Zur "Ehe für alle"

Ein sehr sachlicher und vernünftiger Brief war dazu in der Kronenzeitung vom 8.12.2017 zu finden. Das Verblüffende daran ist, dass der Brief von Gerald Grosz stammte, der seinerzeit Obmann des BZÖ und deren Abgeordneter zum Nationalrat gewesen war. Er lebt seit 2013 mit seinem Partner in einer eingetragenen Partnerschaft, was damals auch auf dieser Site unter dem Titel "Katholischer BZÖ-Sünder" zu lesen stand . Grosz war seinerzeit zusammen mit Ewald Stadler als Strengkatholik politisch für die FPÖ und das BZÖ in Erscheinung getreten, er hatte z.B. eine Kampagne gegen Sepp Rothwangl gestartet, als dieser in seinem Wald Verbotstafeln aufstellte, Priester dürften ohne weitere Begleitung nicht mit Kindern durch seine Wald gehen, siehe Info Nr. 492, "Antikatholische Verhetzung?"

Aber was schreibt er in seinem Leserbrief? Der katholische Extremismus ist verschwunden, Grosz ist für die "Ehe für alle" und meint dazu:

Habt keine Angst! Homosexualität ist nicht ansteckend, weder durch Husten noch durch Berührung! Obwohl die Homosexualität genauso alt ist wie die Menschheit selbst, hat diese Form der zwischenmenschlichen Liebe in keinster Weise die quantitative Entwicklung unseres menschlichen Daseins eingeschränkt. Ganz im Gegenteil: Die Welt ist durch Sophokles, Sokrates, Platon, Alexander den Großen, Thomas Mann, Oscar Wilde und viele andere klingende Namen der Menschheitsgeschichte nur bereichert worden. Durch die jüngste Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes, die staatliche Ehe - und ich betone "die staatliche Ehe" - auch gleichgeschlechtlichen Paaren zu ermöglichen, wird auch kein heterosexueller Mensch, keine klassische Familie in unserem Land in ihren Rechten beschnitten, kein Mensch wird in seiner Freiheit eingeschränkt.

Keine verschiedengeschlechtliche Ehe wird dadurch geschieden, kein Rückgang der klassischen Ehe zwischen Mann und Frau wird dadurch zu verzeichnen sein. Auch einen befürchteten Geburtenrückgang werden wir nicht erleben.

Kein Heterosexueller mutiert schlagartig zum Paradeschwulen im rosa Tutu. Die Konservativen unserer Gesellschaft sollten sich daher doch freuen, dass auch Homosexuelle so konservativ sind und die Lasten einer Ehe schultern wollen. Auch Homosexuelle sollen doch das Recht haben, Ehestreitigikeiten zu erleben, sich die Vasen nachzuwerfen, sich scheiden zu lassen.

Spaß beiseite: Homosexuelle sollen in erster Linie das verbriefte Recht haben, ihre gegenseitige Liebe, ihren gegenseitigen Respekt, ihre gegenseitige Fürsorgepflicht auch gesetzlich abgesichert zu wissen. Und sie sollen für ihre Liebe nicht diskriminiert werden!

Das ist das Wesen der Weiterentwicklung des Menschen und unserer Gesellschaft, die mehrheitlich in dieser Frage übrigens viel weiter ist, als es das Denkvermögen einiger Politiker überhaupt zulässt. Im 16. Jahrhundert dachte man, die Sonne dreht sich um die Erde. Heute wissen wir, die Erde dreht sich im Planetenverband um die Sonne. Selbst der Heilige Vater Papst Franziskus meinte sinngemäß: "Wer bin ich, um zu richten." Denn die Zeit des Richtens unserer Kirche ist längst überwunden. Und nachdem diese Änderung des Eherechts ausschließlich die staatliche Institution der Eheverbindung betrifft, sei auch den konservativen Kreisen unserer Kirche Mt. 22,21 in Erinnerung gerufen. (Anm.: dort steht "So gebt dem Kaiser, was dem Kaiser gehört, und Gott, was Gott gehört!")

Die einzigen verbissenen Narren eben, die sich einbilden, mündige und freie Bürger in der Gestaltung ihres Privatlebens zu bevormunden, sind noch einige Politiker. Besonders bemerkenswert ist es aber, dass die Gegner der Ehe für alle dieselbe Argumentation der Islamisten verwenden. Und wenn es nach den Wünschen einiger besonderer Hardcore-Konservativer ginge, sollten doch Homosexuelle am Galgen baumeln, wie es eben in islamischen Gottesstaaten zum guten Ton gehört. Wir in Europa mit unserer großen Geschichte der Aufklärung sind da viel weiter als Ewiggestrige im Geistesverband mit islamistischen Mullahs. Wir haben das Mittelalter hinter uns gelassen! Wir haben viele Lebensrealitäten: Mutter, Vater und Kinder als Familie, alleinerziehende Mütter als Familie, alleinerziehende Väter als Familie, Patchworkfamilien als Familie, Geschiedene, wiederverheiratete Geschiedene und selbstverständlich gleichgeschlechtliche Paare, die Familie bilden. Überall, wo Liebe und Respekt ist, ist Familie! Dies hat der Verfassungsgerichtshof festgestellt und gleichzeitig dem Parlament gezeigt, was es heißt, auf der Höhe der Zeit zu sein!

Für die Entscheidung des österreichischen Verfassungsgerichtshofes, das staatliche Ehegesetz auch für gleichgeschlechtliche Paare zu öffnen, haben die obersten Richter unseres Landes mehrere gute Gründe genannt. Und bei diesen Gründen sollten wir es bewenden lassen und diese aufgekochte Diskussion rasch beenden!

Denn, wie sagte der große Philosoph Immanuel Kant: "Niemand kann mich zwingen, auf seine Art glücklich zu sein, sondern ein jeder darf seine Glückseligkeit auf dem Wege suchen, welcher ihn selbst gut dünkt, wenn er nur der Freiheit anderer, einem ähnlichen Zwecke nachzustreben, die mit der Freiheit von jedermann nach einem möglichen allgemeinen Gesetze zusammen bestehen kann, nicht Abbruch tut."

Gerald Grosz

Soweit der Leserbrief! -
hier ein auf 575 Pixel aufgestockter Screenshotausschnitt aus der Bildergalerie der Grozs-Homepage, Gerald Grosz sitzt rechts


Auch ein ehemaliger kämpferischer Vollkatholik vom BZÖ kann somit die Welt richtig sehen, es ist alles richtig, was er schreibt, die katholische und die islamische Moral haben im 21. Jahrhundert in aufgeklärten Gegenden nimmer die Vorhand! Das ist selbstverständlich auch für einen davon nicht betroffenen Hetero eine völlig klare Sache! Ob es stimmt, dass eifrige Homo-Kritiker damit oft die eigene Homosexualität zu verdrängen trachten? Sigmund Freud deutete Homophobie jedenfalls als Reaktion auf eigene homosexuelle Impulse, was sich auch in der heftigen Ablehnung der Ehe für alle durch die katholische Kirche spiegeln könnte, weil der Anteil von Homosexuellen unter katholischen Klerikern ist ja als Nebenwirkung des Zölibats unverhältnismäßig hoch. Der Pastoraltheologe Zulehner hat dazu Nachforschungen angestellt, siehe "Zölibat: 67 % eigenständige Priesterwege"...