"Die Türkei hat sich unter Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan
in den vergangenen Jahren immer mehr von einem säkularisierten Staat zu
einem Staat verändert, in dem der Islam sunnitischer Prägung eine
überragende Rolle spielt. Doch gleichzeitig gibt es jenseits der beherrschenden
Regierungspartei AKP eine Gegenbewegung: Eine nicht mehr schweigende Minderheit
bekennt sich zum Atheismus und geht damit in die Öffentlichkeit.
Selbst
die staatliche Behörde für religiöse Angelegenheiten hat das
Problem erkannt und dazu im August 2017 in eine Sonderausgabe mit dem Thema
'Die Menschheit in den Klauen von Deismus, Atheismus und Nihilismus' herausgegeben."
Der
Marburger Islamwissenschaftler Dr. Pierre Hecker konnte dazu nähere Informationen
geben, er sagte der Zeitung u.a.: "Der Atheismus in der muslimischen
Welt nimmt zu. Immer mehr Menschen wenden sich vom Glauben ab." Das sei
aber auch ein Akt politischen Handelns. Und grundsätzlich: "Eigentlich
ist das Säkularismus-Prinzip in der türkischen Verfassung verankert
und somit die Türkei vom Grundsatz her ein weltlicher Staat".
Ja,
es war eines der wichtigsten Merkmale das der Gründer der republikanischen
Türkei, Mustafa Kemal Atatürk in den 1929er-Jahren durchsetzte:
man verwendete die säkulare Verfassung Frankreichs als Vorbild und richtete
die Gesetze nach europäischen Vorbildern aus! Z.B. wurde auch islamische
Kopftuch verboten! Die islamische Religion wurde unter staatliche Verwaltung
gestellt, das Diyanet İşleri Başkanlığı (Präsidium für religiöse
Angelegenheiten) hielt in der Zeit des Kemalismus die Muftis in Schach, Erdogan
machte daraus ein Verwaltungsamt zur Durchreligiösisierung des Landes!
Dr.
Hecker meinte weiters dazu, es gäbe in der Türkei kein Blasphemiegesetz,
aber den Straftatbestand, der Beleidigung religiöser Werte. Wir in Österreich
haben ja auch so einen Paragraphen, mit dessen Hilfe man praktisch den Atheismus
zu einem Straftatbestand machen könnte, der § 188 des Strafgesetzbuches
lautet: "Wer öffentlich eine Person oder eine Sache, die den Gegenstand
der Verehrung einer im Inland bestehenden Kirche oder Religionsgesellschaft
bildet, oder eine Glaubenslehre, einen gesetzlich zulässigen Brauch oder
eine gesetzlich zulässige Einrichtung einer solchen Kirche oder Religionsgesellschaft
unter Umständen herabwürdigt oder verspottet, unter denen sein Verhalten
geeignet ist, berechtigtes Ärgernis zu erregen, ist mit Freiheitsstrafe
bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen zu bestrafen."
Erdogan
wird seinen Paragraphen sicherlich entsprechend verwenden lassen, wenn sich
zu viele junge Atheisten bemerkbar machen, in Österreich ruht der §
188 schon längere Zeit still im Strafgesetzbuch. Würde man ihn konkret
und wortgetreu anwenden, meinereiner käme aus dem Arrest gar nimmer heraus,
weil zumindest Glaubenslehren herabwürdigen tut meinereiner ja fast jeden
Tag...
Dr. Hecker sagt zum nun schon längere Zeit in der Türkei
nicht mehr verbotenen Kopftuch: "Bei meinen Gesprächen traf ich
auf junge Frauen. die im Alltag und bei der Arbeit Kopftuch tragen, obwohl sie
gar nicht mehr gläubig sind. Sie erhalten aber den Schein aufrecht, weil
sie ihren Job behalten und ihre Angehörigen nicht verletzen wollen".
Ja, solche Nachrichten machen Hoffnung und auch ein Erdogan wird nicht
ewig regieren...
Dann wird Atatürk doch noch richtig gelegen sein: