Das "Manko" der Konfessionsfreien

Ein Konfessionsloser gilt in Österreich als interesseloses Neutrum. Ein Missstand, den man abschaffen muss.

Gastkommentar von Gerhard Engelmayer, Vorsitzender des Freidenkerbundes Österreich und des Zentralrats der Konfessionsfreien am 23.8.2017 in der PRESSE.

Die jüngste Studie zur Konfessionszugehörigkeit (VID) gibt Anlass, auf einen Missstand aufmerksam zu machen: Kaum tritt jemand aus der Kirche aus, wird er als interesseloses Neutrum betrachtet. Die katholische Religion wird nach wie vor als geheime Staatsreligion gehandelt. Die acht Prozent Muslime sind medial überrepräsentiert, während 17 Prozent Konfessionsfreie traditionell als meinungslos betrachtet werden.

Davon sind die Säkularen, Humanisten und Konfessionslosen weit entfernt.
Sie dürfen nur nach dem österreichischen Kultusgesetz nicht einmal ein "Bekenntnis" sein und eine entsprechend anerkannte Gemeinschaft bilden, wie dies z. B. selbst im urkatholischen Bayern der Fall ist. In Österreich gibt es laut Gesetz nur "religiöse" Bekenntnisse, die den Schutz des Staates verdienen!

Solche Bekenntnisgemeinschaften sind rechtlich den Kirchen fast gleichgestellt als Körperschaften öffentlichen Rechts, sie haben das Recht, eigene Sendungen zu gestalten, sie betreiben humanistische Kindergärten, Schulen und soziale Einrichtungen, vor allem vertreten sie die Interessen ihrer Mitglieder und die der Konfessionsfreien im Allgemeinen.

Klare Weltanschauung

Aus Sicht der Religiösen sind die Konfessionsfreien nämlich konfessionslos, haben also ein Manko. Sie sind jedoch kein weltanschauliches Neutrum, sondern haben eine klarere Weltanschauung als die meisten Katholiken ("Na, da wird es schon irgendwas geben!").

Man müsste vor allem die Realität des Glaubens berücksichtigen: Danach sind laut "Gallup Religiosity Study 2012" über 53 Prozent areligiös (zehn Prozent dezidierte Atheisten), und nur 42 Prozent bezeichnen sich selbst als "religiös", während laut VID-Studie 83 Prozent religiös sein müssten: Das bedeutet, dass rund die Hälfte Taufscheinchristen und Scheinmuslime sind. Gerade die werden aber von Fundamentalisten vertreten. Säkulare Muslime, die in unserem Interesse sein müssten, werden vom Staat nicht als Gesprächspartner angesehen.

Politik hinter der Realität

Im Klartext: Die Politik hinkt der Realität bewusst hinterher
, weil man sich nach der guten alten Zeit sehnt, in der man alle Bürger via Religion noch gut im Griff hatte. Jedem ist klar, dass in einer pluralistischen Gesellschaft die einzige Art des Zusammenlebens nur durch Säkularität ("Religion ist Privatsache") gewährleistet ist. Diese fühlen sich allein durch die geduldete Existenz (Toleranz) anderer Bekenntnisse eingeengt bis beleidigt, weil die Anerkenntnis anderer Religionen und Götter nebeneinander schon per se eine Relativierung der eigenen Absolutheit bedeutet.

Die Kirchen entkommen dem Vorwurf des Fundamentalismus nur durch die erfreuliche pausenlose Übernahme von humanistischem Gedankengut ("Nicht Gott steht im Mittelpunkt, sondern der Mensch") und Verkauf als eigene "christliche Werte". Da diese Entwicklung in den Augen der Konservativen einen Verrat darstellt, kann man sich ausrechnen, wie schnell hier ein Rückschnalzeffekt wie in Polen zum Tragen kommen kann.

Dem kann man nur entgegenwirken, indem man Etikettenschwindel vermeidet, humanistische Entwicklungen fördert statt unterdrückt, sie auch so benennt und Staat und Kirche konsequent trennt. Das bedeutet zum Beispiel, dass die Antwort auf muslimische Kindergärten nicht katholische sind, sondern humanistische. Kinder haben ein Recht auf die Wahrheit "state-of-the-art". Zum Beispiel dass der Mensch ein Produkt der Evolution ist.

Anmerkung atheisten-info:

17 % Konfessionsfreie ist recht bescheiden geschätzt, im April 2017 vom STANDARD veröffentlichte Zahlen der APA geben 2,1 Millionen als "andere Religionen bzw. konfessionslos" an, auf Wikipedia stehen für 2016 unter "Konfessionslose und Sonstige" 2.110.000 bis 2.360.000. Jeweils gerechnet werden Katholiken, Protestanten, Muslime und Orthodoxen (bei den APA-Zahlen sind auch die Juden enthalten), da unter "andere Religionen" auf statista.com nur 144.000 Anhänger kleinerer Religionen (von Buddhisten bis Sikhs) angeführt werden, verbleiben bei den APA-Zahlen knapp zwei Millionen, bei Wikipedia knapp zwei Millionen bis um die 2,2 Millionen Konfessionsfreie, das sind von den rund 8,7 Millionen Einwohnern 22 bis 25 Prozent!
Ein besonders wichtiger Aspekt der Bedeutung der Religionen in der Gesellschaft ist überdies, dass man nicht von formalen Mitgliederzahlen, sondern von den praktizierenden Gläubigen ausgehen muss, was sich etwa bei der katholischen Kirche am einfachsten an der Zahl der regelmäßigen Besucher der Sonntagsmesse sehen lässt, die katholische Kirche gab dazu bisher die Zahlen bis 2015 bekannt, von 5,2 Millionen Mitgliedern gingen im Schnitt der jährlichen Kontrollzählungen 587.000 in die Sonntagsmesse, ein recht großer Teil des Restes auf die fünf Millionen lebt wohl eher ein ähnliches "religiöses Leben" wie es Konfessionsfreie tun, also eher religionsfrei. Im Jahre 2003 hatte man noch einen Messbesucherschnitt von knapp 870.000, das ist seither ein Minus von einem Drittel, religiös sind Menschen wohl eher in den Köpfen von Politikern als in der Wirklichkeit...
PS: Bei einer als "Glaubensumfrage" betitelten Befragung - ebenfalls aus 2012 -hatten 17 % auf die Frage, "ich glaube, dass es keinen Gott gibt" mit "ja" geantwortet, von den Unter30-Jährigen waren es 39 % gewesen, gute Aussichten für unsereinen...