Liebe Regensburger Domspatzen,
ich war einer von Euch, habe mit Euch
in unserem gotischen Dom in Regensburg gesungen. Wir trugen unsere Chorkleider,
rot, weiß.
Wenn das Licht durch die Fenster auf den Altar schien, versuchte
ich, wie ein Engel zu singen.
Natürlich hatte einer von uns ein blaues
Auge. In den 50er-Jahren schlugen Erwachsene Kinder. Mich schlug ein Präfekt,
ein Priester mit so einer Wucht, dass ich auf den Gang in der Klasse fiel.
Ich
weiß nicht, was ich angestellt habe. Was für ein Verbrechen kann
ein elf-, zwölfjähriger Junge verüben? Hat er zu laut gelacht,
störte er den Unterricht?
Woran ich mich erinnere, ist die Erleichterung,
die ich empfand, als ich ins Gesicht geschlagen wurde. Es war die Erleichterung,
dass ich nicht ein zweites Mal ins Gesicht geschlagen wurde.
Ich nahm das
als Strafe.
Der Schmerz des Schlages ist nicht schlimm, einen Tag später
spürt man nichts mehr.
Ich war damals ein Kind. Ich wollte ein singender
Engel sein. Wenn ich den Ton nicht traf, bekam ich eins auf die Fresse.
Meine
Eltern schickten mich auf ein normales Gymnasium. Gott sei Dank. Sie haben gesehen,
wie verstört ich war.
Herzlichst, Euer alter Domspatz