Logo des Scheinriesen "Evangelischer Kirchentag 2017"
Logo DEKT 2017 - Ausschnitt / kirchentag.de
Kirchentage
erinnern verdächtig an Michael Endes berühmten Scheinriesen: Je näher
sie kommen, desto kleiner werden sie. Seit Jahren werden von den
Veranstaltern der jeweils im Wechsel stattfindenden Katholikentage und
Evangelischen Kirchentage die im Vorfeld genannten Besucherzahlen
während des Events drastisch nach unten korrigiert.
Das war auch beim diesjährigen Evangelischen Kirchentag der Fall.
Dieser fand hauptsächlich in Berlin statt, nur der Abschlussgottesdienst
und kleinere Veranstaltungen in Wittenberg. Außerdem gab es zeitgleich
sogenannte Kirchentage auf dem Weg in Dessau-Roßlau, Erfurt, Halle/Eisleben, Jena/Weimar, Leipzig und Magdeburg.
Als die Kirchentagsorganisatoren im Jahr 2015 beim Berliner Senat öffentliche Zuschüsse für den Deutschen Evangelischen Kirchentag (DEKT) 2017
beantragten, schätzten sie die Zahl der Dauerteilnehmer des
Kirchentages - allein in Berlin - auf 140.000. Tatsächlich gab es jedoch
nur 106.381 Dauerteilnehmer
– davon übrigens mehr als 5.000 Helferinnen und Helfer sowie 30.000
Mitwirkende. Es kamen nach Berlin also rund 24% weniger
Kirchentags-Dauerteilnehmer als geplant und als beim Beantragen der
Finanzierung angekündigt.
Am publikumsstärksten ist bei Kirchentagen traditionell der erste Abend, da dieser neben dem Eröffnungsgottesdienst auch den Abend der Begegnung
bietet - ein Straßenfest in der Innenstadt des jeweiligen
Veranstaltungsortes "mit bunten Ständen, Köstlichkeiten und
Mitmachaktionen" sowie mit Live-Musik auf mehreren Bühnen. Da das
Straßenfest im Gegensatz zu den Veranstaltungen des eigentlichen
Kirchentages keinen Eintritt kostet,
riskieren auch Kirchenfremde und Einheimische einen Blick. Welcher
Teenie lässt sich schon ein kostenloses Live-Konzert von Max Giesinger
vor dem Brandenburger Tor entgehen – der Top Act des diesjährigen
Eröffnungsabends, gleich nach dem Eröffnungsgottesdienst. Bejubelt von
Presse und Kirchentag besuchten dieses Straßenfest in Berlin 200.000 Menschen. Wen interessiert da schon, dass der Kirchentagsveranstalter eigentlich mit 300.000
Menschen gerechnet hatte. Mit anderen Worten: Es kamen zum Straßenfest
über 33% weniger Menschen als der Kirchentagsveranstalter zur
Schmackhaftmachung der Kirchentagsfinanzierung angekündigt hatte.
Foto: © Daniela Wakonigg
Für Berliner Verhältnisse sind diese Zahlen ohnehin Peanuts. Allein
den Alexanderplatz passieren laut dort aushängenden Plakaten stündlich
rund 10.000 Menschen und täglich mehr als 350.000 Fahrgäste. An einem
normalen Tag in Berlin, ganz ohne Kirchentag. Das hinderte den Berliner
Senat jedoch nicht daran, das Christen-Fest in Berlin mit 8,4 Millionen
Euro zu bezuschussen. Weitere Zuschüsse kamen vom Land Brandenburg (1
Million Euro) und vom Bund (2 Millionen Euro). Mindestens 11,4 Millionen Euro der insgesamt 23 Millionen Euro des Kirchentags in Berlin wurden demnach von der öffentlichen Hand bezahlt.
Dass man 100.000 zusätzliche Besucher in Berlin auch ganz ohne
öffentliche Förderung gewinnen kann, zeigte der Kirchentagssamstag. Rund
100.000 Fußballfans reisten
an diesem Tag zum DFB-Pokalfinale in die Hauptstadt, um dem Fußballgott
zu huldigen. Selbstverständlich kostet die öffentliche Hand auch das
erhöhte Polizeiaufgebot für das Fußballspiel etwas. Doch auch der
Kirchentag wurde durch die Polizei mit teils massivem Einsatz von
Sicherheitskräften bewacht. Und die Kosten für diesen Einsatz sind in
der offiziellen Fördersumme für den Kirchentag nicht enthalten.
Foto: © Frank Nicolai
Noch schlechter als beim Berliner Kirchentag war es um die Besucherzahlen der Kirchentage auf dem Weg
bestellt. Der Kirchentagsorganisator hatte bei den beteiligten Städten
die Hoffnung auf 80.000 Besucher genährt. Doch von den geplanten 80.000
Karten wurden nur 41.000 Karten verkauft. Am schlimmsten traf es Leipzig.
Erwartet hatte man dort 50.000 Besucher, jedoch wurden nur 15.000
Karten ausgegeben. Die Hälfte davon an nicht zahlende Mitwirkende und
Helfer. Nur 7.500 von den erwarteten 50.000 Tickets in Leipzig wurden
tatsächlich verkauft. Eine echte Pleite für die Stadt Leipzig, die das
Event trotz hoher Verschuldung mit 950.000 Euro bezuschusst hatte. Das
Land Sachsen zahlte weitere 2,25 Millionen Euro für den Kirchentag in
Leipzig.
Ebenso wie den Eröffnungsabend in Berlin kommunizierte der Kirchentag
auch den Abschlussgottesdienst in Wittenberg als großen Erfolg an die
Presse und gab eine offizielle Besucherzahl von 120.000 an. Kein Wort davon, dass man ursprünglich 200.000
Menschen zum Abschlussgottesdienst erwartet hatte. Doch selbst die Zahl
120.000 ist mit Vorsicht zu genießen. Angesichts des eher spärlich
gefüllten Areals beim Abschlussgottesdienst übernahmen viele Medien die
Angabe des Veranstalters nicht, sondern sprachen nur von "Zehntausenden". Die Welt zweifelte die vom Veranstalter genannte Besucherzahl beim Festgottesdienst sogar explizit an.