Geschlossene Gesellschaft

Thomas Tartsch am 14.3.2017 auf http://www.schlaglichter.at


Photo: Brian J. Matis (edited), CC BY-NC-SA 2.0

Die Rückeroberung der Offenen Gesellschaft in der Postdemokratie

Sicherheitspolitik ist mehr als Organisation und Verwaltung militärischer Effizienz nach außen und Ausübung des staatlichen Gewaltmonopols nach innen. Eine wirksame Abwehr äußerer Bedrohungen setzt Stabilitätssicherung des gesellschaftlichen Verbunds und zwischenmenschliche Solidarität voraus.

Die innere und äußere Krisenreaktionsfähigkeit beruht auf funktionierenden politischen und zivilen Komponenten.

Hierzu muss die „von Ernsthaftigkeit und Verantwortung entwöhnte Politik“ (Volker Zastrow) zurückgewonnen werden für die Schaffung eines politischen, geistigen, kulturellen und wirtschaftlichen Grundvertrauens zwischen den auf Zeit Regierenden und den Regierten.

Hingegen bedrängen die Gefühlskultur eines vorgeblichen Humanitarismus, der die unbedingte Liebe zum Fremden an sich zum alleinigen Maßstab politischen Handelns erhebt (Arnold Gehlen), die angebliche Alternativlosigkeit getroffener Entscheidungen und die wider jede Realität propagierte globale Friedfertigkeit die Politik des Machbaren. Sie überfordern die Vernunft.

Allein die Thematisierung dieser Fragen löst vielfache Entrüstungsreflexe aus, entschärft damit aber nicht den sozialen Sprengstoff innerhalb der Gesellschaft.

Selbstzensur und Schweigespirale

Während Sicherheit immer mehr zum Fetisch wird, bedrohen Ghettobildung in den Großstädten, absehbare Verteilungskämpfe zwischen einwandernder Armut und sesshafter Ärmlichkeit, schwindende zwischenmenschliche Solidarität, politische Verharmlosung religiöser Schonräume, und die Infragestellung des staatlichen Gewaltmonopols den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Infolge ungerechter Güterverteilung können mit Hilfe der Religion als Unterfütterer bestehender Konfliktlagen auch innerhalb von Demokratien Bürgerkriege entstehen.

Und wenn der herrschende Zeitgeist Querdenker ausgrenzt, moralisch stigmatisiert und deren physische Existenz bedroht, verkümmern intellektueller und praktischer Bürgermut. Political correctness als Ersatzreligion führt durch beständige politisch-mediale Tabuisierung zur geistigen Selbstzensur.

Als Konsequenz des Eindrucks, dass die Stimme der Mehrheit für Politiker und Medien belanglos sei, steigt eine diffuse Aggressivität, gespeist aus der Verzweiflung über das Schwinden der öffentlichen Ordnung und der damit einher gehenden Entsicherung des eigenen Lebensgefühls. Umso mehr hätten Parteien ihre Rolle bei der politischen Willensbildung des Volkes als Organisatoren und Kollektoren wahrzunehmen – und nicht als Zensoren und Tabuisierer existenzieller Probleme.

Im Rahmen ihres postdemokratischen Verfalls gibt jedoch die politische Kommunikation die Themen vor, über die noch gesprochen werden darf, während andere Themen der Schweigespirale (Elisabeth Noelle-Neumann) unterliegen, da die Medien die veröffentlichte Meinung als öffentliche Meinung ausgeben.

Postdemokratische Willensbildung

Damit präsentieren sie dem Einzelnen eine vorgegebene Meinung als angebliche Mehrheitsmeinung, und setzen ihn unter Druck, sich nicht andersartig zu äußern.

Der britische Politikwissenschaftler und Soziologe Colin Crouch, der den Begriff Postdemokratie geprägt hat, definiert diese als „… ein Gemeinwesen, in dem zwar nach wie vor Wahlen abgehalten werden […], in dem allerdings konkurrierende Teams professioneller PR-Experten die öffentliche Debatte während der Wahlkämpfe so stark kontrollieren, dass sie zu einem reinen Spektakel verkommt, bei dem man nur über eine Reihe von Problemen diskutiert, die die Experten zuvor ausgewählt haben.“ (Colin Crouch: Postdemokratie, Bonn 2008, S. 10.).

Postdemokratie bedeutet daher nicht die Abwesenheit von Demokratie, da die Institutionen weiter bestehen und Wahlen abgehalten werden, die zu legitimen Regierungsbildungen führen.
Postdemokratie bezeichnet vielmehr ein politisches System, in dem das grundlegende demokratische Prinzip der Willensbildung von unten nach oben durch politische Parteien und Medien umgedreht wird – während das politische System, nach Crouch, vom wirtschaftlichen System gekapert wird.

Die Geschlossene Gesellschaft verhindern

Diesen Zustand gilt es wieder umzudrehen. Die Mitglieder einer Gesellschaft sind nicht bloße Mehrheitsbeschaffer für die Parteien. Vielmehr sollten diese die Auffassungen der jeweiligen Klientel verlässlich in den politischen Willensbildungsprozess integrieren, um damit politische Macht auf Zeit zu erlangen.

Auch bei den Medien-Multiplikatoren sollte Gesinnung nicht die Verantwortung drangsalieren.

Die Wagenburgmentalität der political correctness ist zu Gunsten eines Demokratiebegriffs aufzubrechen, der offene Diskussion statt Stigmatisierung durch moralinsaure Kampfbegriffe und selbständiges Denken statt moralischer Diffamierung von Andersdenkenden erzwingt.

Politische Visionäre müssen daher die Gegenwart als Maßstab vermitteln, das heutige Menschentum einschließlich seiner Angst vor der Angst des Mitmenschen, anstatt Prophetien des Vergangenen oder Künftigen zu betreiben.

Die Vergangenheit ist vorbei. Die Weichen gesellschaftlicher Zukunft können in der Gegenwart gestellt werden: im Sinne Karl Poppers soll sich die ‚Offene Gesellschaft‘ pluralistisch in einem fortwährenden Prozess von Verbesserungsversuchen und Irrtumskorrekturen evolutionär fortentwickeln.

Das kann nur gelingen, wenn über existentielle Bedrohungen des Gemeinwesens abseits von postdemokratischer Kommunikation und Schweigespirale ein freier und ergebnisoffener Diskurs zur Lösungsfindung geführt wird.

Ansonsten droht eine ‚Geschlossene Gesellschaft‘, die an sich selbst erstickt.