergeben.
So,
das war wieder einmal ganz was anderes, das Gedicht von Christian Morgenstern
(1871-1914) ist mir heute zufällig untergekommen, wir hatten in der Schule
einen Deutschlehrer, der uns mit seinem Zwang zum Gedichteauswendiglernen jede
Liebe zur Lyrik austrieb. Einmal durften wir uns die Gedichte selber aussuchen,
da sagte ich ihm den obigen Werwolf auf und dazu noch das Morgenstern-Gedicht
"Das ästhetische Wiesel":
Ein Wiesel
saß auf einem Kiesel
inmitten Bachgeriesel.
Wißt ihr
weshalb?
Das Mondkalb
verriet es mir im Stillen:
Das raffinierte Tier
tat's um des Reimes willen.
Und abgeschlossen habe ich mit "Gemartert"
von Wilhelm Busch
(1832-1908):
Ein gutes Tier
ist das Klavier,
still, friedlich und bescheiden
und muß dabei
doch vielerlei
erdulden und erleiden.
Der Virtuos
stürzt darauf los
mit hochgesträubter Mähne.
Er öffnet ihm
voll Ungestüm
den Leib, gleich der Hyäne.
Und rasend wild,
das Herz erfüllt
von mörderischer Freude,
durchwühlt er dann,
soweit er kann,
des Opfers Eingeweide.
Wie es da schrie,
das arme Vieh,
und unter Angstgewimmer
bald hoch, bald tief
um Hilfe rief,
vergeß ich nie und nimmer.
Mit Entzücken sah ich damals,
dass der Deutschlehrer recht sauer dreinblickte, weil Humor war ihm was gänzlich
Fremdes und ich weiß über 50 Jahre später meine damaligen Gedichte
noch! Weil Lustiges hab ich immer geliebt!
Und von Morgenstern habe ich
auf dieser Homepage ja des öfteren die Schlusszeilen des Palmström-Liedes,
"Die unmögliche Tatsache" zitiert, weil's dazupasst hier einmal
das ganze Gedicht:
Palmström, etwas schon an Jahren,
wird
an einer Straßenbeuge
und von einem Kraftfahrzeuge
überfahren.
Wie
war (spricht er, sich erhebend
und entschlossen weiterlebend)
möglich,
wie dies Unglück, ja -
daß es überhaupt geschah?
Ist
die Staatskunst anzuklagen
in Bezug auf Kraftfahrwagen?
Gab die Polizeivorschrift
hier
dem Fahrer freie Trift?
Oder war vielmehr verboten
hier Lebendige
zu Toten
umzuwandeln - kurz und schlicht:
Durfte hier der Kutscher nicht
-?
Eingehüllt in feuchte Tücher,
prüft er die Gesetzesbücher
und
ist alsobald im klaren:
Wagen durften dort nicht fahren!
Und er kommt
zu dem Ergebnis:
Nur ein Traum war das Erlebnis.
Weil, so schließt
er messerscharf,
nicht sein kann, was nicht sein darf.
Die Schlusszeilen
passen jeden Tag auf irgendwas! Weil in der Diktatur des Neoliberalismus passiert
jeden Tag sowas und die Medien müssen dann ständig unabhängig
von der Wirklichkeit die wahren neoliberalen Wahrheiten verkünden, weil
nicht sein kann, was nicht sein darf.