Die
SPD hat mit ihrem neuen Kanzlerkandidaten einen tollen Aufschwung
hingelegt. Weil der Kandidat Martin Schulz bisher recht unauffällig
gewirkt hat und auch keinen großen Kontrast zur Kanzlerin abgibt, wurde
er postwendend mit Spott und Häme traktiert. Das gehört im politischen
Business anscheinend dazu. Wenn's keine Nachrichten gibt, werden eben
welche fabriziert.
Schulz hat der SPD sozusagen das Soziale zurückgegeben, zumindest in der Agenda. Da kam natürlich gleich die Frage, in den letzen 19 Jahren war die SPD 15 Jahre an der Regierung oder daran beteiligt – was machte Schulz da?
War er wirklich nur der EU-Apparatschik, dessen Überzeugungen kaum von
denen der Bundeskanzlerin abweichen, was das Griechische, Europäische
und das Migranten-Humanistische angeht, und ansonsten kaprizierte er
sich auf seine Amigo-Personalpolitik?
Eine kleine Recherche ergibt einen Kandidaten ohne Ecken und Kanten,
der durch keine Skandale oder abwegige Stellungnahmen hervortrat. Genau
das macht Schulz so wertvoll, denn je mehr inhaltliches Profil ein
Kandidat hat, desto mehr Leute nehmen Anstoß. Mehrheitsfähig sind die
Angepassten. Der angepasste Slogan könnte sein:
Dazu passt auch der Sturm im Wasserglas, den der damalige
EU-Parlamentspräsident 2014 entfachte. Es war die Forderung nach einer
Verbannung von Kreuzen aus dem öffentlichen Raum. Das ist immerhin
genuine SPD-Politik, auch wenn solche Betschwestern wie die SPD-Obere
Nahles das nicht glauben mögen. Vielmehr glauben die SPD-Oberen quer
durch die Regierungsbank das Richtige, und das war für den Erfolg der SPD ganz falsch.
Die Klientel ist ja eine aufgeklärte. Deshalb passt der Werdegang von
Schulz viel besser. Er wurde zwar durch eine katholische Schule
geschleust, er hatte eine gläubige Mutter, so dass er als Kind an Gott
glaubte. Dieser Glaube ist aber verloren gegangen, und Schulz wird
zitiert mit: "Für mich sind wir Menschen das Resultat eines natürlichen
Prozesses, mit unserem Tod hört unsere geistige Existenz auf.“
Also ein vernünftiger und aufgeklärter Mann. Das könnte ein gutes Stück
seines Erfolgs ausmachen, denn die SPD-Klientel dürfte dem Weihrauch
weitestgehend abhold sein. Dafür hört sie gern die sozialen Signale:
die Forderung nach einem Flüchtlingsabkommen mit Ägypten, um die Flüchtlinge aufzufangen, ehe sie in See stechen,
die Arbeitslosengeld-Bezugsdauer für Ältere verlängern mit dem
Argument, "Menschen, die viele Jahre, oft Jahrzehnte, hart arbeiten und
ihre Beiträge gezahlt haben und zahlen, haben ein Recht auf
entsprechenden Schutz und Unterstützung, wenn sie – oft unverschuldet –
in große Probleme geraten",
und nochmal ganz sozial: "Die Menschen, die mit harter Arbeit ihr Geld
verdienen, dürfen nicht schlechter gestellt sein als die, die nur ihr
Geld für sich arbeiten lassen"
und große Vermögen stärker besteuern: "Wir hätten gleichzeitig den
Mindestlohn einführen und Superreiche stärker belasten müssen"
und überhaupt die Infragestellung einiger CDU-Regelungen, welche die SPD als Agenda 2010 einführte.
Schulz ist bei den Umfragewerten für seine Partei tiefer gestartet als
seine Vorgänger Steinmeier und Steinbrück, und er hat beide
prozentpunktemäßig in den Schatten gestellt. Gemäß Medienschmäh stand
bei Steinmeier und Steinbrück die Wahlsiegerin Merkel praktisch vorher
fest, die beiden hatten quasi keine Chance.
Bei Schulz sieht das anders aus, denn Merkel ist halb demontiert und
ganz unglaubwürdig. Schulz ist frisch wie gerade aus dem Ei geschlüpft.
Er ist so gut wie ein unbeschriebenes Blatt – in negativer Formulierung:
er hat große inhaltliche Leerstellen. Das gibt ihm Chancen für weitere
Begeisterungseffekte.
Ein ausformuliertes Programm gibt's im Juni, bis dahin hilft vielleicht
diese, auf Schulz' durchaus eigennützige Amtsführung als
EU-Parlamentspräsident bezogene Propaganda:
Schulz-Medienecho, Selektion wb:
In dem Bericht Regionale Armut in Deutschland
(IW 27.2.) kann der Kandidat Munition für seine Anti-Agenda
2010-Kampagne finden. Der Bericht vom Institut der deutschen Wirtschaft
in Köln zeigt, wie die Mieten die Löhne abhängen. Laut Erfolgsgeschichte Armut
(junge Welt 28.2.) machte die Bundeszentrale für politische Bildung in
einer Publikation vom August 2014 die Hartz-Reformen als hauptsächliche
Ursache für das Absinken der Reallöhne dingfest.
Ein fetziger Meinungsartikel von Thies Gleiss heißt Martin Schulz, der Terminator von Rot-Rot-Grün (scharf links 28.2., neue Schreibweise R2G):
Martin Schulz ist kein Linker … trotz Feldzug unter dem Titel "Mehr
soziale Gerechtigkeit", aber er ist ein Nicht-Merkel. … Merkels Wahlkampfmotto
"Ihr kennt mich doch" hat genau so lange in den Umfragen gewirkt, bis
jemand um die Ecke kam, der nicht wie Steinmeier, Steinbrück, Gabriel
einen Wahlkampfslogan "Ich, der bessere Merkel" vor sich hertrug,
sondern kühn behauptete "Ich bin nicht von hier, ich bin der Neue aus
dem Off".
Über die Reaktionen von Union und Grünen auf Martin Schulz schreibt Martina Mescher, Angst vor Gerechtigkeit (der Freitag 2.3.): Seit
2014 verzeichnet das DIW einen Anstieg der Armutsgefährdung, dem
Bundesfinanzministerium liegen Zahlen für 2016 vor, die ein weiteres
Auseinanderdriften von Arm und Reich belegen. Die Union weiß, das es um
die Gerechtigkeit schlecht bestellt ist, das belegen auch die
Streichungen, die das Kanzleramt kürzlich am Armutsbericht vornehmen
ließ. Ob die Strategie, den Leuten vorzugaukeln, sie litten nur an
gefühlter Ungerechtigkeit, funktioniert, ist eine andere Frage.
PS atheisten-info: Die aktuellen Umfragen in der BRD haben zum Teil bereits die SPD vor CDU/CSU. Die Letzteren erreichten bei der Bundestagswahl 2013 noch 41,5%, jetzt liegen die Umfragen nur noch zwischen 30,5 und 33 %, die SPD erhielt 2013 nur 25,7%, die Umfragen zeigen nun 29 bis 32 %.